Rezension

Westliche Dekadenz mit unendlich blasiertem Helden.

Das Jahr der Frauen - Christoph Höhtker

Das Jahr der Frauen
von Christoph Höhtker

Bewertet mit 2 Sternen

Dieser Roman ist wohl der letzte Teil einer Trilogie. Vielleicht gucke ich in den ersten Band mal hinein, eines Tages, um zu schauen, was mit diesem unerträglichen Helden los war. Man hätte aber unbedingt im Roman selbst wenigstens einen klitzekleinen Hinweis auf die Vorgängerbände gebraucht, so habe ich den Roman für sich genommen re-zensiert. Das hat er nun davon.

Der Held, der ein Antiheld ist, wie er im Buche steht, heißt Frank Stremmer. Er lebt in Genf und hat einen phantastisch bezahlten Job mit vielen Vergünstigungen in einer weltweit vernetzten PR-Agentur, Global Enhancement Foundation (GEF) und schreibt zusammen mit seinem Kollegen Erik Lynberg an einer „Lügenfibel“, wie er es selbst nennt, an einer gefakten Biographie des obersten Chefs, des Executive Chairmans (EC) Raphael Gonzales-Blanco. Sinngebend ist seine Arbeit nicht.

Blasiert wie er ist, der Antiheld, mit Lust an nichts und auf nichts und insofern auf höchstem Level der Dekadenz lebensmüde und depressiv, sucht er sich Beistand bei einem Psychiater, Herrn Niederegger, und bietet ihm die Wette an, er dürfe sich umbringen, wenn es ihm nicht gelänge, in jedem Monat mit einer anderen Frau zusammenzusein. Der Antiheld nimmt die monatlichen Sitzungen mit dem Arzt jedoch nicht richtig ernst.

Seine Lieblingssätze klingen so: „I don’t know, diese Antwort könnte ich praktisch auf jede Frage geben“ oder „Meistens meine ich nichts mit dem, was ich sage“. Mit diesen zwei Sätzen hätte man die Thematik des Romans schon hinreichend dargestellt. Wozu die vielen anderen Seiten?

Die Darstellung der Blasiertheit und der westlichen Dekadenz, die in nichts Sinn findet und sich selber nicht spürt, ist sicherlich ein wesentliches Plus des Romans. Zusammen mit dem Schluss das einzige.

Der Autor zieht durch das Verhalten des Frank Stremmer das Leben der High Society oder denen, die fast dazugehören, gehörig ad absurdum, mitsamt den Ärzten, die sich von ihnen benutzen und ausnutzen lassen, selbstredend mit hohem Honorar ruhiggestellt. Auch das Existieren von einer gewissen Art von Firmen wird konterkariert, Firmen, die Geld scheffeln ohne Ende, aber keiner weiß, wozu sie da sind. Damit erinnern sie auch an die völlig absurden, in ihrer Höhe überzogenen Boni der Finanzwelt. So ist es kein Zufall, dass der Roman in Genf spielt.

Konterkariert wird also jene Lebensart, die so blasiert und wohlhabend ist, dass sie sich für nichts mehr interessiert, im Letzten nicht einmal für sich selbst und zutiefst unglücklich vor sich hin deprimiert, obwohl sie allen Grund hätte, sich ihres privilegierten Lebens zu freuen.

Diese Thematik könnte durchaus ansprechen. Doch die Begegnung mit den zwölf Frauen, zwölf Monate, das Jahr abbildend, ist niederschmetternd. Es sind rein sexuelle Abenteuer, Onenightstands, ein sich gegenseitiges Benutzen, das mit menschlicher Begegnung rein gar nichts zu tun hat. Ja, gut, das Abgleiten in einen romantischen Chicklitroman kann man Höhtken wahrlich nicht vorwerfen! Dagegen gähnende Langeweile auf allen Ebenen. Einmal wirf der Psychiater ein, Stremmer sei misogyn und hätte Rachegefühle. Stremmer hält dagegen, er möge Frauen, könne ihnen nur nicht nahekommen. Seine Kontakte zu Frauen sind rein sexueller Natur, gerne besucht er Thai-Salons und andere Massagepraxen. Der Roman enthält durchaus Passagen, die ihn in den Rang eines sexistischen Romans platzieren könnten.

Das Unvermögen des Antihelden, normale soziale und menschliche Beziehungen einzugehen, vornehmlich nicht zu Frauen, hätte das Interesse des Lesers wecken können. Wieso? Was passierte? Aber Stremmer hat keine Vergangenheit. Oder eine, die Herr Höhtken dem Leser vorenthält. Kausalitätsfragen werden höchstens gestreift, nie vertieft, nicht beantwortet. Es gab mal eine Frau namens Mari. Es gab mal Drogen. Es gab Liebeskummer. Ei ja, und was weiter, wir hören. Sind neugierig. Aber mehr wird nicht gesagt.

Die Dialoge sind alltäglich, gewollt reduziert, minimalisiert und deshalb mies. Beschreibungen der Örtlichkeiten: sicher, der jeweilige Aufenthaltsort des Geschäftsreisenden ist nachvollziehbar abgebildet, aber wiederum nichts Besonderes. Die Kurzbiographien der Menschen, denen Frank nicht begegnet, sondern, die er sich im Vorübergehen ausdenkt, gerade, um Begegnung zu vermeiden, nicht um sie zu ermöglichen, sind durchaus authentisch, ein Leben könnte so gewesen sein, sie sind aber auch durchaus langweilig. Durch die Bank banal. Es fällt schwer, eine andere Thematik auszumachen im gesamten Roman als blasierte westliche Dekadenz.

Der Schluss ist gut. Aber ein Schluss ist eben nur ein Schluss.

Fazit. Langeweile auf allen Ebenen. Falls es gewollt war, gähnende Langweile darzustellen, ist es gelungen.

Kategorie: Anspruchsvolle Literatur
Longlist des Deutschen Buchpreises 2017
Verlag: Weissbooks, 2017

Kommentare

E-möbe kommentierte am 30. September 2017 um 10:05

Hat er es auch auf die Shortlist geschafft? Dann wäre er für den Buchpreis prädestiniert. Oder habe ich verpeilt, dass und welches Buch gewonnen hat?

katzenminze kommentierte am 30. September 2017 um 13:09

Hat er nicht. Immerhin. ;) Über den Gewinner dürfen wir uns am 9. Oktober freuen.

E-möbe nuschelte am 30. September 2017 um 22:10

Bestimmt freuen wir uns. ^^