Rezension

Was ist Realität, was Fantasie?

Der Brief
von Carolin Hagebölling

Bewertet mit 3.5 Sternen

Die Prämisse des Romans "Der Brief" hat mich begeistert: Die freie Journalistin Marie wird überraschend aus ihrem Alltag gerissen, als sie einen Brief ihrer alten Schulfreundin Christine erhält. Er ist an Marie adressiert, jedoch steht darauf eine Pariser Adresse, obwohl Marie in Hamburg lebt. Der Inhalt ist ähnlich mysteriös: Laut dem Brief ist Marie mit einem Mann namens Victor liiert, obwohl sie in Wahrheit eine glückliche Beziehung mit ihrer Freundin Johanna führt. Zudem schreibt Christine über eine angebliche Krankheit Maries - doch die ist kerngesund. Kurz darauf erhält Christine einen ähnlich verwirrenden Brief mit falschen Behauptungen, der angeblich von Marie geschrieben wurde. Beide verdächtigen sich zunächst gegenseitig, doch dann begibt sich Marie auf Spurensuche, die sie unter anderem nach Paris, Berlin und in ihren Heimatort führt.

Die zentrale Idee gefällt mir sehr gut. Die beiden Frauen erhalten mehrere Briefe, die immer verwirrender werden. Es gibt verschiedene Erklärungsansätze, doch keiner scheint besonders wahrscheinlich. Dadurch fiebert der Leser mit.

Gleichzeitig handelt es sich bei dem Buch um einen Roman und nicht um einen Thriller. Daher entsteht keine atemlose Spannung. Neben den Briefen und den Untersuchungen zu deren Ursprung widmet sich die Autorin zudem intensiv Maries Beziehung zu ihrer Freundin, zu mehreren Freunden und zu ihren Eltern. Dadurch zeichnet sie ein sehr komplexes und interessantes Bild von Marie und ihrem Umfeld. Allerdings fällt dabei immer wieder die Spannung ab, da zwischen den einzelnen Briefen und dem Fortgang dieses Handlungsstrangs teils große Lücken klaffen. Manchmal wirken die Alltags-Themen neben dem faszinierenden Brief-Mysterium etwas belanglos.

Der Roman hat mich gut unterhalten und ich habe ihn relativ schnell an drei Nachmittagen ausgelesen. Leider ist weder emotional noch intellektuell viel hängen geblieben. Ich habe die Lektüre durchaus genossen, aber sie hat mich nicht besonders tief berührt.