Rezension

Wow, einfach nur wow!

Böses Blut - Rhiannon Lassiter

Böses Blut
von Rhiannon Lassiter

Bewertet mit 5 Sternen

Ich muss sagen, die Idee zu „Böses Blut“ hat mich besonders gereizt: aufgeschriebene Figuren, die zum Leben erwachen. Und was soll ich sagen, die Geschichte hat mich vollends begeistert!
Sie handelt von einer Patchworkfamilie, die sich nach der Ehe der Eltern zusammenfinden muss. Während sich die beiden Jungs, der (nagelt mich nicht auf die Altersangaben fest, ich bekomme sie nur noch ca. zusammen) 16jährige Roley (eig. Roland) und der 10jährige John gut verstehen, bricht zwischen der 15jährigen Cat(riona) und der 13jährigen Kat(herine) ein wahrer Zickenkrieg (in englischen passenderweise Catfight) aus.
Als beinahe schon letzter Versuch der Eltern unternimmt die Familie einen gemeinsamen Ausflug in das Haus, in dem die verstorbene Mutter von John und Katherine aufgewachsen ist. Dort macht Catriona schon recht bald die Bekanntschaft der Puppe Delilah und ihrer „Drohnen“: Puppen, denen die Gesichter ausgekratzt wurden. Zunächst tut sie die Unheimlichkeit der Puppe jedoch ab.
Während Catriona auf einem Spaziergang ins Dorf mit Roley auf den mysteriösen, sehr anziehenden Jungen Fox trifft, der stets mit einem Pelzmantel unterwegs ist, findet Katherine ein Notizbuch ihrer Mutter, in dem diese gemeinsam mit zwei Freundinnen, vor vielen Jahren ein Spiel und dessen Regeln aufgeschrieben hat. In diesem Spiel mussten dem Namensfresser Namen geopfert werden. Zu diesem Zweck haben die drei Mädchen seinerzeit Figuren aus Büchern gestrichen und diese so dem Namensfresser geopfert.
Roley und John lernen Alice kennen, die im Dorf bei ihrer Mutter und deren Freundin lebt – wie sich später herausstellt, sind diese beiden Frauen die Mädchen, die gemeinsam mit John und Katherines Mutter das Spiel erfunden haben. Die drei haben versucht, das Spiel hinter sich zu lassen, doch die Wesen aus ihrer Fantasie wollen weiterspielen.
Alice, Roley, Katherine, Catriona und John geraten immer tiefer in das Spiel. Die Zickereien der beiden Cats darüber, wer von ihnen den Namen behalten darf enden in einer Katastrophe, die auch Roley und Alice mit sich zieht.
Ich kann wirklich nur eines zu diesem Hörbuch sagen: Wow! Ich wollte ständig wissen, wie es weitergeht. Man tappt ebenso lange im Dunkeln über die wahren Bewandtnisse des Spiels und seiner Figuren wie die Kinder selbst, kann einiges vielleicht vorher erraten, wird aber von anderen Ereignissen und Enthüllen vollkommen überrascht. Das vom Hersteller empfohlene Alter für dieses Buch ist 12 – 15 Jahre. Meiner Meinung nach dürfte es allerdings nach oben gar keine Begrenzung geben. Die Geschichte hätte auch mit älteren Figuren und dadurch für Erwachsene erzählt hervorragend funktioniert. Die Figuren verhielten sich nie wirklich kind(l)ich. Selbst John legt eine gewisse Reife an den Tag – mitunter sogar mehr, als seine beiden Schwestern – die man einem zehnjährigen so vielleicht nicht zutrauen möchte. Auf der anderen Seite ist er vielleicht gerade der am ehesten geeignete, die ganze Situation in dem Haus und mit dem Spiel am ruhigsten anzugehen. Er akzeptiert einfach, dass die Dinge so sind, während sich seine älteren Geschwister erst dagegen wehren, die übernatürlichen Ereignisse als wahr anzunehmen. So ist es auch überhaupt nicht mehr verwunderlich, dass er derjenige ist, der das Spiel durchschaut, versteht und schließlich die Lösung findet.
Catriona hat mit auf ihre Weise besonders gut gefallen. Das Mädchen ist einfach egozentrisch und sieht es nicht ein, auf irgendetwas zu verzichten, dass ihrer Meinung nach ihr gehört. Dabei ist sie nicht missverstanden oder eine Rebellin, die gegen die Ungerechtigkeit der Welt protestiert. Sie ist einfach eine Zicke. Punkt. Sie liebt es, Katherine das Leben schwer zu machen und genießt das richtig. Umso härter trifft es sie, als sie mit Delilah und deren Spielchen konfrontiert wird. Katherines Sticheleien sorgen schließlich auch dafür, dass sich die eigentlich sanftmütige Katherine zu einer sehr drastischen Racheaktion hinreißen lässt. Die Figuren handeln absolut glaubwürdig, bleiben sich treu und machen dennoch die nötigen Entwicklungen durch, die sie auch brauchen, um das Spiel zu bestehen.
„Böses Blut“ schafft, was die anderen Jugendbücher, die mir düstere Geschichten versprachen, nur bedingt vollbracht haben: Es hat mich von Anfang bis Ende gefangen genommen und mich mit auf eine düstere Reise mitgenommen, in der doch immer wieder kleine Lichtblicke vorhanden waren. Die Gefahr ist stets spürbar, man muss sich ständig fragen, wem und was die Kinder trauen können, selbst sich gegenseitig. Ein selbstausgedachtes Spiel, das ein Eigenleben entwickelt, dabei aber nicht wie Jumanji übermäßig in unsere Welt eingreift, sondern im kleinen Rahmen bleibt, dadurch noch beängstigender ist; Figuren, die sich ein paar Mädchen aus Langeweile oder Sehnsucht ausgedacht und zum Leben erweckt haben, in dem sie dem Namensfresser Opfer darbrachten; die Wichtigkeit von Namen, das sind Dinge, die ich auch als Erwachsene sehr faszinierend fand. Dazu kommt die für ein Jugendbuch passende Familiengeschichte, das Miteinander-statt-Gegeneinander und ein wenig Romantik. Ich kann gar nicht anders, als diesem Buch die volle Punktzahl zu geben!