Rezension

Wird komplett Unterbewertet

Ich bin Tess - Lottie Moggach

Ich bin Tess
von Lottie Moggach

Bewertet mit 4 Sternen

Würdest du das Leben eines anderen übernehmen, damit dieser ungehindert Selbstmord begehen kann? Mit diesem Dilemma wird die introvertierte Leila konfrontiert. Sie soll das Internetleben von Tess weiterleben, damit deren Angehörige nichts von ihrem Selbstmord mitbekommen. Überzeugt von einem selbstbestimmten Tod nimmt Leila diese Herausforderung an und anfangs läuft auch noch alles so, wie geplant...

Über dieses Buch scheiden sich jetzt schon die Geister und ich denke, dass schon alleine Aufgrund der Bezeichnung "Thriller" ganz andere Erwartungen geweckt werden, als dieses Buch bietet und bieten kann. Wer trotz des Klappentextes ein actiongeladenes Buch erwartet, wird zwangsweise enttäuscht werden. "Ich bin Tess" ist ein stilles Buch, das keine verzwickten Ermittlungen, wilde Verfolgungsjagden oder perfide Serienmörder bereithält. Nicht im engeren Sinne jedenfalls. All das ist vorhanden, aber es hebt sich deutlich von herkömmlichen Thrillern ab.

Lottie Moggach hat einen sehr angenehmen und einfachen Schreibstil. Doch was sich als leichte Lektüre vorstellt, wird mit jeder gelesenen Seite komplexer und anspruchsvoller. Die Grenzen zwischen den Leben von Leila und Tess verschwimmen zusehends.

Die Geschichte wird in einer tagebuchähnlichen Form aus der Sicht von Leila erzählt. Auch hier sollte man etwas aufmerksamer Lesen, denn man erfährt nicht nur, wie die Geschichte mit Tess zustande gekommen ist und wie Leila Tess Leben übernimmt, sondern auch, was sie jetzt gerade erlebt. Es wechselt sich zwischendurch immer wieder ab.

Leila ist eine introvertierte, intelligente und hochsensible junge Frau, die sich seit dem Tod ihrer Mutter ziemlich eingeigelt hat. Sie lebt ziemlich abgeschottet von der Außenwelt, Freunde hat sie keine und verbringt die meiste Zeit zuhause im Internet, spielt World of Warcraft und treibt sich in einem Philosophieforum namens "Red Pill" rum. Ihr Hauptmerkmal ist eine extreme Naivität, der mich hin und wieder fast in den Wahnsinn getrieben hat. Sie neigt zur Pedanterie und zum Minimalismus. Doch ihre komplette Unfähigkeit das schlechte im Menschen zu sehen, macht sie auch schon wieder unglaublich sympathisch.
Tess hingegen ist das komplette Gegenteil von ihr. Sie ist ein sehr flippiger Mensch, leidet an manischer Depression und führt einen wilden Lebensstil.

Schon alleine die Tatsache, dass Leila eine derart andere Persönlichkeit nachmachen soll, fand ich sehr faszinierend. Unwillkürlich stellt man sich die Frage, ob so was überhaupt möglich ist. Würde es wirklich niemand merken, wenn plötzlich jemand ganz anderes unsere Facebookseite für uns aktualisiert? Auch die Umsetzung fand ich durchaus realistisch und sehr spannend, zumal auch noch ein ziemlich kritischer Unterton mitschwingt, über den man sich mal Gedanken machen sollte. Spannend in der Hinsicht, was Leila sich alles einfallen lässt, um Tess ein neues und schönes Leben zu geben. Die Liebe zum Detail und die Art, wie sie kleinere Probleme mit Tess Freunden und Familienangehörigen meistert. Ihre Beziehung zu Adrian und die Rolle, die er in dieser ganzen Geschichte hat…

Außerdem muss ich gestehen, dass ich mich ziemlich gut ködern lasse. Und geködert wird man besonders am Anfang ziemlich gut. Als das erste Mal die Polizei und die Zeitung erwähnt wurde, ohne dass man einen konkreten Zusammenhang hat, macht einfach neugierig. Die Handlung baut sich interessant auf, bis schließlich alles zusammen passt.

Es mag sein, dass dem ein oder anderen „die Spannung“ fehlt, aber man sollte sich auch von vornherein über eines klar sein: Die Haupthandlung spielt sich vor einem Computer ab und die Thematik ist von Anfang an eindeutig. Die Enttäuschung kann ich jedenfalls nicht nachvollziehen. Der Klappentext hält, was er verspricht und mir wurde genau das geboten, was ich mir vorgestellt habe.