Rezension

Wenn nichts mehr ist, wie es war...

Warum wir - Carsten Otte

Warum wir
von Carsten Otte

Bewertet mit 5 Sternen

== Buchrückentext: ==

Ein sommerlicher Tag am Baggersee. Es schmeckt nach Pommes, Kinder spielen im Wasser. Jan und Nina genießen das Familienidyll. Er freut sich, zum ersten Mal Vater zu werden, und sie ist glücklich, dass ihre dritte Schwangerschaft gut verläuft. Eher beiläufig erwähnt Nina einen Termin: Babyfernsehen und Bluttest, sagt sie, dann sind wir auf der sicheren Seite. Doch die Ultraschallbilder liefern erste Hinweise auf Fehlbildungen. Nach quälenden Untersuchungen steht die Diagnose fest: Trisomie 13, Pätau-Syndrom. Und jetzt? Was tun? Nina möchte ihr Kind abtreiben. Jan aber will seine Tochter nicht aufgeben. Ein Alptraum beginnt. Wer hat das Recht, sagt er, den Tod des Kindes zu beschließen? Aber soll das behinderte Kind, sagt sie, auf die Welt kommen, um womöglich zu leiden? Beider Argumente greifen nicht – und verschwimmen in Tränen.

== Leseeinrücke: ==

"Warum wir" ist der sehr traurig machende und berührende Roman des Autors Carsten Otte. Wieviel in dieser Lebensgeschichte fiktiv ist und wieviel biografisch, das entzieht sich meiner Kenntnis. Definitiv aber dieses Buch so verfasst, als hätte die betroffenen Protagonisten das in der Handlung Beschriebene tatsächlich so erlebt.

Aus der Ego-Perspektive des werdenden Vaters Jan wird berichtet, wie unbändig er sich auf die Geburt seines ersten Babys und dem Vatersein freut. Nina ist bereits zum dritten Mal schwanger, hat zwei gesunde Mädchen aus erster Beziehung. Sie ist in der 13. Schwangerschaftswoche, als dem untersuchenden Arzt anhand Nackenfaltenmessungen und Sonografie auffällt, dass mit dem ungeborenen Kind etwas nicht in Ordnung sein könnte, er ist sich sogar ziemlich sicher. Weitere prädiagnostischen Untersuchungen werden anberaumt, die mit fast tödlicher Sicherheit ergeben, dass der Fötus an Trisomie 13, dem Pätau Syndrom, erkrankt ist. Im Klartext heißt das, dass das Kind keinerlei Überlebenschance hat. Wenn es nicht bereits im Mutterleib absterben sollte, so wird es außerhalb diesem innerhalb kürzester Zeit tun. Schwerste Behinderungen, wovon ein Loch im Herzen noch das geringste sind, wurden bereits diagnostiziert. Die werdenden Eltern machen sich die Entscheidung nicht leicht, können nicht glauben, dass dieser Schicksalsschlag ausgerechnet sie so hart trifft, wollen weitere Abklärungen, die Augen vor der Wahrheit verschließen, recherchieren und besuchen ein Elternpaar mit gleichem Schicksal….
Dann wird die Entscheidung gefällt und Emma, wie sie ihr kleines Mädchen liebevoll genannt haben, per Notkaiserschnitt in der 19. Woche still geboren. Jan und Nina nehmen Abschied von ihrem Kind, das niemals leben durfte….

Zuerst einmal hat dieser Roman mich sehr sehr traurig gemacht, dass mir während des Lesens sogar Tränen in den Augen standen. Gerade die Szenen der Abschiednahme, wie Jan die sechs kleinen Fingerchen des blutverschmierten Bündels zählt, das ihm kiefergespalten halb lächelnd, halb traurig entgegenblickt. Die Beerdigungszeremonie und immer die Frage "Warum wir?", die man auch umgekehrt hätte stellen können: "Warum Jan und Nina denn gerade nicht?", denn bei der Wahrscheinlichkeitsrechnung einer Trisomie 13 muss es ja ein werdendes Elternpaar treffen. Im Gegensatz zu Nina, die eher wenig emotional und unter Schock stehend reagiert, wirkt Jan viel härter getroffen und scheint an seinem Schicksal zu zerbrechen. Nina wirkt insgesamt eher zurückweisend und kühl, Jan - was ihn mir in diesem Roman etwas unverständlich machte - trifft sich während dieser Zeit sogar mit einer anderen Frau. Insgesamt erleben wir den gesamten Zeitraum von knapp zwei Monaten mit, in dem das Paar von den fröhlich wirkenden werdenden Eltern, über die schockierten und traurig gewordenen werdenden Eltern eines ungeborenen schwerkranken Kindes, bis zu ihrer Elternverwaisung. Alles ist so realistisch, gut recherchiert und detailliert beschrieben, dass man als Leser während des Lesens fast davon ausgeht, dass das Niedergeschriebene so tatsächlich passiert sein könnte und irgendeinem Paar auch passiert gewesen sein wird. Die Handlung berichtet - wie bereits eingangs geschrieben - aus Jans Sicht und spielt sich in drei Handlungsebenen ab: Jan mit Nina, Jan mit Nina in ärztlicher Behandlung und Beratung, Jan nachdenklich alleine oder bei der anderen Frau. So können wir zu jederzeit in seine Gefühlswelt blicken.

Die vier Kapitel verteilen sich auf insgesamt 281 Seiten, die ich in einem Rutsch lesen musste, da mich dieses Schicksal so sehr fesselte, dass ich dieses Buch keinen Moment mehr aus den Händen legen wollte. Selbst zum Glück mit zwei gesunden Kindern gesegnet und nicht mehr in dem Alter und körperlichem Zustand weitere gebären zu können, konnte ich das Gelesene gut verarbeiten und Gott danken dafür, dass uns ein ähnliches Schicksal erspart blieb und wir uns niemals fragen mussten: "Warum wir?".

 

© esposa1969