Rezension

Was passierte mit Carla?

Der Schrei der Amsel - Cordula Hamann

Der Schrei der Amsel
von Cordula Hamann

Bewertet mit 4 Sternen

Inhalt: 
Das Familienidyll der Familie Meister wird jäh zerstört, als das erst fünfmonatige Baby Carla während eines Toilettenbesuchs ihrer Mutter Leonie im Supermarkt aus ihrem Kinderwagen spurlos verschwindet. Das Kind taucht trotz fieberhafter Suche durch die Polizei nicht auf, sodass eine Sonderermittlungseinheit geschaffen wird, die das Umfeld der Familie Meister genauestens beleuchtet und allen möglichen Hinweisen nachgeht, jedoch ohne Erfolg. Während sich der Vater von Carla aktiv an der Suche beteiligt und dabei selbst vor illegalen Methoden nicht zurückschreckt, bleibt seine Frau handlungsunfähig und zieht sich immer mehr in sich zurück, was zu immer größeren Spannungen in ihrer Ehe mit Hannes führt.

Handlung:
Mit dem Verlust Carlas geht jedes Familienmitglied anders um: zum einen der Vater, der sich in der Arbeit sofort vom Dienst freistellen lässt, um sich voll und ganz den Recherchen zum Auffinden seiner Tochter widmen zu können, und der auch sonst alles nur Menschenmögliche unternimmt, um sie zu finden, die Mutter, die in einer Art Schockstarre versunken zu sein scheint und sich immer mehr zurückzieht, und nicht zuletzt der Halbbruder Jakob, der sich nach der Trennung seiner leiblichen Eltern erst vor kurzem seinem Stiefvater angenähert hatte und nun durch den Verlust seiner Schwester wieder sehr verunsichert wird.

Schreibstil:
Bereits auf den ersten Seiten wird man ohne Vorwarnung mit dem Verschwinden der kleinen Carla konfrontiert. In einfühlsamer Weise wird die Odyssee zweier völlig verzweifelter Eltern geschildert, wobei jeder einzelne Charakter sehr ausführlich beschrieben wird. Dies geschieht dergestalt, dass die einzelnen Kapitel immer abwechselnd in der Ich-Form aus der Sicht der Mutter Leonie und dann wiederum in der dritten Person aus Sicht von Hannes verfasst sind. Durch die Ich-Erzählung der Mutter erfährt man zwar einiges über ihren Gemütszustand, trotzdem wird man, gerade was sie betrifft, über die Beweggründe ihres Tuns oftmals im Unklaren gelassen. 
Zu den Hintergründen des Verschwindens des Kindes legt die Autorin geschickt und subtil verschiedene Fährten, die den Leser in mehrere Richtungen denken lassen, sodass dieser über den tatsächlichen Verbleib des Babys bis zum Schluss im Unklaren bleibt. 

Charaktere:
Hauptaugenmerk wird hier auf die beiden Eltern der kleinen Leonie gelegt und ihrem jeweiligen Umgang mit dem schmerzlichen Verlust ihres Kindes. Hannes, der Vater, wirkt dabei in seiner Rastlosigkeit sehr authentisch, während Leonie in ihrer Teilnahmslosigkeit beim Leser Unverständnis hervorruft. Irgendwie scheint sie sich zu rasch mit dem Gedanken abzufinden, ihre Tochter niemals lebendig wiederzusehen: es ist nicht nur so, dass sie selbst keine Hoffnung mehr auf ein Wiedersehen mit ihrem Kind hegt, man gewinnt sogar den Eindruck, dass sie jegliche Hoffnung, an die sich Hannes wie ein Ertrinkender an einen Strohhalm klammert sofort im Keim zu ersticken versucht. Dieses negative Umgehen mit der Situation lässt sie zeitweise nicht wirklich sympathisch erscheinen. Geht es allerdings um das Wohlergehen ihres Sohnes Jakob – wie etwa im Sorgerechtsstreit mit dessen leiblichen Vater Andreas – erwacht im krassen Gegensatz zu Leonies sonstiger Passivität ihr Kämpferherz. 

Cover:
Das Coverbild mit seinen nach außen hin verschwommenen Konturen wirkt sehr beklemmend, man gewinnt den Eindruck als würde etwas Unheilvolles die Familienidylle bedrohen und sich langsam dem Haus nähern.

Autorin:
Cordula Hamann wurde in Hannover geboren. Nach einer juristischen Ausbildung arbeitete sie zwanzig Jahre lang als Unternehmerin im Immobilienbereich bis sie sich ab 2006 immer mehr der Schriftstellerei widmete, mit den Schwerpunkten Krimi, Thriller und Familiendramen. Heute lebt sie mit ihrer Familie abwechselnd in Berlin und in Andalusien. Cordula Hamann ist Vorstandsmitglied im Verein „42er Autoren“, einem Verein zur Literatur-Förderung.

Meinung:
Ein sehr guter und im positiven „anderer“ Roman, der sich sowohl vom Inhalt her als auch durch den ständigen Perspektivenwechsel in angenehmer Weise von anderen Büchern abhebt. Während des Lesens ist die Verzweiflung der Protagonisten regelrecht greifbar, nicht zuletzt durch die unglaublich realistische Darstellungsweise, die dem Ganzen Leben einhaucht. Auch die Wahl des Titels, welcher sich erst auf den letzten Seiten wie von selbst erklärt, rundet die Geschichte optimal ab!

Persönliche Kritikpunkte:
Leider kommt es, bedingt durch mangelhaftes Korrekturlesen, zu einigen kleineren Fehlern, die jedoch den Lesegenuss nicht wesentlich schmälern!

Fazit:
Ein Buch, das definitiv „anders“ ist, wer ein Freund von spannender, nervenaufreibender und subtiler Unterhaltung mit überraschendem Ausgang ist, wird von diesem Buch sicherlich begeistert sein!