Rezension

Was weiß Jean wirklich?

Die Witwe - Fiona Barton

Die Witwe
von Fiona Barton

Bewertet mit 4 Sternen

★★★★

Jean Taylor kämpft seit vier Jahren gegen die Anfeindungen an, die sie ertragen muss, seit ihr Mann unter dem Verdacht steht, ein kleines Mädchen entführt und getötet zu haben. Sie hielt all die Jahre zu Glen, wurde immer einsamer – und dann überfährt ein Bus ihren Mann. Jean ist nun völlig allein und die Reporter stürzen sich geradezu auf sie. Kate Waters gelingt es, Jeans Vertrauen zu gewinnen. Sie logiert sich mit Jean in ein edles Hotel ein und möchte deren Seite der Geschichte erfahren. Auch DI Bob Sparkes möchte endlich die Wahrheit erfahren. Er ist vom Fall abgezogen worden, ermittelt aber heimlich weiter. Jean beginnt zu erzählen …

 

Fiona Barton hat mich von der ersten Seite an für die Geschichte gewonnen. Kaum ein Charakter in ihrem Roman ist „normal“, alle sind auf ihre Weise besonders, ausgefallen, extrem, speziell – anders, eben. Das ist nicht negativ gemeint, denn ich finde, das Buch lebt davon. Mir sind auch die unsympathischen Protagonisten irgendwann ans Herz gewachsen, denn man kann ihre Motivation verstehen, ihre Probleme nachvollziehen und hat auch Mitleid mit ihnen, weil sie mit allem völlig allein dastehen – alle, nicht nur Jean.

 

Der Stil liest sich flüssig, die Perspektivwechsel sind sehr gelungen. Man kommt nicht aus dem Lesefluss, auch wenn die Sicht wechselt. Teils vervollständigt genau das auch das Bild und sorgt für Verständnis für die jeweilige Situation. Besonders Jean beschäftigt den Leser und fordert ihn auch.

 

Als Außenstehender fragt man sich immer und immer wieder, wo Bella ist, wie es ihr geht, ob sie gerettet werden kann. Man neigt dazu, jeden einzelnen Protagonisten schnell zu verurteilen, denn alle agieren völlig anders, als „man“ sollte. Und genau das hat bei mir das Gegenteil ausgelöst: ich habe über diese Reaktion der Menschen nachdenken müssen und versucht, von einem anderen Standpunkt aus die Sache zu sehen. Und da kippte dann vieles und ich fand eine ganze Reihe Schuldiger.

 

Fiona Barton ist nicht nur eine gute Beobachterin, sie schafft es auch, Journalismus von einer anderen Warte aus zu zeigen. Die Spannung bleibt die ganze Zeit über gleich, um ganz am Ende noch eine echte Explosion zu liefern. Wer aber erwartet, dass „etwas passiert“, wird enttäuscht werden. Die Spannung entsteht hier nämlich durch all das, was eben nicht passiert.

 

An keiner Stelle wird irgendetwas zu brutal, zu bildhaft dargestellt. Das finde ich besonders gut, da eins der Hauptthemen des Buches Pädophilie ist. Auch die Informationen rundum sind so gehalten, dass man versteht, was gesagt werden muss, aber nichts wirklich ausgesprochen oder übertrieben dargestellt wird. Weder in die eine noch in die andere Richtung. Das mag bei manchen die Spannung etwas beschneiden, für mich erhöht sie es.

 

Nur der Schluss ist für mich nicht ganz so rund und gelungen. Hier hätte ich mir ein wenig mehr „danach“ gewünscht (wenn ich deutlicher werde, spoilere ich und das mag ich nicht). Deshalb vergebe ich für diesen ansonsten herrlich gelungenen Erstling der Autorin vier Sterne. Und ich bin gespannt, was sie sonst noch für die Leser auf Lager hat. Ihr nächstes Buch lese ich definitiv auch!

★★★★ (ړײ)¸¸.•´¯`»