Rezension

Weltschmerz

Niemand verschwindet einfach so - Catherine Lacey

Niemand verschwindet einfach so
von Catherine Lacey

Bewertet mit 4 Sternen

Ein beeindruckendes Debüt. Catherine Lacey schreibt ein Buch, das sich hauptsächlich in der Gedankenwelt einer zutiefst orientierungslosen Frau am Abgrund einer Depression abspielt. Weltschmerz hoch zehn mit durchaus tiefsinnigen und berühend wahren Beobachtungen über das menschliche Miteinander.

Nach und nach erfährt der Leser aus den Gedanken Elyrias, während sie schon in Neuseeland weilt und dort ein Vagabunden-Dasein führt, von den traumatischen Erlebnissen ihrer Vergangenheit: der alkoholkranken Mutter, der toten Schwester, ihrer verfahrenen Ehe. Eigentlich war diese Ehe der Rettungsanker, den das Leben ihr scheinbar nach dem Tod ihrer Schwester zuwarf, denn erst durch diesen hatte sie ihren Mann kennengelernt, der zu Beginn der Beziehung eine ungekannte Ruhe in Elyrias wirbelnde Gedanken brachte.

'Niemand verschwindet einfach so' liefert keine Erklärungen. Es ist ein beobachtendes Buch und warum Elyria handelt wie sie handelt, kann jeder Leser sich anders aus ihren Gedanken und Erinnerungen herleiten. Ihre Vergangenheit liefert Indizien, aber keine Beweise. Um bei Fachbegriffen zu bleiben: Elyrias Mann ist ein Mathematikprofessor und mir gefiel ganz besonders gut, dass Elyrias Gedanken manchmal ähnlich formell formuliert sind wie mathematische Aussagen. Das verleiht der 'emotionslosen' Wissenschaft einen (verdienten) Hauch von Poesie. Wunderbar!
Ihre Einschätzungen der zwischenmenschlichen Chemie und der inneren Welt eines jeden von uns werden für mich am treffendsten mit dem schönen deutschen Wort 'Weltschmerz' beschrieben. Irgendwie stimmt man bei vielem intuitiv zu, doch die meisten von uns leben trotzdem anders weiter und nehmen nicht alles so schwer.

Was Elyria auf ihrer Reise lernt, verrät uns der Buchtitel. So sehr man sich auch zurückzieht und von seinen Lieben entfernt, ganz 'weg' ist man trotzdem nie und irgendwie holen einen die Bindungen an das zurückgelassene Leben wieder ein. Mir hätte es besser gefallen, wenn es in der Ehe von Elyria keinen Anlass gegeben hätte, auszubrechen, das hätte für mich zum Konzept 'Weltschmerz' besser gepasst und ihrem Mann nicht so den schwarzen Peter zugeschoben. Das Buch wäre dann noch 'allgemeiner', noch philosophischer gewesen, was ihm meiner Meinung nach gut gestanden hätte. Nichtsdestotrotz sehr lesenswert, dank einer wunderbaren Sprache und vielen tollen, bewegenden Gedanken.