Rezension

„Wenn man sich nicht mit dem Gepäck beschäftigt…“

Glücksmädchen - Mikaela Bley

Glücksmädchen
von Mikaela Bley

Bewertet mit 4 Sternen

„Wenn man sich nicht mit dem Gepäck beschäftigt…“ Zitat von S. 264

„'Angehöriger' gehörte zu den schlimmsten Worten, die sie kannte. Auf einer Ebene mit Opfer, jemandem, der keinen Einfluss auf seine Lage hatte.“ S. 246
Ellen, Kriminalreporterin eines Stockholmer TV-Senders, weiß, wovon sie spricht. Seit ihrem achten Lebensjahr ist die übrig gebliebene Zwillingsschwester – Elsa starb damals, sie „verschwand“, wie ihre Mutter sagt. Die Familie zerbrach darüber, auch Ellen leidet bis heute. Diesmal – kein „beschädigter Ermittler“ im engeren Sinne, aber eine „beschädigte Kriminalreporterin“ – die ermittelt.

Ellen kann nicht anders – sie fühlt sich zuständig. Und wirklich ist es zu Beginn auch sie, die die Suche nach der verschwundenen Lycke trägt, ein achtjähriges Mädchen, wie ihr eineiiger Zwilling damals, wie sie damals. Die Variation des Themas Trauma ist hierbei allerdings etwas weiter gesetzt, was für mich positiv kann; als gängige Ausgangslage habe ich mich ja damit abgefunden/daran gewöhnt. Insgesamt behält die Handlung dadurch durchgehend einen sehr passend düsteren Charakter.

Konnte die zweite Frau von Lyckes Vater wirklich so eifersüchtig auf das kleine Mädchen sein? Wo war Lyckes Mutter? Zu wem hält der Vater? Gab es Zeugen? Ellen erkennt bei ihrer fieberhaften Arbeit: „Diesen Blick kannte sie aus ihrer Familie – deshalb erzählte sie nie, was passiert war, als sie acht Jahre alt war.“ S. 198 Gleichzeitig scheint Ellen im Handlungsfortschritt ein Opfer von Cybermobbing zu werden.

„Glückskind“ heißt im Original „Lycke“ – „Lycka“ bedeutet auf Schwedisch „Glück“, daher wohl der deutsche Titel ohne für mich nachvollziehbaren Zusammenhang zum Krimi (der eher KEIN THRILLER ist) – aber das nebenbei. Das Debüt ist solide geschrieben, das Ermittlertrauma werte ich inzwischen eher als eine Art „running gag“. Die Auflösung kam für mich überraschend und ist nach meiner Wertung sehr positiv einmal etwas abseits vom Üblichen. Der beste schwule Freund, der als Visagist arbeitet, ist ein wenig klischeehaft, aber nicht unrealistisch und war irgendwann meine Lieblingsfigur. Auch ungewöhnlich, wie mit krimitypischen Hinweisen umgegangen wird, zum Beispiel „Sie sah sich um und erinnerte sich plötzlich an die Mail.
Sie musste sie löschen.“ S. 68f – die Auflösungen in diesem Text folgen oft so gar keinem gängigen Muster, wann immer ich die Hinweise schon für durchschaubar hielt.

Auch wenn es um ein kleines Mädchen geht – es gibt keine übermäßige Gewaltdarstellung.