Rezension

Wünderschön, aber ...

S. - Das Schiff des Theseus (Limitierte Auflage)
von J. J. Abrams Doug Dorst

Bewertet mit 3.5 Sternen

Dieses Gesamtwerk zu bewerten, ist wirklich schwierig. Denn einerseits ist es genial, andererseits hat es inhaltlich massive Schwächen. Ich habs mal aufgeschlüsselt:

1. Aufmachung:
Über die Aufmachung muss ich nichts schreiben. Die ist einmalig, das Buch ist wunderschön und ein echtes Erlebnis. Dafür gibt es 10 von 5 Punkten, also mindestens doppelt so viele, wie möglich sind.

2. Das Schiff des Theseus:
Der Roman vom VM Straka, auf dem das Gesamtkonzept basiert, ist ebenfalls ganz wunderbar. Eine Mischung aus unverhohlener Kapitalismuskritik, einem mystischem Agententhriller und einer kryptischen Reise durch die Zeit. Diesen metaphorischen Roman hätte auch Kafka schreiben können und die naseweisen Fußnoten des Übersetzers erinnern zudem an der Kafka-Herausgeber und -Interpreten Max Brod. Man kann den Roman also getrost einfach so lesen, auch weil er sprachlich top und mit einer Metapherndichte aufwartet, die wirklich beeindruckend ist. Den Straka-Roman lese ich sicherlich nocheinmal. 5 von 5 Punkten

3. Die Randkommentare von Eric und Jen
Der erste und zweite Durchgang (ja, man sollte das Buch mehrmals und möglichst in der richtigen Abfolge der Kommentare durchgehen) macht sehr viel Spaß und ist fast schon eine Persiflage auf die Literaturwissenschaft. Da werden Sätze durchanalysiert und ihnen an den Haaren herbeigezogene Bedeutungen zugemessen - also wie im täglichen Uni-Leben ;) Und die Beziehung zwischen Eric und Jen ist ebenfalls toll in diese Buchseitenunterhaltung eingeflochten. Es wird nicht alles ausformuliert, würde zu dieser speziellen Erzählform aber auch nicht passen. Wie sie langsam hinter das Straka-Geheimnis kommen, ist ebenfalls spannend.
Aber dann … bei den nächsten Durchgängen fragte ich mich, worauf es wohl hinausläuft. Schließlich passieren im Leben von Eric und Jen auf einmal seltsame Sachen und ich wollte wissen, auf was die Unstimmigkeiten im Text beruhen. Doch vieles davon wird nicht aufgeklärt, und das lässt einen schalen Geschmack zurück. Da wurden Dinge nicht zu Ende gedacht. Und das hat mich wirklich geärgert, schließlich hat man sich das Begreifen dieses Werks mühsam erarbeitet, hat vor- und zurückgeblättert, manches doppelt und dreifach gelesen, sich Gedanken gemacht. Und dann wird man so kalt stehen gelassen. 1 von 5 Punkten.

Dieses Gesamtwerk hätte so viel mehr sein können, wenn die losen Fäden verknüpft worden wären. Schade um all den Aufwand. Ich bereue es nicht, es gelesen zu haben, aber ich habe den Verdacht, dass von den Autoren und Buch-Konzeptlern hier Form über Inhalt gestellt wurde. Und das ist ärgerlich und dementsprechend hat dieses wunderschöne Werk in meinen Augen nur 3,5 von 5 Punkten verdient. Trotzdem bin ich sehr glücklich darüber, dieses Gesamtkunstwerk im Regal stehen zu haben.

Kommentare

La Calavera Catrina kommentierte am 22. Januar 2016 um 14:41

Ging es vielleichtt nur darum, etwas Besonderes zu erschaffen, was die Leute zum Kauf animiert? Es klingt zu frustrierend, dass ich mich frage, ob das Konzept überhaupt lückenhaft umsetzbar gewesen wäre und man sich dann für "halbe Sachen" entschieden hat. 

Maria Alexandra kommentierte am 22. Januar 2016 um 16:18

Ich fürchte, da hat sich keiner entschieden. Da inhaltlich noch was rauszuholen, wäre ja kein großes finanzielles Problem (also im Gegensatz zu dem extremen Produktionsaufwand der Einleger). Ich tippe mal darauf, dass sich die Autoren nicht von einem Lektor reinreden lassen wollten. Und beim Verkauf - ja, das kann sein, denn etwas Besonderes ist es ja schon und bekommt bestimmt auch noch den Preis für "das schönste Buch".