Rezension

Wahrscheinlich ist es so aktuell wie nie

Die unbekannte Terroristin - Richard Flanagan

Die unbekannte Terroristin
von Richard Flanagan

Dir kann nichts passieren. Du bist sicher. Du lebst in einem demokratischen Staat, der die Freiheit und Grenzenlosigkeit zelebriert. Und dann machst du einen Fehler. Du bist zur falschen Zeit, am falschen Ort. Und alles was danach kommt, ist nur noch Lüge. Dir selbst gegenüber. Anderen gegenüber. Von anderen dir gegenüber. Dir kann alles passieren. Du bist nicht mehr sicher.

Meinung

Es bedarf mehr als ein bisschen Blabla, um das Buch Die unbekannte Terroristin von Richard Flanagan zu begreifen. Es so wiedergeben zu können, damit auch andere Menschen dieses Buch in Betracht ziehen. Und das ist nicht so einfach.

Dieses Buch ist zehn Jahre alt. Seine Erstveröffentlichung fand 2006 unter dem Namen „The Unknown Terrorist“ statt. Ist es nicht bemerkenswert erschreckend und faszinierend zugleich, dass die Thematik, die Handlung dieser Geschichte noch immer so präsent ist? So präsent, dass der Piper Verlag der Meinung ist, dass dieses Buch auch noch heute den Nerv einer Leserschaft trifft?

Ich war mir vor dem Lesen des Buches ein wenig bewusst, was mich erwartet. Dem Klappentext sei Dank. Doch er verrät nur das Nötigste. Was sich dem Leser innerhalb der 336 Seiten eröffnet ist eine Gesellschaft, die sich kaum von den alten Römern und ihren brutalen, mitunter tödlichen Gladiatorenkämpfen in der Arena unterscheidet. Nur das eine junge Frau nicht körperlich ausblutet, sondern seelisch. Ihr Leben entgleitet ihr und sie hat nicht den Hauch einer Chance, die Kontrolle darüber wiederzuerlangen. Nicht den Hauch einer Chance sich zu verteidigen. Und das alles durch das Medium, welchem wir uns alle nicht entziehen können. Dem Fernsehen, dem Internet. Der Berichterstattung von Menschen, die genauso fehlbar sind wie du und ich. Aber ebenso grausam sein können, wie Attentäter selbst. Durch und durch korrumpierbar. Fast schon inquisitorisch wird hier eine moderne Hexenjagd betrieben, auf den kleinen Menschen, weil es sonst keinen Dummen gibt, dem man die Schuld, ein Gesicht des Schreckens, zuschieben kann.

Es wird deutlich wie schnell sich die Medienlandschaft verselbstständigt; sie aus den kleinsten Brotkrumen eine Story inkl. großem Verschwörungsnetz dahinter konstruiert. Alles was on air oder online geht, kann niemals wirklich zurückgenommen werden. Und das verdeutlicht nur, was für eine Macht die Medien über unser Leben haben. Wie sehr sich der einzelne von der Berichterstattung beeinflussen und abhängig macht. Und dass sich die Personen hinter der Maske des Journalismus verstecken können und sich bewusst sind, was sie mit ihrer Berichterstattung erreichen können. Positiv wie negativ.

Richard Flanagan hat etwas Besonderes mit dieser Geschichte geschaffen. Nicht nur, dass es wie bereits erwähnt, hervorragend und den aktuellen Zeitgeist, die Angst der Gesellschaft, in Worte einfasst. Nein. Die Art, wie er das tut, ist bemerkenswert. Denn in so vielen Abschnitten habe ich tatsächlich so etwas ähnliches wie Poesie gefunden. Eine Kunst und Fingerfertigkeit mit Worten und deren Wirkung zu spielen. Den Leser nach Belieben in die Geschichte zu saugen und wieder mit voller Wucht herauszustoßen. Eine Kritik an die Gesellschaft so hart und doch seicht in dieses Buch einzuflechten. Denn obwohl ich all das in der Sprache des Buches gefunden habe, war da nie ein Gefühl der Schwere. Der wirklichen anspruchsvollen Literatur. Es lässt sich tatsächlich sehr leicht und schnell lesen. Was ein wundervoller Spagat ist, der so ein Buch auch für den Durchschnitts-Hobby-Leser zugänglich macht.

Ich habe viele eindrucksvolle Schreibstile kennenlernen dürfen. Aber Flanagans hat einen besonderen Flair. Auch nicht immer einen einfachen. Denn eben dieses Herausstoßen hat mich oftmals mit der Figur um Gina Davies, auch genannt „Puppe“, die Protagonistin, fremdeln lassen. Und doch war da in jeder Sekunde, trotz ihrer merkwürdigen Eigenheiten und auch Fehlern, die sie begeht, eine Empathie. Es hat sich oftmals einfach so angefühlt, als wäre man der einzige Mensch auf Erden, der noch an ihre Unschuld glaubt.

Denn schnell wird auch deutlich, dass sich sehr bald niemand mehr für die Wahrheit, für sie als Person interessiert. Es macht keinen Unterschied mehr, ob sie noch lebt oder nicht. Ihre Person wird in der Öffentlichkeit zerrissen. Bis aufs kleinste Detail analysiert und seziert. Anhand von kleinen Eigenheiten werden ihr stereotype, gar kranke Verhaltensweisen angedichtet, um die Sensationsgier der Meute zu befriedigen.

Es ist ganz klar. Wenn man zwischen den Zeilen liest. Man das Buch mit einem arbeiten lässt. Die unbekannte Terroristin bietet viel. Viel Handlung, viele Geschehnisse, viel Literarisches Handwerk. Dennoch empfand ich das Buch nicht als spaßige Achterbahnfahrt, wie so manch andere einfache Romane. Manchmal hatte ich das Gefühl, dass die Handlung so ein wenig plätschert. Ja, sogar recht unspektakulär ist. Aber es hat mich interessiert. Ja. Es hat mich sogar sehr gebannt, trotz anfänglicher Schwierigkeiten. Es hat viel mit meinen Gedanken während und nach dem Lesen gemacht. Und das fand ich am Ende wesentlich besser, als eine Action-Berg-und-Talfahrt zu erleben. Trotz oder sogar wegen der offensichtlichen Vorhersehbarkeit der Geschichte.

Fazit

Die unbekannte Terroristin von Richard Flanagan ist ein beeindruckendes Werk an schriftstellerischer Kunst und zugleich ein scharfes Schwert, welches seinen Wunde in den Köpfen der Leser hinterlässt. In diesem Buch wirft der Autor einen Spiegel auf die Gesellschaft, so hart und unnachgiebig, dass man manchmal über sein eigenes Denken erschrocken ist. Es ist zweifelslos ein Buch, welches den Nerv der Zeit trifft. Und welches man vielleicht gerade deswegen auch gelesen haben sollte. So berechenbar das auch scheinen mag.