Rezension

Wenn zweiunddreißig Stunden im Leben fehlen

Mädchentod - Julia Heaberlin

Mädchentod
von Julia Heaberlin

Bewertet mit 4 Sternen

MÄDCHENTOD ist ein Buch, das mir in erster Linie durch das leuchtende, hübsch gestaltete Hochglanz-Cover aufgefallen ist. Da ich unter anderem ein Faible für Psychothriller habe und mich zudem die Inhaltsbeschreibung ansprach, kam ich nicht umhin, die Geschichte um Tessa Cartwright und ihre grauenvolle Entführung zu lesen. Der Titel umfasst einen kurzen Prolog, die Vorkommnisse in drei wesentliche Teile rund um Verhandlung, Verurteilung und Hinrichtungstermin, den Epilog und abschließende Worte: Das Ende. JULIA HEABERLIN erzählt im regelmäßigen Wechsel zwischen Gegenwart und Vergangenheit überwiegend in erster Person Singular aus Sicht der weiblichen Hauptfigur Tessa beziehungsweise Tessie. Weitere Personen kommen erst im letzten Drittel des Buches zu Wort. Einschübe aus dem Prozess runden das Bild insgesamt ab. Achtzehn Jahre nach der Tat kehrt Tessa in das Haus ihrer Großeltern zurück, um damalige Zeichnungen, angefertigt kurz nach der Tat, aus einem Versteck im Keller zu bergen. Diese sind allerdings nicht das einzige Geheimnis, das viele Jahre im Verborgenen liegt. Tessie, wie sie einst genannt wurde, hat sich nicht von ihren Psychiatern knacken, andererseits jedoch zu viele Eindrücke von außen an sich herankommen lassen. Die Verhandlung von Terrell Darcy Goodwin, dem zu Lasten gelegt wird, junge Mädchen ermordet und schließlich ihre Knochen und Körper auf ein Feld geworfen zu haben, war kein Paradestück. Indizien sprechen sogar gegen seine Schuld. Heute mehr denn je. Kurz vor Goodwins Hinrichtung wird der Fall neu aufgerollt. Es wird Zeit, die Karten auf den Tisch zu legen. Tessa ist die einzig Überlebende, doch ihre Erinnerungen sind getrübt. Die Leserschaft weiß durch Inhaltsbeschreibung und Anspielungen in etwa, worum es geht. Doch was damals genau geschah, wird erst Schritt für Schritt, aus unterschiedlichen Zeitrahmen betrachtet, zusammengeführt. Die Herangehensweise der Autorin birgt großes Spekulationspotenzial. Die Spannungskurve ist entsprechend hoch, wenn auch eher latent vorhanden. Durch gemäßigtes Erzähltempo macht sich schnell ein gewisses Unwohlsein breit. Genau die richtige Atmosphäre für derlei Ereignisse. Allerlei Andeutungen und Hinweise lassen die Hirnzellen der Leser rotieren. Wichtige Einzelheiten und Zusammenhänge offenbaren sich trotz gewisser Vorahnungen allerdings erst zum Ende des Buches. Die finale Auflösung zeitweise unerklärlicher Begebenheiten ist nachvollziehbar, allerdings auch etwas zu gut terminiert und alles in allem zu sehr konstruiert. Als Psychothriller fehlt es der Geschichte hier und da an Pepp und Überraschung, als Psychogramm hingegen, zeigt MÄDCHENTOD durchaus Wirkung. Und eines muss man JULIA HEABERLIN lassen: Sie hat gut recherchiert und ihr Wissen zu gegebener Zeit in den Verlauf der Handlung einfließen lassen.

Fazit: MÄDCHENTOD betrachtet Geschworenenprozesse und Todesstrafe mit Argwohn. Das Geschehen um Tessa als traumatisiertes Opfer und Goodwin als fragwürdigen Täter führt zu Unbehagen und Denkprozessen beim Leser. JULIA HEABERLIN erzählt insgesamt eine unterschwellig spannende und vor allem interessante Geschichte.