Rezension

Wo zum Teuf'l ist die Ehefrau geblieben?

Der Gentleman - Forrest Leo

Der Gentleman
von Forrest Leo

Bewertet mit 5 Sternen

Wir schreiben das Jahr 1850 im viktorianischen London. Lionel Savage, ein mittelmäßig begabter, jung verheirateter Dichter, befindet sich in einer ausgewachsenen Schaffenskrise. Verantwortlich dafür macht er seine Ehe mit der bildschönen Vivien, da er seit seinem Hochzeitstag keine Zeile mehr zu Papier bringen konnte. Geheiratet hat er sie sowieso nicht aus Liebe, sondern nur des Geldes wegen, um sein poetisch faules Aristokratenleben weiterhin sicherzustellen. Als Ausweg aus dieser verzwickten Lage sieht Savage nur seinen Selbstmord – dieser muss jedoch gut durchdacht und geplant werden, um seinem treuen Butler Simmons keine unnötige Sauerei zu hinterlassen. In diese Überlegungen hinein betritt auf einmal ein unbekannter, unscheinbarer Gentleman sein Arbeitszimmer, welcher sich nach einer anregenden Unterhaltung, in der Savage diesem sein Leid bezüglich seiner Ehe und der damit zusammenhängenden dichterischen Krise klagt, als der Teuf’l höchstpersönlich zu erkennen gibt. Die beiden schließen Freundschaft und kaum ist der Gentleman wieder verschwunden, ist auch seine Ehefrau Vivien wie vom Erdboden verschluckt... Kann es sein, dass Savage seine Frau aus Versehen an den Teuf’l verkauft hat?

Leo Forrest entführt den Leser mitten hinein in ein skurriles, wahnwitziges Abenteuer voll aristokratischem Charme und bitterbösem britischen Humor, das aus der Sicht des Dichters erzählt wird und so für allerlei überraschende Wendungen und ungeahnte Erleuchtungen sorgt. Nach und nach taucht eine bunte Mischung an liebevoll und überspitzt gezeichneten Charakteren am Ort des Geschehens auf, die sich wortgewandte Schlagabtausche liefert, gemeinsam einen Plan zur Rettung der vermissten Ehefrau ausheckt und sich – wie soll es auch anders sein! - in den Wirren zwischenmenschlicher Beziehungen verliert. Dazu gehören, neben dem schon erwähnten versnobten Butler, Viviens abenteuerlustiger, heldenhafter Bruder Ashley, Savages kleine und ziemlich vorwitzige Schwester Elizabeth, ein alter, weiser Buchhändler, ein tollkühner Erfinder und natürlich (wie es sich für einen britischen Roman gehört) ein paar dümmliche Beamte von Scotland Yard. Man bekommt beim Lesen das Gefühl, Zuschauer eines rasanten Theaterstücks zu sein und tatsächlich wurde die Geschichte ursprünglich für die Bühne geschrieben, was jedoch dem Lesegenuss ganz und gar nicht schadet! Der Leser befindet sich ganz im Gegenteil mitten im Geschehen und wird von flotten Dialogen und einer phantastisch anmutenden Handlung in einem Rutsch durch die Seiten getragen – man kann förmlich sehen und hören, wie die Charaktere sich die Haare raufen, sich lautstark streiten oder zu Beinahe-Duellen herausfordern, sich versöhnen und in die Arme fallen; als Theaterstück sicherlich ein Genie-Streich!

Aber auch als Roman funktioniert die Geschichte hervorragend. Forrests Sprache ist locker und einfach und lässt doch sehr gekonnt eine typisch viktorianische Atmosphäre aufleben. Auch die leicht belehrenden, korrigierenden und ironischen Fußnoten des fiktiven Herausgebers, der den egozentrischen Dichter nicht sonderlich gut leiden kann und daher die Erzählung in (s)ein rechtes Licht zu rücken versucht, sorgen für den richtigen Biss im Erzählton und treiben dem Leser mehr als nur einmal Lachtränen in die Augen. Es wird wirklich enorm viel geredet in diesem Roman, weshalb eine Handlung im eigentlichen Sinne kaum existiert und sich im Wesentlichen auf ein Hin- und Herlaufen und Ab- und Auftauchen der Charaktere in verschiedenen „Bühnenbildern“ und Szenen reduziert. Und trotzdem ist diese Geschichte ein großartiger Abenteuerroman, der von scharfzüngigen, klugen und mitreißenden Dialogen gekonnt getragen wird und ein Feuerwerk an exzentrischen Charakteren und Situationen liefert. Sie lässt sich in keine der bekannten Genre-Schubladen stecken und genau das macht ihren ungeheuren Charme aus und hebt Forrests Debüt wohlverdient aus der Masse des seichten Romaneinerleis heraus.

Fazit:

Dieser Roman ist wirklich ganz großes Kino! (oder besser gesagt: Theater ;)) Es handelt sich hierbei um einen lockerleichten Unterhaltungsroman, der jedoch mit keiner einzigen Zeile in seichte Literaturgefilde abdriftet, sondern den Leser stets auf klugem Niveau zu belustigen weiß. Von mir bekommt „Der Gentleman“ 5 Sterne und eine klare Leseempfehlung für alle, die einen very britischen Humor zu schätzen wissen. Am besten trinkt man dazu einen 5-o’clock-tea.

Kommentare

katzenminze kommentierte am 12. Oktober 2017 um 19:04

Das hört sich echt unterhaltsam an. Werde ich mal mal merken. ^.^ Ich liebe es, wenn sich der Erzähler via Fußnote einmischt!

LySch kommentierte am 13. Oktober 2017 um 10:17

Jaaa, ich auch! :D Viele können das ja gar nicht leiden... Das bemängeln die dann nämlich auch an diesem Buch.

Brocéliande kommentierte am 25. Oktober 2017 um 21:23

Ein weiterer Grund, ihn endlich zu lesen!! (Er subbt noch bei mir) LG

LySch kommentierte am 26. Oktober 2017 um 09:38

Jaa, das solltest du unbedingt! Das ist einfach ein echt großes Vergnügen! :)