Rezension

Wie man´s macht, macht man´s verkehrt

Das Monokel
von Barbara Bronnen

Bewertet mit 3.5 Sternen

Dieses Buch von Barbara Bronnen ist ein Versuch ihrer Familien-Biographie.

Andreas Bronnen, der kurz vor seiner Scheidung steht, bekommt einen Brief von seinem Sohn Mathias, in dem er zur Aufklärung über die Geschichte seines Vaters aufgefordert wird. Der Schwiegervater behauptete, der bekannte Autor Arnolt Bronnen sei ein homosexueller Antisemit gewesen. So lange dies nicht aufgeklärt ist, will Mathias nichts mehr mit seinem Vater zu tun haben. Andreas weiß sich nicht besser zu helfen und kontaktiert seine 20 Jahre ältere Halbschwester Barbara, die Autorin des Buches.

Zusammen begeben sie sich auf die Spuren der Familie. Von einer Tante hat Barbara den Nachlass ihres Vaters erhalten und "Das Monokel", trendiges Modeaccessoire des Vaters, der kurz vor der Jahrhundertwende 19./ 20. Jahrhundert geboren ist. Eigentlich ist fast nichts über den Familienhintergrund klar. Ja, irgendwie jüdisch wohl, der Großvater ist aber schon zum Christentum konvertiert. Naja, vielleicht war er aber gar nicht der Vater von Arnolt, denn Arnolts Mutter hatte doch was mit dem evangelischen Priester. Alles ganz schön kompliziert. 

Barbara und Andreas fahren gemeinsam in die verschiedenen Städte, in denen die Familie gelebt hat, nach Schlesien, Galizien, Auschwitz, Berlin, München, ... Sie besuchen sogar die KZs Auschwitz und Buchenwald. Während Barbara versucht, die ideologischen Wandlungen ihres Vaters nachzuvollziehen und dabei einiges über ihre eigene Autorschaft herauszufinden, bleibt Andreas bei diesen Themen immer distanziert. Ja, obwohl er von der jüdischen Herkunft der Familie weiß, spricht er sich für einen Antisemitismus aus. Außerdem flirtet er lieber mit den Frauen oder fährt zu schnell Motorrad, als sich mit der Geschichte auseinanderzu-setzen. So kommt es zu einem Krach der Geschwister. 

Arnolt Bronnen, Sohn eines zum Christentum konvertierten Juden, der den 1. Weltkrieg durchgestanden hat, frühen Erfolg als Schriftsteller hat, im Radio und Fernsehen arbeitet, assimiliert ist, sich dem Antisemitismus bzw. Nationalsozialismus anschließt, Freund von Goebbels etc. und Brecht ist, wechselt mitten im 2. Weltkrieg die Seiten, als er seinen Job wegen seiner irgendwie-jüdischen Herkunft verliert, und wird tatsächlich Kommunist und geht später tatsächlich freiwillig nach Ost-Berlin, wo er Verfechter der DDR wird. Immer auf der Suche nach Anerkennung schwankt er von einem Extrem zum anderen, von einer Ideologie in die komplementär gesetzte. Gleichzeitig kämpft er in seinen literarischen Werken gegen homosexuelle Neigungen und den Tyrannenvater an. Doch eine spätere Anerkennung als Autor bleibt aus. 

Später im Buch kommt es wieder zu einer Annäherung zwischen Barbara, Andreas und Mathias. Die wahren Handlungsgründe ihres Vaters konnten sie zwar nicht alle aufklären, aber während der Reise sind sie sich als Halbgeschwister sehr viel näher gekommen, scheint es. Ja, hier wird viel gekuschelt! Auch mit abgewetzten Teddybären.

Die Machart des Buches ist sehr interessant. Barbara erzählt wie in einem Tagebuch von ihren Reisen mit ihrem rebellischen Bruder Andreas. Sie lässt ihren Briefverkehr miteinfließen und fügt Tagebuch-ähnliche Passagen und Briefe ihres Vaters, der immer in der 3. Person schrieb, hinzu. Während der Erzählung der Reisetagebuchs phantasiert sie die Geschichte bzw. Hintergründe der Familie weiter und kritisiert diese auch.

Insgesamt ein spannender biographischer Roman, der dem Leser die Umstände von rund 150 Jahren (1850- 2000) näher bringt. Der Leser begibt sich mit den Protagonisten auf eine Fahrt in die deutsch-österreichische-galizische Geschichte, seine Ideologien und Kriege und kann sich ein Bild davon machen, wie zerrissen man sein konnte, wenn man diese Zeit - als vermeintlicher Halbjude- durchleben musste. Nebenbei erfährt man noch einiges darüber, wie Barbara, geboren 1938 in West- (Berlin)- Deutschland aufgewachsen ist und mit der Trennung vom Vater umgegangen ist. Sowie vom Aufwachsen Andreas´, geboren 1958, in Ost-Berlin.