Rezension

Werwölfe als Therapie

Schattenblüte. Die Verborgenen - Nora Melling

Schattenblüte. Die Verborgenen
von Nora Melling

*Worum geht's?*
Luisa will sterben. Seit dem Tod ihres kleinen Bruders Fabian hält sie nichts mehr am Leben. Kurz vor dem letzten Schritt wird sie von einem mysteriösen Jungen aufgehalten: Thursen. Er nimmt ihr das Versprechen ab, am Leben zu bleiben. Er und seine Freunde verstehen ihren Schmerz; sie selbst befanden sich in einer ähnlichen Situation. Luisa fühlt sich sehr wohl bei ihnen und verbringt mehr und mehr Zeit mit den Jugendlichen, die im Wald einen Unterschlupf vor dem regen Stadtleben suchen. Sie schenken Luisa neuen Lebensmut. Doch mit jedem Tag, den Luisa mit Thursen verbringt, werden nicht nur ihre Gefühle zu ihm stärker. Sie entdeckt ein Geheimnis: Thursen und seine Freunde sind Werwölfe! Mit jeder Verwandlung verlieren sie Erinnerungen an ihr altes Leben - nur auf diese Weise können sie es ertragen. Aber sie zahlen einen hohen Preis: Je länger sie als Wölfe wandeln, desto schwieriger fällt es ihnen, wieder zu Menschen zu werden. Den beiden bleibt nicht mehr viel Zeit, ehe Thursen für immer ein Wolf bleiben wird.

*Kaufgrund:*
Ich habe das Buch von meinem Schatz zum Valentinstag geschenkt bekommen. Ich hatte mich zuvor noch überhaupt nicht über Nora Mellings Debütroman informiert. Als ich es dann in den Händen hielt, begann ich sofort zu lesen.

*Meine Meinung:*
Mellings Schreibstil hat mich echt umgehauen. Die Geschichte ist aus Luisas Sicht geschrieben und wirkt so authentisch, dass man sich anfänglich zugegebenermaßen nur so schwer in sie hineinfühlen kann: Luisa fühlt sich, als wäre sie innerlich tot. Wer selbst keinen so großen Schicksalsschlag erlitten hat, wird zu Beginn einige Startschwierigkeiten haben. Extrem kurze, abgehackte Sätze und viele Flüche ("Verdammte heile Welt!") zeigen deutlich, wie verzweifelt und einsam Luisa durchs Leben geht. Sie nimmt die Umgebung um sich herum wahr, möchte jedoch nicht daran teilhaben. Dementsprechen wirken die Beschreibungen dazu sehr nüchtern und sachlich, ohne Emotionen. Relativ schnell sind diese Erschwernisse aber überwunden und man fühlt Luisas Trauer beinahe in sich selbst. Je mehr Zeit sie mit Thursen verbringt, desto mehr blüht sie auf. Das ist auch deutlich am Schreibstil zu erkennen: Während vorher alles trocken geschildert wurde, werden nun viel mehr Adjektive benutzt. Dadurch wirkt nicht nur die Umgebung farbiger und lebhafter, auch Luisa selbst zeigt sich aufgeweckter und fröhlicher. Diese Besserung verschwindet schlagartig, als die Protagonistin mit der Wahrheit konfrontiert wird: Thursen ist ein Werwolf. Sie reagiert panisch, und sofort verfällt die Ausdrucksweise wieder ins Nüchterne. Die Leseatmosphäre ändert sich je nach Luisas Gefühlslage. Ich war begeistert, wie perfekt der Schreibstil dies widerspiegelt.

Aber nicht nur Mellings Art zu Schreiben hat mir sehr gut gefallen, auch die Charaktere haben mich begeistert. Die beiden Protagonisten vollziehen einen enormen Wandlungsprozess. Luisa, die zu Beginn Selbstmord begehen wollte, beschreitet einen langen, für sie sehr schmerzhaften Weg der Trauer und der Wut und wird zu einem selbstbewussten, kämpfenden Mädchen. Ihren Wandel kann man besonders gut an ihren Handlungen nachvollziehen. Aber auch Thursen entwickeln sich bemerkenswert. Er hat sich für ein Wolfsleben entschieden, weil er mit der Realität nicht leben wollte. Sein einziger Ausweg war das Vergessen. Für seine Liebe ist er allerdings dazu bereit, sich seiner Vergangenheit zu stellen. Über die Nebencharaktere erfährt man grundsätzlich wenig Hintergrundinformationen. Trotzdem hat keiner von ihnen einen oberflächlichen, platten oder aufgesetzten Eindruck bei mir hinterlassen.

Werwölfe sind in Nora Mellings "Schattenblüte" nicht die, die dem typischen Schema entsprechen. Hier ist das Wolf-sein eher eine Art Therapie, um mit den erlittenen Traumata zurecht zu kommen. Generell fand ich den Ansatz sehr vielversprechend; jede neue Idee, die das Klischee bricht, ist bei mir gerne gesehen.

Es sollte nicht unerwähnt bleiben, dass schwerwiegende Themen wie Selbstverletzung, Missbrauch oder sogar Suizid klar und unbeschönt dargestellt werden. Durch den Schreibstil werden diese Themen - wie bereits erwähnt - nochmal verstärkt. Tragik und Dramatik, Rückschläge und Tote bestimmen den gesamten Handlungsverlauf. Für zartbesaitete Leser ist es daher weniger zu empfehlen.

*Cover:*
Das Cover wurde wunderschön gestaltet! Ich bin zwar immernoch kein Fan von den Frauengesichtern, aber wenigstens steht es bei "Schattenblüte - Die Verborgenen" nicht im Vordergrund. Die Blüte mit den Tropfen hat sofort mein Interesse geweckt. Die Tropfen sind sogar auf das Cover geklebt, also richtig "fühlecht".

*Fazit:*
Nachdem ich das Buch durchgelesen hatte, war ich für einige Momente erst einmal sprachlos; so sehr hat mich die Geschichte um Luisa und Thursen in ihren Bann gezogen. Insgesamt ist es keine schöne Geschichte. Im Gegenteil: Sie ist grausam und voller Verzweiflung, Zorn und Trauer. Die Art und Weise, wie die Autorin mit diesen Theman umgegangen ist und wie sie diese mit der phantastischen Handlung verwoben hat, hat mir sehr gut gefallen. Deswegen vergebe ich volle 5 Sterne. Trotzdem habe ich ein mulmiges Gefühl im Bauch: Nora Melling schreibt derzeit an einer Fortsetzung. Obwohl mich das Buch so begeistert hat, ist die Geschichte für mich mit der letzten Seite trotz des offenen Endes abgeschlossen. Ich weiß nicht, welchen Handlungsstrang sie noch weiter ausarbeiten möchte. Vorraussichtlich im Novemer 2011 werden wir dazu mehr erfahren.