Rezension

Wir sollten nicht vergessen

Die Vergessenen - Ellen Sandberg

Die Vergessenen
von Ellen Sandberg

Bewertet mit 5 Sternen

Kathrin Mändler ist gerade 17 Jahre alt, hat ihre Ausbildung abgeschlossen und bekommt 1944 eine Stelle als Krankenschwester in der Heil- und Pflegeanstalt Winkelberg. Hier trifft sie auf den charismatischen Anstaltsleiter Dr. Karl Landmann. Sie, die sich selbst als graues Mauerblümchen fühlt, nimmt seine Avancen schnell an. Bis sie erkennt, was sich hinter den Mauern der Anstalt abspielt.

Ihre Nichte Vera Mändler beginnt sich 2013 für ein Dossier zu interessieren, das ihrem Cousin Christian wahrscheinlich das Leben gekostet hat. Diese brisanten Unterlagen soll ihre Tante haben.

Aber auch Manolis Lefteris, der sehr sympathische Inhaber eines Münchner Autohauses und Auftragnehmer für besondere Fälle, interessiert sich für seinen Auftraggeber für diese Unterlagen und untersucht alles, um sie in seinen Besitz zu bekommen.

Unter dem Pseudonym Ellen Sandberg schreibt eine meiner deutschen Lieblingsautorinnen Inge Löhnig einen spannenden, interessanten, mich faszinierenden und berührenden Roman über die Geschehnisse in einem kleinen Dorf in Griechenland 1944 und in einer Heil- und Pflegeanstalt aus den letzten Kriegsjahren. Es ist eine Geschichte, die die beiden Handlungsstränge aus der Vergangenheit mit dem Heute verbindet. Eine Geschichte mit einer ganz andere Form der Spannung: aufgeladen, unvorstellbar und erschreckend.

Es geht um Recht, Gerechtigkeit und unsere Justiz, die immer wieder die Augen zugedrückt hat; um Schuld, Schweigen und Sühne; um sexuelle Hörigkeit, Verdrängen und Macht; um Seilschaften, die bis in unsere heutige Zeit reichen. Nach einigen Stellen musste ich mich erst mal wieder fassen um weiterlesen zu können, so sehr hat mich die Erzählung seelisch mitgenommen. Vor allem, weil ich mir immer wieder sagen musste, dass dieser Roman sich an historische Fakten hält. Das war für mich hier und da nur schwer auszuhalten.

Es geht hier zum großen Teil um eine Heil- und Pflegeanstalt in denen Kinder und Erwachsene mit Behinderungen während der Kriegswirren gut aufgehoben sein sollten. Aber leider ging es damals in diesen Häusern wohl zum Teil ganz anders zu. Diese Menschen wurden als lebensunwürdig, als Idioten bezeichnet, sie „nahmen unseren treuen Soldaten das Essen weg“. Solche Aussagen machen mich traurig, wütend und fassungslos. Ganz langsam wurden diese Menschen zu Tode gepflegt.

Es ist mir trotz einiger Stellen, wo ich doch eine Pause brauchte um das Gelesene zu verarbeiten, sehr schwer gefallen, dieses Buch doch immer mal wieder aus der Hand zu legen. So eine spannende, fesselnde und berührende Geschichte habe ich schon lange nicht mehr gelesen. Und sie wird noch lange in mir nachwirken. Vor allem, wenn ich bedenke, wir lange die Geschehnisse von damals ihre Arme zu den heute lebenden Familienangehörigen noch ausstrecken.

Aber auch etwas anderes hat mich stark beschäftigt: Manolis Lefteris – der Mann, der für seinen Auftraggeber (fast) alles tut. Ich habe mich immer wieder gefragt, wie es sein kann, dass ich diesen Mörder sympathisch finde. Ich denke, es ist der Mensch, der mir einfach gefällt, der sich für Unrecht einsetzt und der für seine Familie alles tun würde.

Ellen Sandberg hat einen Roman geschrieben, den ich spannender und fesselnder finde, als manchen Krimi. Keine leichte Kost, aber absolut lesens- und empfehlenswert!