Rezension

Wenn die Realität dich einholt

So, und jetzt kommst du
von Arno Frank

Bewertet mit 4 Sternen

Hand heben, wem das auch so geht: Ich lese gern Ich-Erzähler-Romane, weil mir der Erzähler oft wie ein guter alter Bekannter vorkommt – nur an seinen Namen will ich mich beim besten Willen nicht erinnern.

So gern würde ich jetzt mit dem Protagonisten in die Rezension einsteigen und mir fällt der Name nicht ein. Jürgen Frank heißt der Vater, dem wir das Länderhopping verdanken. Die Mutter der drei Kids heißt Jutta, sie wirkt aber mehr wie eine Chantale oder Monique. Überhaupt sind Jutta und Jürgen ganz schön deutsche, spießige Namen für das schillernde Paar. Jeany heißt die kleine etwas morbid veranlagte Schwester und der Jüngste Spross hört auf den Namen Fabian. Ich bekomme auch locker die Hundenamen zusammen: Schnauz, der Zwerg und der Riese. Gut, das war auch einfach. Aber wie heißt nun Frank Junior? Auf den gesamten 350 Seiten fällt der Name nicht. Mein Sohn, mein Großer, Sohnemann, Junge, Dicker, junger Herr – Zuschreibungen dieser Art gibt es jede Menge. Im Klappentext lese ich, dass der Autor Arno Frank in Kaiserslautern geboren ist, wie der Ich-Erzähler. Er trägt auch den selben Nachnamen wie die Familie im Buch. Sollte es so einfach sein? Arno Frank also? Einen Arno habe ich mir beim Lesen aber nie vorgestellt, eher einen Christian.

Arno oder Christian, der Junge hatte es als Erstgeborener jedenfalls nicht leicht mit seiner schrägen Familie. Leider ist das Schräge hier nicht als positive Zuschreibung gemeint. Vater Frank ist ein Luftikus, Schaumschläger, Hochstapler und schnöder Betrüger. Warum schuften wie die anderen blöden Deutschen, wenn doch auch leichter an Geld zu kommen ist. Der junge Frank erlebt die ersten Lebensjahre in einem netten, überschaubarem Umfeld. Eigenheimsiedlung, Großeltern in der Nähe, vertraute kurze Wege – eine Umgebung, die er aus der Erinnerung gern „mit Karamell übergießen“ würde. Zuckrig, paradiesisch, behütet. So ist ihm die Kindheit dort vorgekommen. Doch dem Vater reicht das nicht. Er will nicht herkömmlich arbeiten und buckeln, er will das Geld leichter verdienen und am Ende muss das Eigenheim daran glauben. Es setzt eine Odyssee ein, in der die Eltern wie Pech und Schwefel zusammen halten und die kleine Familie wie ein fünfblättriges Kleeblatt dem Glück hinterherhetzt. Für ein knappes Jahr fühlt es sich in Südfrankreich auch fast danach an, doch nach diesem Ausflug ins Paradies ist der Fall nur umso tiefer und der Aufprall umso schmerzhafter.

Es geht ein eigenartiger Sog von diesem Buch aus, der viel mit dem jungen Erzähler zu tun hat, der einfach die Zusammenhänge nicht ganz begreifen kann. Dass unlautere Mittel zum Alltag gehören ist ihm unterbewusst sehr klar. Die Polizei ist ein natürlicher Feind, dem es aus dem Weg zu gehen gilt. Doch die Dinge nehmen schnell eine Eigendynamik an, in denen Nicht-Wissen-Wollen der beste Selbstschutz für eine Kinderseele sein kann. Es ist eine merkwürdig faszinierende Familiengeschichte, die Arno Frank in einer ausgewogenen, formvollendeten, ganz leicht überzuckerten Sprache erzählt. Ein Showdown, den man unaufhaltsam kommen sieht und wie die Kinder und Hunde im Auto einfach aushalten muss. Nur zusehen ist möglich, mitleiden, wütend werden, ungläubig der Entwicklung folgen, den Schmerz und die Verwahrlosung der Familie aushalten, die niemand anderes in diese Lage gebracht hat als ihr Familienoberhaupt. Beeindruckend ist der Zusammenhalt in all diesem Wahnsinn und ebenso fassungslos wie schnöde die Familie auseinanderbricht, als hätte einzig die Flucht sie zusammengehalten.

Wie der Sohn stehe auch ich als Leser fragend und etwas verloren vor der Geschichte. Warum ließen es die Eltern soweit kommen? Welches Ziel haben sie eigentlich im Blick gehabt und wie naiv und dumm sind sie gewesen? Arno Frank hat auf diese Fragen keine Antworten oder will sie mir nicht geben. Er erzählt mir einfach seine Geschichte und ich danke ihm dafür.