Rezension

Wiederentdeckung

Stoner - John Williams

Stoner
von John Williams

Bewertet mit 5 Sternen

Ein wenig wirkt er aus der Zeit gefallen, der Roman „Stoner“ von John Williams. 1965 erstmals erschienen, ist er jetzt bei der Deutschen Verlagsanstalt erneut aufgelegt worden – und erscheint zum ersten Mal auf Deutsch. Die Kritik der großen Zeitungen war überschwänglich, und auch mich hat der Roman in seinen Bann gezogen.

Nicht dass irgendetwas Außergewöhnliches an dem Buch wäre. Es wird erzählt, nüchtern, zurückhaltend. Fast ohne zu kommentieren schildert uns der Erzähler das Leben eines Kolosses, das Leben des William Stoner.

„Der alte Mann und sein Stolz“ hätte das Buch auch heißen können. Denn William Stoner ist einer, der Zeit seines Lebens Stolz und Würde nicht verliert. Dabei läuft in seinem Leben nur wenig glatt. Das Landwirtschaftsstudium gibt er zugunsten der Literatur auf, wird schließlich Professor für englische Literatur an seiner Universität, ohne dass er eine Karriere anstrebt. Stoner ist einer, der darauf wartet, dass die Dinge auf ihn zukommen, der nur wenig selbst in die Wege leitet. Und er ist einer, der sein Leben immer wieder als Prüfung sieht. Von seiner Ehefrau, die ihn schikaniert, trennt er sich nicht, obwohl sie ihre Tochter immer mehr von ihm zu entfremden versucht und obwohl er eine leidenschaftliche Liebesaffäre mit einer Doktorandin hat. Seine Stellung an der Universität gibt er nicht auf, wechselt nicht an eine andere Uni, als ein ehemaliger Freund gegen ihn zu intrigieren beginnt und ihm jede Menge Steine in den Weg legt.

Ja, William Stoner hätte sein Leben einfacher haben können. Aber er ist nicht der Typ, der Problemen aus dem Weg geht. Er sitzt sie aus. Würde der Roman heute geschrieben, so würde Stoner wohl mit großem Abgang fulminant scheitern oder eben überraschend siegen. Nichts dergleichen geschieht in diesem Roman. William Stoner zieht – man erlaube mir diesen schrägen Vergleich – immer weiter seine Runden, schwimmt unaufhörlich weiter, egal ob es hohen Wellengang gibt oder ob er in flaches Wasser gerät. Einer also, der sich treu bleibt. Der sich nicht verbiegt.

Kann dieser William Stoner glücklich sein? Als Leser kommt man immer mehr ins Zweifeln. Während man anfangs noch glaubt, dass Stoner seine Berufung in der Literatur – und in der Lehre – gefunden hat, trotz seiner Strenge seinen Studenten etwas mitgibt, wird er immer kauziger, resigniert in seiner Ehe, lässt es zu, dass seine Tochter ihm immer fremder wird, weil die eigene Ehefrau sie gegen ihn ausspielt.

Was ist dieser Stoner für ein Kerl, fragt man sich als Leser unentwegt. Mal schüttelt man über ihn den Kopf, mal ist man stolz auf ihn, dass er sich nicht beugt, mal hat man Mitleid mit dem alten, kranken Mann, der so oft hintergangen wird –  und so wird Stoner immer mehr zum Koloss, den man von allen möglichen Seiten betrachtet und der einen trotzdem Rätsel aufgibt.

Das Hörbuch bringt das Stoische, das Stoner innewohnt, gut zum Ausdruck. Der Stimme von Burghart Klaußner, der das Buch ungekürzt liest, mangelt es nicht an Kraft und Stärke, doch ist sie sparsam eingesetzt. Es gibt kein übertriebenes Auskosten der grotesken Szenen, kein melancholisches Wehklagen. Nüchternheit und Klarheit prägen das Hörbuch. Und so muss es bei diesem „Stoner“ auch sein.