Rezension

Wer ist die Maus?

Mr. Mercedes
von Stephen King

Bewertet mit 4 Sternen

8 Tote, mehrere Schwerverletzte und eine traumatisierte Stadtbevölkerung. Das ist die Statistik von Mr. Mercedes, dem Wahnsinnigen, der eine deutsche Limousine in eine Menschenmenge gelenkt hat und der dem Splittern, Krachen und Quetschen der Knochen und Eingeweide laut eigenen Angaben eine ordentliche Erektion verdankt.

Von dieser Erregung schreibt er zumindest dem pensionierten Hodges, denn bisher wurde er nicht gefasst. Hodges - als Cop bis vor kurzem mit dem Fall betraut - hat sich mittlerweile in den Ruhestand zurückgezogen. Nach 40 Dienstjahren ist es ein wohlverdienter Lebensabend, ganz lethargisch, mit der Fernbedienung und seiner Waffe in der Hand. 

Allerdings gibt ihm der Brief von Mr. Mercedes neue Lebenskraft und anstatt sich von dem wahnsinnigen Massenmörder, den Finger auf den Abzug legen zu lassen, nimmt er die Herausforderung an, womit ein gefährliches Spielchen beginnt.

Mir war von Vornherein bewusst, dass Stephen King von üblichen Horror- oder Mysteryelementen absieht und sich diesmal ausschließlich auf die Charaktere beschränkt. Einerseits war ich skeptisch, weil ich gerade den wohligen Horror seiner Bücher liebe, andrerseits sind die Figuren eine von Kings größten Stärken, was mich natürlich neugierig gemacht hat.

Grob zusammengefasst stehen daher die Charaktere Hodges und Brady im Mittelpunkt. Brady ist der irre Mr. Mercedes, der mit dem Cop sozusagen eine Brieffreundschaft beginnt, und Hodges hat es während seiner Dienstzeit als Cop nicht mehr geschafft, den berüchtigten Mercedes-Killer ins Gefängnis zu befördern.

Der laufende Perspektivenwechsel zwischen den Protagonisten haucht der Geschichte eine ergreifende Dramatik ein. Während man mit dem alten Hodges ein Täterprofil erstellt und beschließt, den kranken Knaben auf eigene Faust zu stellen, sieht man durch den glückseligen Brady, wie das alte Wrack langsam in die Falle tappt, nur um vom Cop im Ruhestand zu erfahren, dass er den kleinen Scheißer ins Leere laufen lässt, während Brady schon einen neuen Köder an der Angel hat …

Jedoch konnte mich der Showdown nicht zur Gänze überzeugen. Trotz skurriler Charaktere und Ereignisse, die diesen Szenen einen eigenen Charme geben, wirkte die Handlung zu kalkuliert, wodurch der Endeffekt eben berechenbar war, auch wenn die Vorzeichen noch einmal unvermutet geändert wurden.

Dieses Katz-und-Maus-Spiel in Kings unnachahmlichen Stil war meiner Meinung nach trotzdem einer der besten Krimis der letzten Zeit. Obwohl sich der Autor den gängigen Klischees bedient, schafft er es, ihnen eine einmalige Tiefe zu verleihen, die einen mit sich zieht und einem das Grauen mal von der realistischen Seite zeigt.

© NiWa