Rezension

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Wunderschöne Sommernovelle

Die Badende von Moritzburg - Ralf Günther

Die Badende von Moritzburg
von Ralf Günther

Bewertet mit 5 Sternen

leichter Lesespaß, ohne oberflächlich oder seicht zu sein

Ralf Günther gelang eine wunderbare, leichte, jedoch ganz und gar nicht oberflächliche, sauber recherchierte Novelle, Seite für Seite eine Lesefreude. Dazu noch schön gestaltet mit einer Kirchnerskizze auf dem Titelbild und Lesebändchen.

Clara Schimmelpfenninck, wohlerzogene Tochter aus gutem Haus, wird aufgrund von ungeklärter Atemnot in ein Dresdner Sanatorium eingewiesen. Der junge Doktor Brandstetter, begeisterter Freud-Anhänger, verschafft ihr ein paar freie Tage, die Clara nutzt, um in der Moritzburger Schilflandschaft umherzustreifen. Dort stößt sie auf eine außergewöhliche Gruppe junger Menschen, alle nackt, Künstler und ihre Modelle, Freigeister. Vor allem Ernst Ludwig Kirchner fühlt sie sich von der jungen Frau besonders angezogen. Sie erleben eine gemeinsame stürmische Nacht, weit entfernt von Claras bürgerlichen Vorstellungen. Ihr eröffnen sich neue Horizonte durch den zufälligen Kontakt zu den Künstlern. Dennoch bleibt sie in ihrer kleinen Welt gefangen, macht was ihr Vater und die Gesellschaft von ihr erwarten und entschließt sich letztendlich für eine gutbürgerliche, jedoch leidenschaftslose Ehe mit Dr. Brandstetter.

Auf wenigen Seiten schafft es Günther, mir das Leben junger Menschen Anfang des 20. Jahrhunderts näher zu bringen. Er hat auf den letzten Seiten noch "Einige Anmerkungen zum historischen Hintergrund" hinzugefügt, die ich sehr interessant und hilfreich finde. Zum einen werden die gesellschaftlichen Zwänge gut klar, zum anderen gab es aber auch eine Bewegung, die frei sein wollte, gesund und mit der Natur leben wie z.B. Kirchner und die später von ihm in Dresden gegründete Künstlergruppe "Brücke" oder die sog. Lebensreformer, die eine naturnahe Lebensweise, alternative Medizin und Ernährung anstrebten.

Die Novelle ist ein empfehlenswerter Sommerlesespaß und erhält für Inhalt, Titelbild, Stil und Sprache volle 5 Punkte.