Rezension

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Wenn der Krieg in dir sich nicht befrieden lässt

Das Mädchen im Strom - Sabine Bode

Das Mädchen im Strom
von Sabine Bode

"Es hatte eine Zeit vor dem Krieg gegeben, und nun gab es eine Zeit nach dem Krieg. Auch wer ihn ohne Schaden überstanden hatte, würde ihn künftig in sich tragen.“  ( S. 200) fasst die Jüdin Gudrun Samuel noch keine 30 Jahre alt emotionslos und sehr treffend ihre Situation zusammen. 
Gudrun, die Protagonistin des Debutromans "Das Mädchen im Strom" von Sabine Bode verlebt als Tochter eines wohlhabenden Mainzer Kaufmannes, der nur dem Nachnamen und einem entfernten Hautfetzen im Intimbereich nach noch Jude war, und seiner wohlmeinenden Ehefrau, deren Jüdischsein sich auf seltene Synagogenbesuche beschränkt, eine unbeschwerte Kindheit. Wilhelm Samuel, dieser assimilierte Jude, dessen Liebe zu Deutschland so weit geht, dass er, den die geerbten Schuhhäuser einen großbürgerlichen Lebensstil mit Personal, Familienferien in der Schweiz und zahlreichen Geliebten ermöglicht, sein lautlos in der Schweiz verwahrtes Vermögen von seiner Ehefrau höchstselbst zur Unterstützung der Zentrumspartei heim ins Reich schmuggeln lässt. 
Als junges Mädchen ist sie wild, unkonventionell und mutig. Ein Teenager, der wenig Sinn für die Schule hat, lieber im Strandbad rauchte, den Kohleschleppern auf dem Rhein hinterher schwimmt, oder mit ihrer besten Freundin Margot und deren Rauhaardackel Schnecke die Aufmerksamkeit der Jungs auf sich lenkt. So verliebt sie sich dann auch prompt in den drei Jahre älteren Katholiken Martin. Sohn eines Juristen ohne Ehrgeiz, verheiratet mit einer Ehefrau mit Hitlerportrait über dem Klavier. Eine erste Liebe, die anfangs nur den Elternhäusern nicht genehm ist, dann aber zur "Rassenschande" erklärt, lebensgefährlich für beide ist. Doch sie überlebt.

 

Wenige Jahre später als Wilhelm nicht mehr leugnen kann, dass ihn auch sein Kaiservorname nicht deutsch genug macht, wird Gudrun verhaftet, monatelang, fast täglich von einem perfiden Gestapo Mitarbeiter verhört, der, ihr zugetan, Einfluss auf ihre Haftbedingungen nimmt, und mit ihr zusammen Faust deklamiert. Dann folgen Monate im Frauengefängnis in Mainz, auch dort überlebt sie.  Nach der Haftentlassung  reist sie alleine, gerade 21 Jahre alt, über Moskau mit der Transsibirischen Eisenbahn gen Schanghai. Das Paris Asiens, der einzige Ort, der Flüchtlinge wie sie noch aufnimmt. Die chinesische Stadt ist von Japanern besetzt, überfüllt von Geschäftsleuten in Goldgräberstimmung aus aller Herren Länder und seit Ende der 30er die Grenzen des Westens immer unüberwindbarer wurden, Auffangbecken derer, die keine andere Wahl mehr haben.

Doch Gudrun gelingt es sich auch hier sich den Gegebenheiten anzupassen. Tatkräftig und willensstark wie sie ist, baut sie sich ein eigenes Leben auf. Sie hat Freunde, eröffnet eine Praxis für Krankengymnastik und Massage, hat Liebhaber und versucht ihre mittlerweile verwitwete Mutter nachzuholen. Sie überlebt. Nur wenige Jahre später erweisen sich die Japaner als willfährige Gehilfen des großen Bruder im Geiste, Hitler Deutschland, und die Ärmsten der Armen der chinesischen Bevölkerung und die unliebsamen Immigranten werden in einem viel zu kleinen, hinfälligen, abgesperrten, Bezirk, Hongkew, zusammen gepfercht. Auch hier überlebt Gudrun, wenn dazu auch eine Zweckehe und viel Kraft und Geschäftssinn notwendig sind.

Als die Amerikaner endlich das Lager öffnen, ist sie zwar frei, aber erfährt auch, dass ihre Mutter in einem Konzentrationslager umgebracht wurde, ihre Großmutter und ihr Vater sich der Deportation mit Zyankali entzogen haben, ihre erste große Liebe gefallen ist und sie als Staatenlose entweder nach Deutschland zurück oder aber in China bleiben muss.

Wieder überwindet Gudrun die äußerlichen Hindernisse, geht nach Macau, heiratet dort für wenige Monate einen norwegischen Kapitän, und mit dem wertvollen,  norwegischen Pass, verschlägt es sie über die Philippinen nach London. Dort beginnt sie ein weiteres Mal ganz von vorne, aber nun verlangen das Erlebte, die ständige Bedrohung, das Gefühl des Ausgeliefertseins, die Verluste ihrer Liebsten, all die traumatischen Erlebnisse des Exodus ihr Recht. Wie ein Springteufel aus der Kiste, in die sie all das gestopfte hatte, um zu überleben, kommen die so lange verdrängten Gefühle und legen sich wie eine schwarze Wolke über sie. 

Doch auch diesen Kampf stellt sie sich. Mit Hilfe ihres dritten Ehemannes, einem schon während des Krieges nicht abreißenden Briefwechsels mit ihrer Schulfreundin Margot, die noch rechtzeitig mit ihrer Familie in die USA geflohenen ist, einigen Therapien und der direkten Konfrontation mit Menschen und Orten ihrer Vergangenheit vor Ort in Nachkriegsdeutschland. Anders als ihre Freundin, ihr Mann und viele jüdische Freunde, die keinen Fuß auf den verhassten deutschen Boden setzen wollen.

Dem belletristischen Erstling der Kölner Journalistin und erfolgreiche Sachbuchautorin zum Thema Traumata und Spätfolgen des Krieges liegt die Lebensgeschichte der Mainzerin Gertrude Meyer-Jörgensen zugrunde, die 80 jährig von Bode vor 17 Jahren mehrmals interviewt wurde und 2011 mit 93 Jahren starb. 

Bode hat sich bewusst für die fiktionalisierte, für die Romanform entscheiden, weil „Beim Lesen eines Romans verbinden und verbünden wir uns auf Zeit mit der Hauptperson. Wir zittern mit ihr, wir verlieben uns mit ihr, oder wir fühlen uns ­gedemütigt, denken über Rache nach. Und womöglich bringt es ­Saiten in uns in Schwingung, die wir lange oder vielleicht noch nie wahrgenommen haben.“

Ich glaube nicht das die Fiktionalisierung eines Stoffes automatisch zu einer emotionalen Verbindung von Leser und Romanfigur führt, dass ist meiner Meinung nach auch gar nicht ihr Ziel. Genauso wenig ist Fiktionalisierung notwendig, um eine solche emotionale Verbindung herzustellen. Das kann auch ein Interview oder eine Biografie erreichen.

Für mich ist das Buch eine berührende Lebensgeschichte, spannend nacherzählt, aber das reicht nicht. Mir ist die Erzählung zu wenig literarisch, mir fehlt es am bewussten Einsatz sprachlicher Mittel, an der Fabulierlust der Autorin.