Rezension

Welt ohne Kontakt

Palace of Glass - Die Wächterin
von C. E. Bernard

Rea hat ein Geheimnis. Sie lebt in einer Welt, in der eine Berührung eine Sünde - genau wegen der Gefahr die von ihr und ihresgleichen ausgeht. Durch eine Berührung kann sie die Gedanken der Person spüren und sie kann sie verändern. Diese Fähigkeit wird streng geahndet. Die einzige Möglichkeit für Rea ihre Sucht nach Berührungen zu befriedigen - und das sind illegale Kämpfe. Dort wird sie aufgespürt und als Bodyguard für den Prinzen rekrutiert, dessen Leben in Gefahr ist.

Ein typischer YA-Roman, dachte ich. Bei solcherlei Romanen stehen die Chancen 50:50, dass mir das Buch zusagt, oder das ich gefühlte hundert mal die Augen verdrehe, weil es dem Roman einfach nicht gelingt, mich zu berühren. Ich hoffte natürlich auf ersteres - und wurde nicht enttäuscht. Im Gegenteil - ich war angenehm überrascht über den Weltenbau und die Charaktere.
Zunächst einmal zum Weltenbau - Stellt euch einfach mal vor, wie es wäre vollkommen ohne Berührungen auskommen zu müssen. Nicht der freundliche Händedruck eines Bekannten, nicht die sanfte Berührung eines Freundes. Und auf dieser Basis hat die Autorin ihre Welt erschaffen. Die Menschen züchtig verhüllt, der Alltag streng reglementiert und sogar in den U-Bahnen gibt es Felder, wo ein Mensch stehen kann und sich gefälligst kein anderer rein zu drängeln hat. Und das alles nur aus Furcht - Furcht vor den Magdalenen, die den Geist eines Menschen manipulieren können. Allein diesen Gedanken finde ich vor allen in unserer heutigen Gesellschaft ziemlich spannend - denn es mündet in der Frage - mal fern ab von Phantastik - welche Gedanken und Emotionen eigentlich noch hausgemacht sind und welche uns eingegeben werden von den Medien, vom Privaten oder vom Arbeitsumfeld. Und wie viel Respekt sollte man eigentlich davor haben?
Spannend und fantastisch verpackt wurde diese Thematik in dem vorliegenden Werk.

Die Hauptrolle, aus deren Augen wir die Welt wahrnehmen, spielt Rea, eine junge Schneiderin und verborgene Magdalena. Zu Beginn erkunden wir London - ein London voller Reglementierungen, Kleiderordnungen und Dünkel, die mich wirklich manchmal erschreckt haben. Ob Kummerbünde, in die die Hände geschoben werden oder Marienkrägen, die das Gesicht möglichst hoch verdecken - alles wird hier dafür getan, dass sich die nackte Haut nicht berührt. Andererseits gibt es verborgene Orte - Babylon, in denen Berührungen angeboten werden wie Ware und in denen die Magdalenen Unterschlupf und Erleichterung finden. Ehrlich, ich wäre in einer solchen Welt auch süchtig nach der kleinsten Berührung. Rea selbst kommt eigentlich ganz Tough und abgeklärt rüber und ist mir erstaunlich wenig auf die Nerven gefallen. Auch nimmt man bei ihr eine spürbare Entwicklung im Laufe des Buches wahr, was ich stets begrüße. Ich bin ihr gerne durch London und später in den Palast gefolgt. Reas Sichtweise ist ebenso durchzogen von Erinnerungen an ihre Zeit in Amerika, sodass der Leser neugierig wird, welches Puzzleteil ihres Charakters denn als nächstes an ihren Platz rückt.
Generell blieb kaum ein Charakter eindimensional oder blass, sei es der Prinz, seine Leibwächter (oh, ich mochte insbesondere Blanc sehr gerne!) oder Reas Bruder Liam.

Manchmal war ich jedoch erstaunt über die Grausamkeit, mit der die ein oder andere brutale Gegebenheit geschildert wurde. Ob die Schilderungen immer notwendig waren oder nicht, sei dahin gestellt. Jedenfalls haben sie dafür gesorgt, dass mir die Reas Welt um einiges düsterer vorkam, als es vielleicht ohne sie der Fall gewesen wäre.

Die Actionszenen haben mir im übrigen sehr gut gefallen - sehr temporeich und ohne unnötige Längen. So machen mir solche Szenen Spaß.

Natürlich gibt es auch einige Kritikpunkte. Zu Beginn kam mir die Welt vor wie das 18. Jahrhundert und ich war reichlich irritiert, als Rea plötzlich ihr Handy hervorholte oder in die U-Bahn stieg. Doch nach einer Weile gewöhnt man sich daran. Einige Ungenauigkeiten im Plot sind mir noch aufgefallen, auf die ich hier aufgrund von Spoilern nicht näher eingehen möchte.

Das Buch hat mich überraschend gut unterhalten und ich flog nur so durch die Seiten, hatte Rea und ihre Mitstreiter sehr schnell ins Herz geschlossen. Deshalb vergebe ich vier sehr gute Sterne mit Tendenz nach oben. Ich bin sehr gespannt auf den zweiten Teil.