Rezension

Wundervoll und intensiv

Schlaft gut, ihr fiesen Gedanken
von John Green

„Hast du Angst?“
„Ein bisschen.“
„Wovor?“
„Kann ich nicht sagen. Es gibt kein Wovor. Ich habe einfach Angst.“ (S. 100)

Zusammenfassung. Aza kämpft mit vielem, vor allem mit ihren Gedanken. Sich mit diesem Hintergrund auf die Suche nach einem verschwundenen Milliardär zu machen, das war sicherlich nicht ihr Plan; und daran, dass sie sich bei der ganzen Sache verlieben könnte, hätte sie sicherlich im Vorfeld auch nicht gedacht. Und so begibt sie sich so weit in ihre eigene Gedankenspirale wie niemals zuvor…

Erster Satz. Als mir zum ersten Mal klar wurde, dass ich vielleicht Fiktion bin, verbrachte ich meine Tage an einer öffentlichen Bildungsanstalt namens White River High im Norden von Indianapolis, wo ich von fremden Kräften, die so übermächtig waren, dass ich sie nicht ansatzweise identifizieren konnte, dazu gezwungen wurde, jeden Tag zu einer bestimmten Uhrzeit Mittag zu essen, nämlich zwischen 12 Uhr 37 und 13 Uhr 14.

Cover. Man darf bei diesen Büchern ja nicht anfangen, die deutschen mit den originalen Coverbildern zu vergleichen. Denn obwohl mir das deutsche Cover echt ganz gut gefällt, fehlt ihm das Bedrohliche der Spirale, das einen nicht unerheblichen Teil dieses Buches ausmacht. Auch den Titel finde ich nicht optimal – Idee und Formulierung gefallen mir schon, er ist allerdings für meinen Geschmack zu wenig griffig. Ich musste schon mehrfach länger überlegen, wie das Buch noch gleich heißt; das wäre mir mit „Turtles All the Way Down“ vermutlich nicht passiert.

Inhalt. Die Story ist etwas weniger „Wir suchen einen Milliardär“ als ich erwartet hatte, und das fand ich gut. Allerdings kann man ihr so unter Umständen vorwerfen, dass insgesamt etwas zu wenig passiert – wir befinden uns stattdessen die meiste Zeit tief in den Abgründen von Azas Gedankenwelt.
Das, was uns als Geschichte vorgesetzt wird, das ist jedoch absolut lesenswert und hatte auch seinen Anteil daran, dass ich das Buch nicht weglegen mochte, nachdem ich begonnen hatte, es zu lesen.

Personen. Naturgemäß, bei einem Jugendroman, der hauptsächlich um die Gedankenwelt eines jungen Mädchens kreist, sind die Figuren ein wichtiger Faktor, der den Unterschied zwischen gut und mies ausmachen kann. Und obwohl ich den Hang dazu habe, mich von Figuren (gerade diesen Jugendlichen) nerven zu lassen, und obwohl Aza so viele anstrengende Charakterzüge besitzt, ist das bei diesem Buch nicht passiert. Es gelingt John Green einfach so unfassbar gut, die gedanklichen Zwänge im Ansatz nachfühlbar zu machen, dass in meiner Kehle ein Kloß zurückblieb und ich viel schlucken musste. Und auch die Charaktere um Aza herum sind großartig, besonders in Daisy konnte ich mich sehr gut hineinversetzen. So glaubwürdig muss man es erstmal beschreiben, das Gefühl, nur die Nebendarstellerin einer um sich kreisenden besten Freundin zu sein – es ist kein gutes.

Lieblingsstellen. „In die Augen kann man jedem sehen. Aber jemand zu finden, der dieselbe Welt sieht, ist ziemlich selten.“ (S. 13)
„Aber so was kann man nicht laut sagen, und man steht vor der Wahl, ob man lügen oder ernsthaft gestört wirken will.“ (S. 38)
„Sorgen sind die angemessene Reaktion auf das Leben. Das Leben ist besorgniserregend.“ (S. 45)
„Und obwohl ich mitlachte, hatte ich das Gefühl, ich würde das Ganze durchs Fenster beobachten, als sähe ich einen Film über mein Leben, statt es selbst zu erleben.“ (S. 73)
„Mir all die Zukunftsszenarien auszumalen, all die Azas, die ich sein konnte, war eine willkommene Auszeit von dem Leben mit dem Ich, in dem ich im Moment feststeckte.“ (S. 102)
„Das Leben reimt sich, aber nie an der Stelle, wo man es erwartet.“ (S. 110)
„Was ich an der Wissenschaft so liebe, ist, dass man beim Forschen eigentlich keine Antworten findet. Man findet nur bessere Fragen.“ (S. 125)
„Sie sagte – mehr als einmal –, der Meteorschauer findet statt, über den Wolken, auch wenn wir ihn nicht sehen. Wen interessiert, ob sie küssen kann? Sie kann durch die Wolken sehen.“ (S. 133)

Fazit. Ich bin sehr begeistert von den Figuren und von der Intensität, mit der hier dargestellt wird, wie schmerzhaft Gedanken sein können, wie beängstigend es sein kann, sich in sich selbst gefangen zu fühlen, und wie sehr die Psyche das tägliche Leben beeinflussen kann. Das macht die kleineren Schwächen, die die Story selbst in meinen Augen hat, mehr als wett; vielleicht ist es sogar eine der Stärken dieses Romans, nicht zu sehr auf tatsächliche Handlung zu setzen.