Rezension

Wer hat Nola getötet?

Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert - Joël Dicker

Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert
von Joël Dicker

Bewertet mit 4 Sternen

Ein Buch im Buch, eine unmögliche Romanze, ein Kriminalfall, Gesellschaftsdrama und Kritik am Literaturbetrieb: Joel Dicker hat für seinen preisgekrönten Bestellseller-Roman einen außerordentlichen Mix zusammengestellt – der durchaus lesenswert und unterhaltsam ist, aber ein paar kleine Schwächen hat. Marcus Goldman, ein aufstrebender New Yorker Schriftsteller, leidet an einer Schreibkrise und sucht deshalb Hilfe bei seinem ehemaligen Professor, dem berühmten Autor Harry Quebert. Dieser lebt recht zurückgezogen im Städtchen Aurora in New Hampshire. Dann wird in Queberts Garten eine Mädchenleiche gefunden. Es handelt sich um die 15-jährige Nola, die 1975 spurlos verschwand. Das Pikante: Der damals 35-jährige Quebert hatte ein Verhältnis mit Nola. Quebert wird zum Hauptverdächtigen, sein Ruf ist ruiniert und ihm droht die Todesstrafe. Marcus glaubt aber an die Unschuld seines Mentors und begibt sich nun auf Spurensuche. Vordergründig wirkt „Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert“ wie ein klassischer „Whodunit“-Rätselkrimi. Bald schon aber merkt man, dass der Roman weitaus komplexer ist: Goldmans Verleger zwingt ihn geradezu den Fall „Harry Quebert“ literarisch auszuschlachten und über seine Recherchen ein Buch zu schreiben. Nach kurzem Zögern sagt Goldman zu. Ihm bleibt ja ohnehin kaum etwas anderes übrig. Durch seine Schreibkrise ist er nämlich sowieso schon vertragsbrüchig geworden und ihm drohen Schadensersatzforderungen seitens des Verlags, wenn er nicht bald ein neues Manuskript abliefert. Durch die verschiedenen Erzählstränge, die der Roman hat, schafft es Dicker auch noch sehr ironisch den Literaturbetrieb und die Vermarktungsmechanismen der Buchbranche zu kritisieren. Und auch Themen wie den Preis des Erfolgs zu behandeln oder die Frage, was Menschen bereit sind alles zu machen, um ein bestimmtes Bild in der Gesellschaft zu wahren. Wirklich gelungen sind der Aufbau und die Dramaturgie des Romans. Mit Hilfe von Rück- und Vorblenden wird der Kriminalfall langsam aufgedröselt, doch immer wenn der Leser denkt, zu wissen wer der Täter ist, kommt doch wieder alles ganz anders. Trotz der vielen Wendungen und Erzählstränge wird die Geschichte aber nie unlogisch und Dicker verliert auch nie den roten Faden. „Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert“ ist durchaus ein spannendes, unterhaltsames Lesevergnügen; warum der Roman aber bei Erscheinen so hochgejubelt wurde, kann ich nicht verstehen. Dafür waren mir die Figuren zu wenig ausgearbeitet und die Geschichte hätte durchaus verdichteter erzählt werden können, so gibt es doch immer wieder ein paar unnötige Wiederholungen. Auch sprachlich war der Roman nichts Besonderes – aufgrund der vielen guten Kritiken hätte ich da etwas Elaborierteres erwartet. Möglicherweise gefällt der Roman so gut, weil man auf recht viel bekanntes trifft. So hat der Roman Anklänge von Nabokovs „Lolita“. Es gab aber auch Szenen die mich an „Clockwork Orange“, „Catch me if you can“ und „Mord ist ihr Hobby“ denken ließen. Alles in allem: Herausragend fand ich den Roman nicht, er hat aber Unterhaltungswert.