Rezension

Was ist normal?

Die Ladenhüterin - Sayaka Murata

Die Ladenhüterin
von Sayaka Murata

Bewertet mit 4 Sternen

Wie ist das Leben in Japan? Diese kleine Satire führt es uns vor. Es scheint einen standardisierten Lebensplan zu geben. Man sei brav, fleißig und gehorsam, ergreife einen Beruf und gründe eine Familie. Wer davon abweicht, ist kein wertvolles Mitglied der Gesellschaft.

Keiko Furukura ist anders, schon immer. Sie folgt mehr der Vernunft als Emotionen, was sie schon als Kind zur Außenseiterin macht. Die Menschen verstehen sie nicht, sie versteht die Menschen nicht, würde aber viel lieber „normal“ sein, nicht mehr auffallen, dazugehören.

„Normalität setzt sich gewaltsam durch, Fremdkörper werden einfach beseitigt. Menschen, die nicht richtig funktionieren, werden entsorgt. Deshalb musste ich mich verbessern.“

Die Arbeit in einem Supermarkt scheint ihre Rettung zu sein. Man schlüpft in seine Uniform und befolgt die Regeln. Es gibt ein Handbuch, das festlegt, was man wie zu tun hat. Das ist perfekt für Keiko. Hier erklärt man ihr genau, was man tun muss, um normal zu sein. In kürzester Zeit wird sie die anerkannte Superaushilfe. 

Dieses Buch ist bitterböse und geht gnadenlos mit der japanischen Gesellschaft ins Gericht. Sayaka Murat hat keine Hemmungen und steigert Keikos schwierige Situation bis ins Absurde. 
Es liest sich leicht, erstaunt und amüsiert auch. Das ist Sarkasmus vom Feinsten und prangert dezent aber plastisch japanische Gesellschaftsnormen an. Ein eindrucksvolles Buch.
Nur das Ende fand ich etwas hilflos. Es bricht ziemlich abrupt ab an einer Stelle, an der man auf einen fulminanten Showdown wartet. Unendliche Möglichkeiten bieten sich an, aber die Autorin lässt sie im Raum stehen. Ein klares Statement hätte hier wie ein Paukenschlag wirken können, 50 Seiten mehr hätten dem Buch nicht geschadet. Aber die Autorin lässt es offen und so lässt einen dieses Buch nachdenklich zurück, hätte aber durchaus Betroffenheit auslösen können. 

Was ist normal und ist Normalität das höchste aller Ziele? Das ist eine Frage, die nicht nur in Japan relevant ist. Dieses kleine Buch kratzt sanft aber beharrlich an unserem Selbstverständnis und ist überaus lesenswert. 

Kommentare

wandagreen kommentierte am 07. Juni 2018 um 12:19

Das fand ich auch. Ich hätte mir gewünscht, die Kleine hätte den Supermarkt später geleitet. Das wäre zwar mehr ein bisschen Hollywood gewesen, aber lustig.

Sursulapitschi kommentierte am 07. Juni 2018 um 12:26

Sie hätte Leiterin des Supermarktes werden müssen und dann die Regeln verschäfen sollen. Alles ist vorgeschrieben bis hin zur Fingernagellänge. Das hätte was gehabt. 

wandagreen kommentierte am 07. Juni 2018 um 15:48

Absolut. Das wäre ein Knaller gewesen.

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Paperboat kommentierte am 16. Oktober 2018 um 00:12

Als Leser erfährt man ja, dass sie wieder zurückkehren wird, weil Keiko es praktisch ankündigt. Der Fantasie steht es frei zu vermuten, dass sie später einen Supermarkt geleitet hätte. Ich allerdings finde, das hätte nicht zu ihr gepasst. Das wäre ein Fortschritt gewesen, um den es in diesem Buch ja gar nicht geht.