Rezension

Wann ist ein Mann ein Mann?

Die Herzen der Männer
von Nickolas Butler

Bewertet mit 5 Sternen

Mein erster Butler! Beim Lesen sehnte ich mich nach dem Original. Es deucht mir, die Übersetzung schwächelt ganz erheblich ... aber ich kanns nicht beweisen ohne Original. Wer also dazu in der Lage ist, ziehe das englische Exemplar der deutschen Übersetzung vor. BITTE!

Von was läßt ein Mann sich leiten? Von seiner Erziehung, seinem anerzogenen Charakter, seinem angeborenen Temperament, seinen Hormonen, seinem Elternhaus, der Sohn insbesondere vom Vater, den sonstigen Erziehungsberechtigen, woher nimmt er sein Wertesystem, das ihn ein Leben lang begleitet? Bleibt er sich und seinen Werten treu, wird er ein Mann oder ein haltloses Weichei, das jeder Versuchung, die ihm über den Weg läuft, nachgibt?

Nelson. Ein Mobbingopfer. Muss in einem Pfadfinderlager eine schwierige Entscheidung treffen. Diese Entscheidung beeinflusst sein Leben. Er kommt auf die Militärakademie und wird im Vietnamkrieg eingesetzt. Überlebt. Ein Held.

Jonathan, im selben Pfadfinderlager, ist nicht in der Lage, sich hundertprozentig auf eine Seite zu schlagen, er macht Kompromisse. Sein Leben lang treibt er von der einen Seite zur anderen und zurück, schwankt zwischen haltlosem Egoismus, Pragmatismus und kann doch den Ehrenkodex, der ihm in seiner Jugend begegnet ist, nicht ganz auf die Seite legen. Alle seine Beziehungen scheitern an seiner Wankelmütigkeit.

Was geben beide Männer der nächsten Generation mit auf den Weg? Sind Werte wie Ehrlichkeit, Ehre, Loyalität und Wahrheit eigentlich verhandelbar? Werden sie leichtfertig über Bord geworfen und als Wertewandel abgetan, kommt es, wie Butler im letzten Abschnitt zeigt, beinahe unweigerlich zur Katastrophe.

In seinem neuen Roman „Die Herzen der Männer“ wirft Nickolas Butler eine Menge Fragen auf. Die nach der Moral. Die nach der Prägung. Die nach dem Konsum von Pornographie. Die nach der Freundschaft. Die nach Gut und Böse. Nach Sex, Treue und Liebe. Jeweils eingekleidet in typische amerikanische Institutionen, Zeltlager und Armee. Patriotismus und Fahneneid.

Pfadfinder bewegen sich in der Natur, deshalb beschreibt Butler Natur. Die Lyrik der Naturbeschreibungen steht häufig in einem krassen Gegensatz zu den meist schroffen Dialogen der Protagonisten. Diese halten lange Monologe, in denen sie ihre konträren Weltanschauungen darlegen. Der Leser überlegt, inwieweit er mit den vorgetragenen Ansichten übereinstimmen mag.

Lebendig wird der Roman durch eine lange Zeitschiene, durch Zeitenbrüche und unerwartete Wechsel der Erzählperspektiven.

Die Figuren stehen jeweils für sich und stellen doch gleichzeitig Platzhalter für gewisse Ansichten oder Kreise der amerikanischen Gesellschaft dar, insoweit sind sie (nur) Prototypen und müssen nicht vollkommen ausgeformt werden.

Manches, was den Leser rechts und links der Geschichte noch interessiert hätte, wird abgeschnitten. Cut. Fertig. Interessiert nicht. Könnte so oder so gewesen sein. Diese Zumutungen (an den Leser) machen das Buch recht individualistisch. Ein typischer Butler?

Fazit: Ein Roman, über dessen Inhalte sich trefflich streiten und diskutieren läßt.

Kategorie: Anspruchsvolle Literatur
Verlag: Klett Cotta, 2018

Kommentare

Emswashed kommentierte am 25. Februar 2018 um 09:05

So widersprüchlich und doch 5 Sterne? Wegen des Streitpotenzials?

Emswashed kommentierte am 25. Februar 2018 um 09:05

............

wandagreen kommentierte am 25. Februar 2018 um 09:14

Wegen der Wertediskussion. Wegen der Komposition des Buches. Wegen der Charaktere. Gut geschrieben ist es auch, mit Abstrichen, die ich auf die Übersetzung zurückführe. Man muss es nicht lesen, so ein Buch ist es nicht, aber wenn man es liest, kann man tatsächlich drüber sinnieren.

Ich denke ja, wir verlieren gesellschaftlich auf voller Länge, weil wir unsere konservativen Werte über Bord geschmissen haben: so wie Deutsche und Westler es eben tun, nicht ein bisschen, sondern gleich vollständig. Keine halben Sachen. Noch 50 Jahre weiter so und wir haben uns ausgerottet.

Emswashed kommentierte am 25. Februar 2018 um 11:18

An welche konservativen Werte denkst Du dabei konkret?

wandagreen kommentierte am 25. Februar 2018 um 12:51

"Ehrlichkeit, Ehre, Loyalität und Wahrheit", z.B.

sphere kommentierte am 26. Februar 2018 um 00:24

"Von was läßt ein Mann sich leiten? Von seiner Erziehung, seinem anerzogenen Charakter, seinem angeborenen Temperament, seinen Hormonen, seinem Elternhaus, der Sohn insbesondere vom Vater, den sonstigen Erziehungsberechtigen, woher nimmt er sein Wertesystem, das ihn ein Leben lang begleitet? "

Sehr, sehr gut. Begleiten mich täglich in meiner Arbeit, diese Fragen. Und da wir ja leseaffin sind, nehme ich noch auf: von welchen Autoren/Büchern erweitern wir unseren Horizont?

wandagreen kommentierte am 26. Februar 2018 um 09:12

Vielen Dank, Sphere, für diesen letzten Satz. Der ist unabdingbar. Der gehört dahin. Danke für die Ergänzung. Werden Bücher erwähnt im Buch? Das Thema hat der Autor sträflich vernachlässigt. Pfui.

Naibenak kommentierte am 26. Februar 2018 um 09:44

Sehr schöne Rezi, Wanda!!! Danke dir!!! :-)