Rezension

Wie siehst du mich?

Town - Irgendwo in Australien - James Roy

Town - Irgendwo in Australien
von James Roy

Dreizehn abgeschlossene Kapitel. Dreizehn Berichte von Jugendlichen über ihr Leben, ihren Alltag und besondere Situationen. Jede Geschichte ruft in dem Leser ein anderes Gefühl hervor: Er ist amüsiert, empört, erschüttert. Es entsteht ein bunter Strauß von unterschiedlichsten Personen, Situationen und Emotionen. Dazu trägt auch der wechselnde Sprachstil bei, der die verschiedenen Charaktere der Jugendlichen widerspiegelt.

Jedes Kapitel ist lesenswert und kann für sich allein stehen. Doch eine besondere Dimension bietet die Zusammenschau: Fast alle der Jugendlichen kommen mehrfach vor, und die Sichtweisen der jeweiligen Erzähler sind nicht deckungsgleich. Da ist zum Beispiel Veronica: In der ersten Geschichte lernen wir sie unter dem Namen Ronnie als Freundin von Reece kennen. In der vierten, in der es um ein spontanes Chemieexperiment geht, wird am Rande ihr Spitzname "Carbie" erwähnt - nach dem Element Carbon, Kohlenstoff, das so viele Verbindungen eingeht: Ihr werden zahlreiche Partner zugeschrieben und sie hat den Ruf einer "Schulmatratze". In der fünften Geschichte kommt Ronnie nun selbst zu Wort, und es zeigt sich eine völlig andere Situation: An den Gerüchten ist nichts Wahres. Doch aufgrund ihres Rufes gerät sie in ein Dilemma: Sie soll entweder mit einem ihr zugewiesenen Jungen schlafen oder aber ihr wird nachgesagt, sie habe fünf Jungen auf einer Party "bedient". Einfallsreich windet sie sich heraus aus dieser Falle. Die siebte Geschichte im Stil einer fiktiven Detektivgeschichte zeigt wieder ein anderes Bild von dem Mädchen. Ob sie jemals eine tragfähige Beziehung erleben wird, bleibt offen.

Ähnlich facettenreich zeigt sich das Bild von der angeblichen Streberin Hattie, der Sportskanone Jack oder dem begabten Zeichner Mark. Was ist Schein, was Wirklichkeit? Wie sieht die gleiche Person aus der Sicht von verschiedenen anderen Menschen aus? Die Suche nach Identität, nach einem positiven Selbstbild und einem akzeptierten, wertgeschätzten "Image" bei den peers ist für Jugendliche sehr wichtig. Mit den dargestellten Jugendlichen können sie sich vermutlich zum größten Teil identifizieren. Damit werden aber auch die unterschiedlichen Perspektiven für sie als Leser nachvollziehbar. So kann eine Auseinandersetzung über Identität, Selbst- und Fremdbild, Vorurteile, Gesicht und Masken angestoßen werden.

Auf der Nominierungsliste zum Deutschen Jugendliteraturpreis 2011, Sparte Jugendbuch.