Rezension

Zar Peter I. und Sankt Petersburg

Die Stadt des Zaren - Martina Sahler

Die Stadt des Zaren
von Martina Sahler

Bewertet mit 5 Sternen

„...Ein Nebeneinander der Gegensätze: die höchste Geistesbildung neben tumber Stumpfheit, überbordender Jubel neben schneidendem Klageschreien, Fülle des Glücks und des Reichtums und tiefstes Elend und Armut...“

 

Wir schreiben das Jahr 1703. Dicht am Flussufer steht Zar Peter. Er hat Ingermanland und Karelien von den Schweden befreit. Nun will er seinen größten Traum verwirklichen. An der Newamündung soll die künftige Hauptstadt des russischen Reiches entstehen – Sankt Petersburg.

Die Autorin hat einen fesselnden und abwechslungsreichen historischen Roman geschrieben. Die Geschichte hat mich schnell in ihren Bann gezogen.

Das Besondere an dem Buch ist, dass den unterschiedlichen Menschengruppen, die eigentlich in das Nirgendwo an der Newa kommen und dafür sorgen, dass eine funktionierende Stadt entsteht, jeweils eigene Kapitel und Erzählstränge gewidmet werden, die sich naturgemäß punktuell überschneiden. Auch die Personen werden gut charakterisiert.

So wird die Widersprüchlichkeit des Zaren an vielen Stellen deutlich. Peter I. ist ein Herrscher mit Visionen. Er möchte das rückständige Russland an die Staaten des Westens heranführen. Vor allem das Leben und die Freiheit in den Niederlande haben es ihm angetan. Vorbild für seine neue Stadt ist Amsterdam. Doch seine Wutausbrüche sind gefürchtet. Selbst seine engsten Vertrauten sind vor einer Ohrfeige nie sicher. Hinzu kommt, dass er Arbeitskräfte für seine neue Stadt braucht und deshalb nichts gegen die Leibeigenschaft unternimmt. Auch die Behandlung der schwedischen Kriegsgefangenen ist grenzwertig. Persönlicher Reichtum und Prunk interessiert ihn weniger. Es gehört zu seinen Eigenschaften, dass er sich selbst im Dreck der jungen Stadt bewegt und versucht, alles unter Kontrolle zu haben. Da unterscheidet er sich völlig von seinem Freund Fürst Menschikow. Wie Peter I. sich selbst sieht, zeigt das folgende Zitat:

"...Ich wäre ein schlechter Regent, wenn ich jedermanns Freund wäre. Ein Zar hat seinem Volk nicht Honig ums Maul zu schmieren, sondern er muss das durchsetzen,was er am besten für alle hält. dass er sich damit Feinde schafft, nimmt er mit innerer Stärke zur Kenntnis..."

Mit geschickten Versprechungen versteht er es, Ausländer in die neue Stadt zu locken. Im Roman nimmt das Leben des deutschen Arztes Richard Albrecht und seiner Familie einen breiten Raum ein. Gerade am Beispiel seiner Tochter Paula wird deutlich, dass im aufstrebenden Russland auch für Frauen eine höhere Bildung möglich war. Italienische Architekten und ein holländischer Zimmermann mit seinem Sohn haben ebenfalls ihren Part im Geschehen.

Zum Aufbau der Stadt werden die Adligen verpflichtet, ihre Leibeigenen in den Dienst des Zaren zu stellen. Ihr Leben ist mit dem eines Sklaven zu vergleichen. Der Adel ist Herr über Leben und Tod. Er bestimmt selbst den Ehepartner.

Der Schriftstil des Buches lässt sich angenehm lesen. Sehr genau werden die Schwierigkeiten beim Aufbau der Stadt geschildert. Sümpfe, Kälte, die unwirtliche Natur und manch Wetterunbilden führen häufig zu Rückschlägen. Für den Zaren aber gibt es kein zurück. Handwerkliches Können und persönlicher Mut werden belohnt. Trauer, Liebe, Hass und Freude sind Emotionen, die die Geschichte durchziehen.

Obiges Zitat zeugt nicht nur von den sprachlichen Feinheiten des Buches, sondern ist auch eine exakte Beschreibung der Lage in Sankt Petersburg während der Bauphase.

Immer wieder gibt es Informationen darüber, was neben der Stadtgründung in der Weltpolitik geschieht. Vor allem die Auseinandersetzung mit Schweden tangiert mehrmals das Geschehen. Aber auch in Russland selbst gibt es Widerstände gegen die Vorstellungen des Zaren.

Natürlich bleibt es nicht aus, dass auch das Familienleben von Peter I. ab und an erwähnt wird.

Schöne Metapher findet die Autorin für den Zauber der weißen Nächte und die unberührte Natur vor den Grenzen der Stadt.

Eine Karte auf der ersten Umschlagseite, ein ausführliches Personenregister, eine Zeittafel und ein informatives Nachwort ergänzen das Buch.

Das Buch hat mir ausgezeichnet gefallen. Gekonnt werden persönliche Schicksale mit dem Bau von Sankt Petersburg und einem wichtigen Stück russischer Geschichte verknüpft.