Rezension

Zeit für Veränderungen

Pirasol - Susan Kreller

Pirasol
von Susan Kreller

Bewertet mit 5 Sternen

2014. Die 84-jährige Witwe Gwendoin Suhr lebt mit der 69-jährigen Thea Hartwig, die sie auf dem Friedhof kennengelernt hat, in der alten Fabrikantenvilla Pirasol. Gwendolin hat ihren einzigen Sohn viele Jahre nicht mehr gesehen, seitdem ihr verstorbener herrischer Ehemann Willem diesen vor langer Zeit aus dem Haus vertrieben hat. Doch plötzlich gibt es die Nachricht, dass dieser sich wieder in der Stadt aufhalten soll. Gwendolin zermürbt sich seitdem mit Schuldgefühlen und lässt ihr Leben noch einmal Revue passieren, angefangen bei ihrer Kindheit über den Krieg bis hin zu ihrer Ehe und dem Verlust des Sohnes. Thea dagegen fühlt sich von der Nachricht bedroht und setzt alle ihr zur Verfügung stehenden Mittel ein, ihr erschlichenes Wohnrecht in der Villa zu verteidigen und nach all den Jahren des Zusammenlebens mit Gwendoline ihre Ansprüche auf Pirasol geltend zu machen. Wird Gwendoline die Kraft aufbringen, sich endlich gegen Thea zur Wehr zu setzen?
Susan Kreller hat mit ihrem Buch „Pirasol“ einen sehr eindrucksvollen und poetischen Roman vorgelegt, der dem Leser noch lange im Gedächtnis bleiben wird. Der Schreibstil besticht durch eine besondere Sensibilität und eigene wunderbare Wortkreationen, die des Lesers Herz anrühren. Schnell versinkt man in dieser Geschichte voller Traurigkeit und Schmerz, jedoch nicht ohne den unterschwelligen Funken namens Hoffnung, dass am Ende alles gut ausgehen wird. Die Handlung lebt von den ständigen Perspektivwechseln zwischen Gegenwart und Gwendolins Erinnerungen an 80 Jahre Vergangenheit. Die Zeitreise durch ein bereits lange gelebtes Leben ist ebenso bildgewaltig wie die gegenwärtige Lebenssituation der beiden Frauen, die beim Leser ein Auf und Ab auf dem Gefühlsbarometer verursachen.
Die Charaktere wurden so individuell wie realistisch geformt und geben dem Leser tiefe Einblicke in ihre Gedanken, ihre Gefühlswelt und ihre Intentionen. Gwendolin ist eine sehr zurückhaltende und stille Frau, die sich Zeit ihres Lebens nie aufgelehnt oder Schwierigkeiten entgegen gestellt hat. Sie hasst sich selbst dafür, ihren Sohn gegenüber dem despotischen Ehemann nicht verteidigt zu haben, doch dafür fehlte ihr die Kraft, hat sie sich doch ihrem Schicksal ergeben. Doch gerade das macht ihr ihr Leben zur Hölle, und sie will diesen Zustand partout noch ändern, endlich selbstbestimmen und Frieden mit sich selbst schließen. Thea ist eine berechnende, starke Frau, die genau weiß, was sie will. Sie kennt keine Skrupel, ihren Willen durchzusetzen, bedient sich der psychologischen Manipulation, um Gwendoline Stück für Stück zu entmündigen.
„Pirasol“ ist ein literarisches Meisterwerk, das dem Leser auf eindrucksvolle Art deutlich macht, dass jeder sein Leben ändern kann, egal in welchem Alter. Es gilt den Willen dazu aufzubringen und dann den Weg unbeirrt zu gehen, ohne sich beeinflussen oder bevormunden zu lassen. Hierfür kann es nur eine absolute Leseempfehlung geben. Chapeau – alles richtig gemacht!