Rezension

Zertrennlich & Ich = langsamer Start, guter Schlussakkord.

Zertrennlich - Saskia Sarginson

Zertrennlich
von Saskia Sarginson

Bewertet mit 3.5 Sternen

Zertrennlich – der Titel spricht eine deutliche Sprache und ein wenig passt er auch zum ersten Eindruck, den ich von diesem Buch hatte. »Zertrennlich« und ich, wir waren nicht von Anfang an ein Herz und eine Seite. Die ersten Kapitel, vielmehr die ersten 50 Prozent des Buches blieben unaufgeregt, beinahe langweilig. Es passierte nicht viel, es sei denn, man wurde von der Geschichte in die Vergangenheit zurückgeworfen. Die Lebendigkeit dieser Rückblenden stand stark im Kontrast zur beinahe statisch wirkenden Gegenwart, wobei ich zugeben muss, dass ich jedes Mal ein wenig Orientierungszeit benötigte, bis mein Geist begriffen hatte, dass die Handlung nun wieder in die Jugend der Zwillinge gewechselt war. Nichts deutete vorher darauf hin, weder Jahreszahlen, Daten noch Kapitelüberschriften. Urplötzlich blendete die Story wieder in die Zeit um 1987, 15 Jahre vor den aktuellen Geschehnissen, und sorgte ein ums andere Mal für zeitweilige Verwirrung. Hier fehlte ganz einfach eine deutlichere Strukturierung der temporalen Abläufe. Zusätzlich zu den Zeitsprüngen wechselte die Autorin ihre Erzählperspektive. Mal berichtete Viola ihre düsteren Eindrücke in der Klinik, während in London das bunte, aufregende Leben Isoltes nachgezeichnet wurde. Violas Figur wurde dabei aus der Ich-Perspektive beschrieben, während Isolte aus personaler Erzählsicht berichtete – vielleicht ein dezenter Hinweis darauf, auf welche Protagonistin Saskia Sarginson den Fokus gelegt hat? Diesen Eindruck wurde ich jedenfalls nicht los.

Zwei Seelen, welche früher als Einheit funktionierten wie zwei Teile eines Ganzen, waren nun distanziert, bar jedweden Vertrauens und durchsetzt von zermürbenden Schuldgefühlen. Viola – in sich zurückgezogen, magersüchtig – verband so gut wie nichts mehr mit ihrer lebensfrohen Schwester. Was also geschah vor 15 Jahren? Was brachte dieses genetisch wie emotional eng  miteinander verbundene Gefüge so dermaßen aus dem Gleichgewicht? Natürlich kann ich euch das nicht verraten, das wäre ein gnadenloser Spoiler – aber die Autorin verstreut derart geschickt hier und da ein paar vage Andeutungen und winzige Informationshäppchen, so dass man sich beim Lesen plötzlich beim wilden Spekulieren ertappt. Den Rest erledigt die natürliche Neugierde – denn man will einfach wissen ob man das Konstrukt richtig zusammengebaut hat oder nicht.

Saskia Sarginson schreibt übrigens mit viel Erfahrung im Hintergrund, denn sie ist selbst Mutter von Zwillingen und bekommt tagtäglich hautnah mit, mit welchem emotionalen Zwiespalt ihre Mädchen zu kämpfen haben. Man hat eben keine 1:1-Kopie von sich selbst vor der Nase, trotz aller Ähnlichkeit sind es zwei individuelle Charaktere mit ganz eigenen Emotionen. Diesen Kampf ums eigene Ich bringt die Autorin in »Zertrennlich« sehr eindrucksvoll zu Papier.

Nach der etwas holprigen Durststrecke der ersten Buchhälfte steigt die Spannungskurve bis zur Auflösung stetig an. Hat man erst einmal genug Informationen aufgesaugt, kommt auch Leben in die gegenwärtige Story, die Storyfäden werden miteinander verknüpft und ergeben ein stimmiges, aber bedrückendes Gesamtpaket. Für die Auflösung ließ sich Saskia Sarginson wirklich bis auf die allerletzten Seiten Zeit – ein zweischneidiges Schwert. Für meinen Geschmack hätte sie der Geschichte noch mehr Tiefe geben können, wenn sie früher auf den Punkt gekommen wäre.

Auch die vagen Andeutungen in der ersten Hälfte des Buches haben die Spannung eher ausgebremst. Natürlich verstehe ich die Intention der Autorin, ihre Charaktere rundherum beleuchten und das Beziehungsgeflecht langsam zu Tage befördern zu wollen. Doch ein wenig mehr Tempo hätte an dieser Stelle nicht geschadet. Gerade die Brisanz des Themas Magersucht kam nicht so gut rüber, wie ich es beim Durchlesen des Klappentextes den Eindruck erweckt hatte.

Sehr interessant hingegen fand ich die zahlreichen Einflechtungen der 70er Jahre Hippie-Kultur. Die Mutter der Zwillinge hatte in einer Kommune gelebt und dementsprechend gestaltete sich auch ihre Lebensphilosophie: druidische Zeremonien, bunte Klamotten, viel Alkohol, ein Leben mit vielen Freiheiten ohne gesellschaftliche Zwänge. Das bot einen für mich sehr spannenden Einblick in dieses bunte, etwas verrückte und naturverbundene Leben. In Verbindung mit einem weiteren Mythos aus der Schublade englischer Geistergeschichten lässt die Autorin eine mystische Komponente einfließen, die für gruselnde Stimmung mit Gänsehaut während des Lesens sorgte. Die Autorin lässt den Großteil ihrer Geschichte an einem Ort stattfinden, den sie selbst wie ihre Westentasche kennt: eine Gegend in Suffolk. Ein Ort mit dunklen, mythisch durchsetzten Wäldern, Sagen rund um geheimnisvolle Wesen, einem verwilderten Kiesstrand und einer vielfältigen Flora & Fauna. Saskia Sarginson ist in diesem Teil Englands aufgewachsen und fand hier die Inspiration für ihre Geschichte.

Mein Fazit: Saskia Sarginsons Jugendroman startete mühsam und blass, doch wusste er sich zu steigern. Ich fühlte mich gut unterhalten, auch wenn die Autorin das Potential dieser Geschichte aus meiner Sicht nicht vollends ausschöpfen konnte. Kritikpunkte wie verwirrende Zeitwechsel und eine starre Gegenwartshandlung schmälerten das Lesevergnügen. Nach der Hälfte des Buches steuerte die Autorin das Ruder endlich Richtung Spannung und packte mich mit mystischen Elementen und einer lebendigen Handlung, bis hin zur (zu) späten Auflösung der Hintergründe. »Zertrennlich« ist ein ruhiges, bedrückendes Jugendbuch mit einem brisanten Hintergrundthema, das einen nachdenklich zurück lässt, aber emotional nicht vollends berühren konnte. Denoch eine Leseempfehlung für all diejenigen, die gerne unterhaltsame Literatur für junge Menschen mit ernster Backgroundthematik lesen.