Rezension

„Was ich ihm gebe, kann er nicht festhalten. Was er mir gibt, halte ich mit aller Kraft fest.“ S. 178

Der alte König in seinem Exil - Arno Geiger

Der alte König in seinem Exil
von Arno Geiger

Bewertet mit 4 Sternen

„Was ich ihm gebe, kann er nicht festhalten. Was er mir gibt, halte ich mit aller Kraft fest.“ S. 178

 

Aus dem Buch:

„Hier hast du deinen Hut.“
„Das ist recht und gut. Aber wo ist mein Gehirn?“
[…]
„Dein Gehirn ist unter dem Hut.“
Der Vater nahm den Hut ab, schaute hinein und erwiderte: „Das wäre aber ein Wunder.“

S. 130 Das ist nur eine der surrealen, fast kafkaesken Szenen in diesem Buch. Sein Vater erkrankt an Alzheimer – und darüber schreibt der Sohn, der österreichische Autor Arno Geiger, dieses kurze Büchlein.

 Er schreibt über den Fortschritt der Krankheit, vom Beginn, vor der Diagnose, als mit dem Vater noch wegen vermeintlicher Sturheit geschimpft wurde, „…denn wir schimpften mit der Person und meinten die Krankheit.“ S. 7 Doch, natürlich, die Krankheit schreitet voran. Anhand der eigenen Erfahrungen der ganzen Familie – Geiger hat noch drei Geschwister, zu Beginn teilt man sich die Pflege – übermittelt die Lektüre ein Gefühl davon, was sich ändert, nur ein Gefühl, denn jeder Mensch und damit auch jeder Erkrankte ist anders. Die Bilder, die verwendet werden, lassen regelmäßig den Schriftsteller durchblicken, der den Umgang mit Sprache und sprachlichen Bildern gewohnt ist. So bezeichnet er den Zustand der mittleren Demenz: „Als wäre man aus dem Schlaf gerissen, man weiß nicht, wo man ist […] Man versucht sich zu orientieren, es gelingt nicht.“ S. 8f. Das ist hilfreich, weil solche Bilder eindringlicher sind, als viele Fachbücher dieses zu vermitteln vermögen.

 Es wird auch über das Leben des Vaters erzählt, um Erklärungen für genau für ihn typische Verhaltensweisen bis in die Krankheit hinein zu liefern; natürlich sind diese Abschnitte nicht zu verallgemeinern. Aber sicherlich kann man aus dem Nachforschen Geigers die Lehre ziehen, zum einen die jeweilige Vergangenheit vor dem Vergessen zu retten, als auch immer das Individuum hinter dem Kranken zu sehen. Viele weitere Erfahrungen in der Pflege werden anderen helfen können.

 An einigen Stellen war mir das bildhafte in der Sprache etwas zu viel; fast wirkt es, es betrachte der sprachbegeisterte Autor den Vater als eine Art Satz- und Wortfindungsmaschine, wobei natürlich jeder seinen eigenen Weg zum Umgang mit fordernden Situationen finden muss, soll und darf. Genau hier liegt für mich die Problematik solcher Bücher: vom aktuellen „In jedem Augenblick unseres Lebens“ von Tom Malmquist über die in weiten Strecken sehr amüsanten Erinnerungen von Joachim Meyerhoff bis hin zu Jan Philipp Reemtsma „Im Keller“: Wer bin ich, die Erinnerungen und Gefühle anderer in autobiographischen Texten zu bewerten? Andererseits wird natürlich niemand zu Niederschrift und Veröffentlichung gezwungen – und die liebevolle innewohnende Poesie dieser Niederschrift trägt durchaus recht weit.