Rezension

Von guten Geistern und mörderischen Vätern

Der Freund der Toten - Jess Kidd

Der Freund der Toten
von Jess Kidd

Bewertet mit 4 Sternen

In Jess Kidds Debütroman „Der Freund der Toten“ (orig. „Himself“) treffen irische Mythen, die rätselhafte Welt der Toten und eine spannende Mordgeschichte aufeinander. Mahony, aufgewachsen in einem Waisenhaus, kehrt 1976 nach 26 Jahren an den Ort seiner Geburt zurück. Er hat erst jüngst erfahren, dass seine Mutter ihn damals nicht weggegeben hat, sondern dass die Bewohner von Mulderrig sie ihm genommen haben. Mahony versucht nun, dem Verschwinden seiner Mutter und seinem frühen Schickal auf die Spur zu kommen, und sucht dabei nicht nur den Mörder seiner Mutter, sondern auch seinen ihm unbekannten Vater. Unterstützt wird Mahony, ein nicht gerade sesshafter Hippie-Typ aus Dublin, der in der Provinz im County Mayo aufsehenerregend anders ist, vor allem von Mrs Merle Cauley. Sie ist eine steinalte ehemalige Bühnenschönheit mit ungewöhnlichem Humor, schrägem Charme und extravagenten Oufits. Seitdem sie in Mulderrig ist, inszeniert sie jeden Sommer ein Laientheater mit eben jenen Dorfbewohnern, unter denen Mahony den Mörder seiner Mutter vermutet.

Es ist nicht irgendein Stück, sondern „The Playboy of the Western World“ von John Millington Synge, einem der großen irischen Dramatiker, dessen Muse Mrs Cauley einst gewesen sein will. In diesem Stück geht es um einen Vagabunden, der in der westlichen Provinz Irlands als Held gilt, weil er sich seines tyrannischen Vaters entledigt haben soll, indem er ihn mit dem Spaten erschlug. Der Vater aber lebte noch, spürte den Sohn auf, und die Legende de „Helden“ sollte Wirklichkeit werden, indem der Sohn erneut mit dem Spaten zuschlagen muss. Es ist kein Zufall, dass der Vater Mahon heißt, der Held in „Der Freund der Toten“ aber Mahony; ebenso wenig, dass ein brutaler Vater-Sohn-Konflikt die Grundstruktur der Handlung bildet und der Spaten eine ganz besondere Waffe wird. Das Stück ist zwar in Irland Standardlektüre, bei uns aber eher unbekannt. Man braucht es auch nicht, um den Roman zu mögen, aber seine Kenntnis schadet auch nicht.

Mahony und Mrs Cauley - unterstützt von Mahonys Flamme Shauna und der resoluten Bridget Doosey - rücken den abweisenden Dörflern auf die Pelle, stellen ungemütliche Fragen und bringen die Phalanx des Schweigens in Wanken. Sowohl der schmierige Dorfpfarrer Quinn als auch die gewissenlose Witwe Annie Farelly sehen sich zu Gegenaktionen  gezwungen, um Mahony daran zu hindern, die Schande des Dorfes, die Bluttat an Mahonys Mutter aufzudecken.

Die ungewöhnlichsten Helfer Mahonys aber sind die Geister der Toten, die allein er sehen kann, und die ihm immer wieder Tipps geben, wenn ihre aus dem Leben ins Geisterdasein geretteten Marotten sie nicht daran hindern. Dass Geister durch Mulderrigs Wände wabern, ist nur der Anfang der surrealen, fantastischen Elemente, mit denen Kidd ihre Geschichte ausstattet und ihr so einen ganz eigenen morbiden Zauber verleiht. Auch die Natur erscheint beseelt, Ratten versammeln sich, Raben sammeln Eheringe und Ruß sprüht in der Form großer Wölfe aus den Öfen. Dabei verliert die Erzählung den roten Faden nicht, sondern führt spannend an das Ende der Geschichte, das so turbulent wie - leider - vorhersehbar ist.

Sprachlich auffällig sind die Natureingänge und die aus der Natur gegriffenen Metaphern, mit denen Kidd häufig ihre Kapitel aufschließt. Damit führt sie einen Märchenton ein, der die Lektüre für die übersinnlichen Elemente empfänglicher macht.

Die Charaktere - allen voran Mrs Cauley - sind schön gezeichnet, die Atmosphäre dicht und die Handlung spannend. Getrübt wird der Gesamteindruck lediglich durch die unmotiviert grausamen Passagen, in denen Menschen erschlagen oder Tiere gequält werden, sowie durch das unklare Konzept, nach dem die Toten zu Geistern werden. Übrigens: Auf einen Geist wartet man vergeblich, nämlich auf den Geist von Mahonys Mutter.