Rezension

Welchen Luxus sind uns unsere Daten wert? Wie viel will ich wirklich von mir verraten – und zu welchem Preis?

Bluescreen - Dan Wells

Bluescreen
von Dan Wells

*Worum geht's?*
Los Angeles im Jahre 2050: Der technische Fortschritt scheint nichts mehr unmöglich zu machen. Immer mehr Arbeiten werden von Robotern erledigt, fehlende Körperteile werden durch widerstandsfähigere Prothesen ersetzt und durch Djinnis, Implantate im eigenen Kopf, ist man nicht nur nonstop online, sondern auch dazu in der Lage, die eigenen Sinne zu überlisten. Für Marisa Carneseca und ihre besten Freundinnen, die sich als Team zusammen im Online-Spiel Overworld an die Spitze der Weltrangliste kämpfen, ist das Leben ohne die modernen Technologien kaum noch vorstellbar. Als jedoch eine Datei in Umlauf gerät, die auf ihre Nutzer wie eine Droge wirkt und die Djinnis beeinflusst, beginnt Marisa an den Vorteilen der Technik zu zweifeln. Denn wenn du 24 Stunden lang im Netz bist, bist du auch 24 Stunden lang für deinen Feind angreifbar … 

*Meine Meinung:*
Mit „Bluescreen“ gibt es endlich Lesenachschub von „Partials“-Autor Dan Wells! Auch im Auftakt seiner neuen Serie geht es in die Zukunft, auch wenn seine neue Dystopie futuristischer aufgebaut ist. Im Los Angeles des Jahres 2050 muss sich Protagonistin Marisa nicht mit dem Ende der Menschheit auseinandersetzen, sondern mit den Tücken des modernen Fortschritts. Durch so genannte Djinnis – Implantate, die direkt in den Kopf an das eigene Nervensystem angeknüpft werden – ist man permanent im Netz. Nonstop miteinander verbunden. Es werden im kaum noch Geräte genutzt, um miteinander zu kommunizieren, der Alltag wird durch das Steuern verschiedener Roboter durch bloße Gedanken enorm erleichtert und auch das Spielen wird durch virtuelle Realitäten völlig neu definiert. Nur wenige Menschen haben sich keine Djinnis implantieren lassen. Für Marisa und ihre Freundinnen unverständlich, ist ihnen das wahre Leben doch viel zu langweilig und trist geworden.

Der Einstieg in „Bluescreen“ ist mir aufgrund des hochmodernen Settings alles andere als leichtgefallen. Obwohl mir dank meines Studiums und meiner privaten Interessen so mancher technische Fachbegriff wohlbekannt ist, fühlte ich mich durch den abrupten Start mit Marisas Welt überfordert. Zu Beginn bestimmen viele Gaming-Szenen den Roman, wodurch einem als Leser eindeutig vor Augen geführt wird, wie Marisas Leben mit all den technischen Hilfsmitteln funktioniert. So faszinierend das Setting jedoch wirken mag, ebenso anstrengend und mühselig lesen sich die ersten Kapitel. Bis sich ein Lesefluss einstellt, der nicht der Atmosphäre einer Informatik-Vorlesung gleicht, vergehen etwa hundert Seiten. Das Durchhalten wird allerdings belohnt. 

Hat man sich erst einmal an Marisas Lebensstil gewöhnt und die Möglichkeiten, die die Djinnis ihren Trägern ermöglichen, verstanden, gewinnen Neugierde, Faszination und Spannung die Überhand. Dann endlich entpuppt sich der Auftakt als der futuristische Thriller, den man sich von Anfang an erhofft hat. Gut recherchiert und komplex durchdacht, wie man es von Dan Wells kennt, liest sich „Bluescreen“ wie ein wirklichkeitsnaher Blick in unsere Zukunft. Die realistische Darstellung füttert das Bedürfnis, selbst in die Seiten einzutauchen und die virtuellen Realitäten auszuprobieren. Während Marisa wie selbstverständlich mit den modernen Technologien umgeht, genießt man sie als Leser mit einer gehörigen Portion Vorsicht, die auch zwischen Dan Wells‘ Worten allgegenwärtig ist. So sicher das Internet auch sein mag, das Netz ist voller Schlupflöcher … und nach der letzten Seite wird so mancher Leser sicherlich seine Passwörter ändern!

In „Bluescreen“ gibt es keine schwarz-weißen Strukturen, keine eindeutigen Aufteilungen in Gut und Böse. Das merkt man der Technologie, die ihre Vor- und Nachteile mit sich bringt, eindeutig an. Noch deutlicher spürt man es aber an den Charakteren. Weder Protagonistin Marisa noch ihre Freunde sind klassische Helden ohne Fehler und auch die vermeintlichen Antagonisten haben durchaus gute Absichten. Dass Dan Wells mit unterschiedlichen Facetten spielt und seinen Figuren nicht dem typischen Schema entsprechen, macht die Charaktere in „Bluescreen“ interessant, bringt aber auch seine Schattenseiten mit sich: Einen klaren Sympathieträger, mit dem ich emotional mitgefiebert hätte, fand ich zwischen Marisa und ihren Freunden nicht. „Bluescreen“ wurde für mich daher mehr von der spannenden Handlung als von den Charakteren getragen, was sich allerdings nur marginal auf den Lesespaß auswirkte. 

Auch wenn „Bluescreen“ im Jahre 2050 angesiedelt ist, kann man Parallelen zu unserem alltäglichen Leben nicht verleugnen. Auch wenn unsere Technologien noch nicht so ausgereift sind, entwickeln sie sich doch ganz klar in diese Richtung. Dan Wells zeigt deutlich, welche Vorteile seine futuristische Weltvorstellung mit sich bringt, sensibilisiert aber auch für mögliche Gefahren und Risiken. Dadurch liest sich „Bluescreen“ nicht nur wie ein mitreißender Sci-Fi-Thriller, der sich ab der zweiten Hälfte als echter Pageturner beweist, der Roman regt auch zum Nachdenken an. Wir sind bereits beinahe 24 Stunden online, dauernd erreichbar, überall auffindbar. Wie viel wollen wir von uns tatsächlich preisgeben? Welchen Luxus sind uns unsere Daten wert? So schwierig der Einstieg in „Bluescreen“ für mich war, so atemlos habe ich das Buch zugeschlagen. Die Fortsetzung der „Mirador“-Saga wird bereits sehnsüchtig erwartet!

*Fazit:*
Mit „Bluescreen“, dem Auftakt der „Mirador“-Saga“, gibt es endlich Lesenachschub von Dan Wells. Auch diesmal nimmt der Autor seine Leser mit in die Zukunft. Atmosphärisch wird es allerdings nicht endzeitlich, sondern durch und durch futuristisch: Im Jahre 2050 besitzt beinahe jeder Mensch ein Djinni, ein Implantat im Kopf, durch das man nonstop online sein kann. Da das Djinni direkt mit dem eigenen Nervensystem verbunden wird, bietet es unfassbare Möglichkeiten – und ebenso viele Gefahren. Protagonistin Marisa muss sich den dunkelsten Abgründen des Netzes stellen, das ihr Leben so maßgeblich geprägt und beeinflusst hat. Nach anfänglichen Startschwierigkeiten beweist sich „Bluescreen“ als packender Sci-Fi-Thriller, der nichts von klassischen Schwarz-Weiß-Strukturen hält. Das macht den Roman so interessant wie faszinierend. Vor allem regt Dan Wells in seinem neuen Buch aber zum Nachdenken an: Welchen Luxus sind uns unsere Daten wert? Wie viel will ich wirklich von mir verraten – und zu welchem Preis? Mit welchen Konsequenzen? Nach diesem Roman habe ich umgehend meine Passwörter geändert … Für „Bluescreen“ vergebe ich schwächelnde 4 Lurche.