Rezension

Was würdest du tun, wenn man dir vorschreibt, wen du zu lieben hast?

Cassia & Ky 01. Die Auswahl
von Ally Condie

Bewertet mit 4.5 Sternen

Würdest du die Sicherheit eines totalitären Systems deiner Freiheit vorziehen? Würdest du tun, was man dir sagt, ohne Fragen zu stellen? Oder würdest du deinen Gefühlen folgen, selbst wenn man dich dafür bestrafen würde?

 

Um diese Fragen dreht sich Die Auswahl. Cassia lebt in einer Gesellschaft, die strengen Regeln folgt. Alles ist vorgeschrieben: Welches Essen man zu sich nimmt, welche Freizeitaktivitäten und Berufe man ausüben darf und schlussendlich sogar welcher Partner der Richtige für einen ist.
Als Cassia mit siebzehn auf dem so genannten Paarungsbankett ihren zukünftigen Mann kennen lernen soll, ist sie freudig überrascht, dass es ihr bester Freund Xander ist. Doch dann taucht auf dem Mikrochip mit Xanders Daten, den sie erhält, ein fremdes Gesicht auf: Das von Ky. Und plötzlich drängt sich ihr die Frage auf, ob das System nicht einen Fehler gemacht hat.

 

Condie wirft den Leser mitten in ihre Welt hinein. Aus Cassias Perspektive schildert sie in der Ich-Form deren Lebensumstände Stück für Stück. Nur langsam enthüllt sich das wahre Ausmaß dessen, auf welche Weise das System die Gesellschaft regelt und kontrolliert: Die täglichen Essensrationen, der streng eingeteilte Tagesablauf, die beschränkte Auswahl an Unterhaltungsmöglichkeiten. Dabei baut die Autorin eine bedrückende Atmosphäre auf, in der die Figuren schon beinahe emotions- und antriebslos scheinen. Nur ab und zu blitzt ein Fünkchen Gefühl hindurch, anfangs vor allem durch die Nebencharaktere, während es einem deutlich schwer fällt, sich in Cassia hineinzuversetzen. Sie wirkt oft so steril wie ihre Umwelt und bringt ganz selten ihren Unmut über gewisse Umstände zum Ausdruck, als hätten die Gesetze und Normen sie derart abgestumpft, dass sie sich mit einer Situation sehr schwer tut, die nicht bis ins Kleinste festgelegt ist. Der einfache und schnörkellose Schreibstil unterstützt diesen Eindruck so auffällig, dass ich zuerst Bedenken hatte, ob ich jemals Sympathie mit der Protagonistin haben würde.

 

Doch das ändert sich allmählich, als ihr Großvater stirbt und Ky in ihr Leben tritt. Man spürt ihr Befremden und gleichzeitig ihre Neugier auf diesen seltsamen Jungen, der so anders ist als sie selbst. Man erlebt mit, wie sich die beiden Schritt für Schritt an den jeweils anderen herantasten, sich kennen lernen, sich zaghaft verlieben. Und das immer in der Angst, dass ihr Geheimnis entdeckt werden könnte. Cassia verändert sich mit jeder Seite, nicht zu radikal, sondern genau ihrem Wesen entsprechend und das macht das Buch zu etwas Besonderem. Hier findet kein brutaler Umbruch statt, hervorgerufen durch ein Verbrechen, das niemand tolerieren kann. Hier ist es die Begegnung mit einer anderen Lebenshaltung, die einen Menschen verändert. Und ein einzelnes Gedicht dient als Funke, der etwas in Cassia berührt und sie schließlich dazu bringt, sich auf ihre Art gegen das System zu wenden.

 

Ally Condie beschreibt in Die Auswahl eine Gesellschaft, wie sie in nicht allzu ferner Zukunft möglich sein könnte. In der man seine Freiheit zugunsten von Sicherheit und einem vorgeschriebenen Tagesablauf aufgibt. In der einem das Denken und die Macht, eigene Entscheidungen zu treffen, abgenommen wird zugunsten des Wohles aller. In der die Menschen in Klassen eingeteilt werden, die nicht alle dieselben Rechte besitzen. Und in der eine Abweichung von der Norm schwer geahndet wird. Und sie bewerkstelligt das mit Hilfe eines Schreibstils, der genau zu diesen Zuständen passt.
Im Nachhinein betrachtet ist es genau das, was die Geschichte ausmacht. In einer solchen sterilen Welt wären große dramatische Emotionsstürme völlig fehl am Platz. Erst durch das Zaghafte, die leise Veränderung in Cassias Persönlichkeit kommen die wahren Gefühle, die sie für Ky hegt, richtig zur Geltung und berühren einen auf eine Weise, die einen lange nicht mehr loslässt.