Rezension

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Wie fragil unsere Zivilisation doch ist!

BLACKOUT - Morgen ist es zu spät - Marc Elsberg

BLACKOUT - Morgen ist es zu spät
von Marc Elsberg

Bewertet mit 5 Sternen

Ein fast reißerischer, bedrohlich klingender Titel, ein Thriller der besonderen Art, einer, den man vorsichtshalber nur dann anlesen sollte, wenn man Zeit hat, vielleicht an einem regnerischen Wochenende. Was passiert, wenn die Stromversorgung zusammenbricht?

Ausgehend von Italien und Schweden bricht im Winter innerhalb kürzester Zeit das gesamte europäische Stromnetz zusammen. Piero Manzano, früher Hacker und Protestler, jetzt IT- Spezialist, findet heraus, dass in den 'Smartmetern'  (intelligente Stromzähler, gibt es tatsächlich) ein Schadcode aktiviert wurde.

Trotz enormer Schwierigkeiten, weil gleich zu Anfang vieles nicht mehr funktioniert, z.B. öffentliche Verkehrsmittel oder Telefon, schafft er es, sowohl zur Polizei als auch zur Stromgesellschaft zu gelangen, doch man hört sich seinen Verdacht nicht einmal an.

Inzwischen eskaliert die Lage und Elsberg schildert in Episoden, wie das normale Leben total aus den Fugen gerät. Er hat das Buch in Kapitel nach Tagen eingeteilt (Tag 0, Tag 1, etc.) und diese wiederum in kurze Unterkapitel, die sich auf Orte und Personen beziehen. Das spiegelt einerseits formal ein wenig das atemlose Chaos wider, andererseits stellt es die vielen verschiedenen Facetten eines europaweiten Stromausfalls realitätsnah dar, festgemacht an Personen, was ihnen passiert und wie sich ihr Leben verändert.

Katastropheneinrichtungen und -organisationen treten zusammen und versuchen, die Versorgung der Bevölkerung zu organisieren und es wird deutlich, in welch' ungeheurem Ausmaß wir vom Strom abhängig sind. Jeder denkt zuerst an Licht, dann an Kühlschränke, Radio und Fernsehen, die nicht mehr funktionieren, alles sehr unangenehm, aber für eine gewisse Zeit zu ertragen. Wenn man aber weiter denkt, wird das ganze Ausmaß einer unglaublichen Katastrophe deutlich.

Die Mobilität fällt auf mittelalterliche Zustände zurück, wenn der Stromausfall länger dauert, denn Tankstellen können ohne Strom nicht in die Zapfanlagen pumpen. Öffentliche Verkehrsmittel bleiben stehen, Menschen müssen aus U-Bahnen gerettet werden, Reisende stranden in Zügen, auf Bahnhöfen und Flughäfen.

Schlimmer noch: auch die Wasserversorgung hängt vom Strom ab. Dabei ist 'nicht mehr duschen können' noch harmlos. Die hygienische Situation eskaliert, Seuchengefahr kommt auf. Es gibt kein Trinkwasser mehr aus der Leitung.

Die Lebensmittelproduktion stagniert, wird eingestellt, es gibt Kühl- und Transportprobleme. Hunderte Kühe kann man nicht einfach per Hand melken. Sie sterben unter Qualen an entzündeten Eutern. Supermärkte sind leer gekauft, Nachschub kommt kaum noch. Das sind die Folgen von Massentierhaltung, industrieller Lebensmittelherstellung und Belieferungen 'just in time'. Es wird nur noch Bargeld angenommen, denn Automaten funktionieren nicht mehr. Aber viele Menschen haben kaum Bargeld vorrätig.

Das Allerschlimmste: Zwischenfälle in Chemie- und Kernkraftwerken. Auch wenn letztere abgeschaltet werden, müssen die Brennstäbe, selbst die verbrauchten, in den Abklingbecken weiter gekühlt werden. Das wissen wir spätestens seit Fukushima. Notstromgeneratoren werden mit Diesel betrieben, der schnell zu Ende gehen kann. Menschen werden radioaktiv verseucht, Hunderttausende müssen evakuiert werden.

Doch zurück zum Thriller. Manzano kommt in allerlei lebensgefährliche Situationen, aber er und einige Freunde geben nicht auf bei der Suche nach den Urhebern der Katastrophe, radikalen Fanatikern, die alles seit langen Jahren geplant und vorbereitet haben. Fast alle werden gefasst und verhaftet. Vor allem aber findet man den Fehler in der Software, die zum Abschalten etlicher Kraftwerke geführt hat. Europäisch ist alles vernetzt, so dass Ausfälle in einigen sich auf den ganzen Elektrizitätsfluss auswirken. Überkapazitäten führen zu automatischen Abschaltungen.

Kurz vor Schluss gibt es noch einen spannenden Showdown, über den aber hier nichts verraten werden soll. Auch wenn die meisten Hauptpersonen und ihre Familien überleben, es kann kein Happy End geben. Es wird noch lange dauern, bis wieder Normalität eintritt, was immer das heißen mag und was vielleicht neu definiert werden muss.

Nur einige der Probleme: die tagelang nicht benutzten Wasserleitungen sind verkeimt, Klärwerke müssen mit neuen Bakterienstämmen besetzt werden, ganze Landstriche sind durch Chemieunfälle verseucht oder radioaktiv verstrahlt. Die Lebensmittelproduktion muss wieder aufgebaut werden. Hundertausende Tiere sind verendet und die Kadaver müssen entsorgt werden. Millionen Menschen sind tot oder heimatlos.

Welches Motiv hatten die Täter? Sie sind von einem abgrundtiefen Hass auf unser Gesellschaftssystem getrieben und wollen es vernichten, damit daraus Neues wachsen kann, Besseres ... Ihre Kritik an der Gesellschaft scheint durchaus berechtigt:

"... eine Gesellschaft, die von Geld und Macht besessen ist, vom Konsum und von der Unterhaltung und davon, wie sie möglichst viel von allem an sich reißen kann ... für die Menschen nicht zählen, sondern nur Profitmaximierung ... für die Gemeinschaft nur ein Kostenfaktor, Umwelt eine Ressource ist ..."

Was die Substanz ihrer Kritik betrifft, haben sie Recht, die Wahl der Mittel zur Veränderung sind menschenverachtend und terroristisch.

Soll dies nun die Aussage des Buches sein? Ich sehe es als Anregung, eine Diskussion zu beginnen, sich zu informieren, eine kritische Einstellung einzunehmen, wachsam zu bleiben, besonders was Privatisierungen anbetrifft, z.B. der Wasserversorgung.