Rezension

von Schirach zum vierten

Tabu - Ferdinand von Schirach

Tabu
von Ferdinand von Schirach

Bewertet mit 4 Sternen

Sebastian von Eschburg wächst in einem Herrenhaus auf, doch die Familie ist verarmt, die Eltern einander entfremdet, und Wärme erfährt er nicht. Das Leben ist schwierig für den Jungen, der als Synästhetiker eine ungewöhnliche Wahrnehmung hat; besonders zwei Bilder lassen ihn nicht los: Ein Reh, das der Vater gejagt und ausgewaidet hat, und dann der Vater selbst, der sich erschießt und dessen Leiche Sebastian findet. Nach dem Abitur im Internat wird Sebastian Fotograf und entwickelt später Videoinstallationen, mit denen er berühmt wird. Glücklich wirkt er dennoch nicht; auch die Beziehung zu seiner Freundin Sofia kann ihn nicht erden.

Nach diesem langen Teil mit dem Titel "Grün" folgt ein kurzer Einschub mit dem Titel "Rot": Eine Staatsanwältin soll in einem Entführungsfall ermitteln. Ein Verdächtiger ist gefunden, seine Wohnung wurde durchsucht und weist viele Indizien zum Fall auf - aber wo ist das entführte Opfer? Der vernehmende Polizist will die junge Frau retten und droht dem Verdächtigen mit Folter. Unter Verdacht steht Sebastian von Eschburg.

Das folgende Kapitel "Blau" führt den Strafverteidiger Konrad Biegler ein, der sich nach einem Zusammenbruch erholen soll, aber nur gelangweilt ist. Der Fall und vor allem der Angeklagte faszinieren ihn, die Widersprüche in der Aussage wecken sein Interesse. Und auch Sebastian braucht den Anwalt, der zwischen Wahrheit und Wirklichkeit unterscheidet und auch Recht und Moral nicht gleichsetzt. Wie das Gerichtsverfahren abläuft und welches Ergebnis es bringt, soll hier nicht verraten werden.

Der Schluss heißt "Weiß"; nach der Helmholtzschen Farbenlehre das Ergebnis, wenn man Grün, Rot und Blau mischt. Weiß zeigt uns Sebastian viele Jahre später...

Auch dieses vierte Buch von Ferdinand von Schirach hat Recht und Gerechtigkeit zum Thema. Seine Erzählbände "Verbrechen" und "Schuld" wie auch der erste Roman "Der Fall Collini" kreisen alle um Schuld und die Justiz. Hier kennt er sich aus, und das spürt man. Hier ist auch seine Sprache passend: Kurze, knappe und präzise Schilderungen. Diese Sachlichkeit hat bei mir mehr Interesse an dem Thema geweckt als an dem Protagonisten Sebastian; dessen Distanziertheit verhinderte bei mir Identifikation. Und so habe ich diesen Roman zwar mit Interesse gelesen, aber einen bleibenden Eindruck hat er nicht hinterlassen. Der Schreibstil passt für mich besser zu den Kurzgeschichten. Dennoch: Ein Buch, das zum Nachdenken anregt und lesenswert ist.