Was wäre, wenn?
Bewertet mit 5 Sternen
Archibald Ferguson: Geboren 1947 in Newark, seine Eltern aus jüdischen Immigrantenfamilien, intelligent, sportlich, gesellschaftskritisch. Was kann aus einem solchen Jungen werden? Der Leser begleitet die Entwicklungsgeschichte eines begabten jungen Menschen mit all seinen Herausforderungen von der Kindheit bis zum jungen Erwachsenen. Schon als psychologisch überzeugender Entwicklungsroman wäre dieses Buch lesenswert, doch es ist noch viel reichhaltiger: Zum einen beschreibt Auster Archie als Kind seiner Zeit und lässt die Fünfziger- und Sechzigerjahre und Amerika präsent werden - Rassenkonflikte, Studentenunruhen, der Vietnamkrieg und vieles mehr wird lebendig. Und zum zweiten entwirft Auster vier parallele Erzählstränge von vier Archies, denen unterschiedliche Zufälle zustoßen, die ihre Lebensbedingungen ändern, Einfluss auf ihre Entscheidungen nehmen und schließlich zu verschiedenen Entwicklungen führen.
Auster schenkt uns also nicht "nur" einen Entwicklungsroman, der in geschliffener Sprache und psychologisch überzeugend fesselt, er zeichnet auch ein zeitgeschichtliches Portrait von Amerika in der Mitte des 20. Jahrhunderts, und gleichzeitig stellt er die philosophische Frage nach der Determiniertheit des menschlichen Lebens: Welchen Einfluss haben Anlage und Umwelt, und inwieweit ist ein Mensch tatsächlich frei in seinen Entscheidungen?
Ich fand diese vier parallelen Leben Archies beim ersten Anlauf verwirrend und habe einen zweiten Anlauf gebraucht, bei dem ich mir kurze Notizen über die jeweiligen Lebensumstände gemacht habe, um mich besser zurechtzufinden. Dann aber - wow! Und neben diesen vier Archies habe ich gedanklich einen fünften Lebenslauf gestellt: Auch Paul Auster wurde 1947 in Newark geboren, und viele Details dieses Buches haben autobiographische Züge. Was wäre, wenn - und welche Umstände haben zu seiner Entwicklung geführt?
Dieses Buch ist eins meiner Lesehighlights der letzten Zeit. Ich habe mir dreierlei vorgenommen: mehr von Paul Auster zu lesen, etwas über Paul Auster zu lesen und einige der Bücher, die Archie liest, noch einmal oder auch zum ersten Mal zu lesen.
Kommentare
wandagreen kommentierte am 18. Februar 2018 um 14:06
Yes. *absolutzustimm*. Ich höre den Roman gerade. Und auch noch auf englisch, gelesen von Paul Auster himself. Aber von der ersten "Zeile" an, wurde Auster mein neuer Lieblingsautor. Ein Meister. Kann mich deinem Fazit voll anschließen!