Rezension

Wintermädchen

Wintermädchen - Laurie Halse Anderson

Wintermädchen
von Laurie Halse Anderson

Bewertet mit 5 Sternen

"Wintermädchen" ist ein Buch, das besonders durch seine äußere Gestaltung auffällt: Der Schutzumschlag ist durchweg in einem Grauton gehalten, das Cover zeigt zusätzlich einen blauen Schmetterling und eine Haarsträhne. Es wirkt schlicht, aber doch wunderschön und weckt ebenso wie der außergewöhnliche Titel das Interesse am Inhalt.

313 Seiten umfasst dieses Buch und gliedert sich in 65 Kapitel. Diese sind wiederum in mehrere Abschnitte unterteilt.

Geschrieben ist das Buch aus der Sicht der Ich-Erzählerin Lia in der Gegenwartsform. Allein Rückblicke in die Vergangenheit sind in der entsprechenden Form geschrieben.

Am Ende des Buches findet sich eine Danksagung der Autorin, in der man auch etwas über die Entstehungsgeschichte des Romans erfährt.

Die amerikanische Originalausgabe erschien 2009 unter dem Titel "Wintergirls" bei Viking, member of Penguin Group (USA) Inc. Ich finde es gut, dass die deutsche Übersetzung des Titels wortgetreu bleibt.

Meine Meinung zum Buch:
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Bücher über Essstörungen, über Magersucht und Bulimie, gibt es viele. Und jedes von ihnen ist wichtig und lesenswert. So auch dieses Buch von Laurie Halse Anderson. Ich wünsche ihm viele Leser!

Schonungslos und knallhart berichtet die Autorin von den Folgen dieser schlimmen Krankheit. Als Bild dafür präsentiert sie Cassie, die sich zu Tode gehungert hat. Die sich allein in einem Hotelzimmer so oft erbrochen hat, dass ihre Speiseröhre gerissen und sie daran gestorben ist.

Zurück bleibt Lia, einst ihre beste Freundin, die das Versprechen, das dünnste Mädchen der Schule zu sein, halten will. Denn Lia ist weder besonders klug, noch kann sie Fußballspielen oder Schauspielern. Aber wenigstens etwas kann sie erreichen: Sie kann so lange hungern, bis sie nur noch 40 Kilo wiegt. Und um dieses Ziel zu erreichen, tut sie alles: Sie belügt nicht nur ihre Eltern, sondern auch sich selbst. Beschmiert Teller mit Ketchup, damit es so aussieht, als hätte sie etwas gegessen; beschwert ihre Bademanteltaschen mit Geld, damit die Waage mehr anzeigt; zählt Kalorien und nimmt nach dem Essen Abführmittel.

Als Leser fällt es schwer, Lia zu begleiten, ohne eingreifen zu können. Machtlos und mit einem unzureichenden Kopfschütteln verfolgt man ihren Weg von 49 Kilo zu 39 Kilo. Doch so muss es sich auch für Lias Eltern anfühlen, die ihre Tochter nicht erfolgreich zum Essen zwingen können. Übrig bleiben Drohungen, Zwangseinweisungen, Überwachung als Hilfsmittel. Doch diese erreichen Lia kaum.

Die Autorin versteht es sehr gut, Lias Gefühlswelt durch stilistische Mittel und das Schriftbild des Buches zu verdeutlichen. So finden sich in vielen Sätzen durchgestrichene Wörter, die berichtigt werden. Denn Lia ignoriert die Wahrheit, berichtigt und belügt sich selbst, sagt Dinge und nimmt sie gleichzeitig wieder zurück. Kommt dem nicht ein Hilferuf gleich? Gedankenfetzen werden wiederholt, denn Lia dreht sich im Kreis, findet keinen Ausweg aus ihrer Situation. Sobald Lia Nahrungsmittel erwähnt, wird in Klammern deren jeweilige Kalorienzahl angegeben. Denn diese bestimmen Lias Alltag. Mehr als 500 Kalorien möchte sie nicht zu sich nehmen und ihr Leben ist von dieser Kontrolle bestimmt.

Doch Lia muss nicht nur mit ihrer eigenen Krankheit fertig werden, sondern sie hat zusätzlich den Tod ihrer Freundin zu verkraften. Sie leidet an Schuldgefühlen und wird vom Geist ihrer toten Freundin heimgesucht. Dies ist wiederum ein Ausdruck dafür, in welch seelischer Verfassung sie sich befindet.

Der Stil der Autorin ist sehr bildhaft, metaphorisch und ausdrucksstark. Ich finde nur schwer Worte dafür, ihren Stil zu beschreiben, deswegen möchte ich an dieser Stelle einige Zitate nennen, die mir besonders aufgefallen sind:

"Kommas fallen ihr in den Kaffee."

"Gläser stoßen kleine Schreie aus."

"Die Lehrer binden uns an den Stühlen fest und träufeln uns Welten in die Ohren."

Die Zeit, die ich mit dem Lesen dieses Buches verbracht habe, kann ich nicht als schön bezeichnen. Sie war eher geprägt von Dramatik und Entsetzen, Fassungslosigkeit und Unglaube. Aber umso wichtiger ist es, dieses Buch gelesen zu haben.

Mein Fazit:
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Ein schonungsloser und ehrlicher Bericht einer Kranken, die doch nicht gesund werden möchte.