Rezension

Zu gewollt

Die Schlange von Essex - Sarah Perry

Die Schlange von Essex
von Sarah Perry

Bewertet mit 3 Sternen

Selten langen eine Buchbeschreibung und mein Eindruck von einem Buch so weit auseinander.

„Anmutig und intelligent erzählt dieser Roman - noch vor allem anderen - von der Liebe und den unzähligen Verkleidungen, in denen sie uns gegenübertritt.“

Das ist charmant formuliert. Ja, dieses Buch erzählt anmutig. Sehr hübsch taucht man ein ins viktorianische England und freut sich über wunderbare Beschreibungen. Allerdings wird man in der ersten Hälfte des Buches das Gefühl nicht los, wir haben wirklich viel Ambiente, nettes, ja, aber eigentlich kaum Handlung. Vorrangig tändelt die frisch verwitwete Cora mit dem verheirateten Pastor, dessen elfengleiche Ehefrau zum Glück schon hustet. 

Das Thema „Liebe, die nicht sein darf“ ist natürlich immer dramatisch, nur ist hier von Tragik nichts zu spüren. Was man hier liest ist eher neckisches Geplänkel, das durch diverse Nebenschauplätze ein wenig verschleiert wird.
Zunächst mal ist da der Mythos von einem geheimnisvollen Seeungeheuer, das in der Nähe der Ortschaft Aldswinter umgehen soll. Cora, unkonventionell und wissenschaftlich interessiert, möchte dieses Geheimnis lüften. Allerdings belaufen sich ihre Recherchen auf diverse Spaziergänge, bei denen sie zufällig den attraktiven Pastor trifft.
Ihre Freundin Martha betreut Coras verhaltensauffälligen Sohn, engagiert sich aber nebenher für soziale Belange. Die Wohnverhältnisse der Arbeiterfamilien Londons sind desaströs. 
Stets zur Stelle ist Luke, ein begnadeter Chirurg aus London, dessen Äußeres leider nicht zu seinem Genie passt und sein Kollege Spencer, der, reich, attraktiv und herzensgut, beruflich in Lukes Schatten steht.

Das Personal ist wirklich auffallend originell, was manch einen freuen mag, mir war es deutlich zu gewollt. Dazu kommen noch jede Menge Wirrungen, die mir auch zu bemüht sind. 
Luke liebt Cora, Cora liebt den Pastor, der Pastor kann nicht glauben, dass er Cora liebt, wo doch Stella so wunderbar ist, Spencer liebt Marta und Marta kümmert sich um Luke und Edward. Das ist dann wohl „Liebe und die unzähligen Verkleidungen, in denen sie uns gegenübertritt“.

Dieses Buch hat mich sehr geärgert, obwohl es wirklich hübsch erzählt ist. Mir war die Dramaturgie zu durchsichtig, die Figuren so gewollt individuell, dass sie letztendlich doch nur Klischees sind. Und die Vielfalt der aufgeworfenen Themen bietet natürlich einen Querschnitt von Problemen im viktorianischen England, werden aber an keiner Stelle so vertieft, dass es den Leser mitnimmt. Dazu hätte das Buch wohl den doppelten Umfang haben müssen. 

 

Kommentare

LySch kommentierte am 12. Oktober 2017 um 15:31

Schade schade :-( Auf den Roman hatte ich wirklich ein Auge geworfen... die Handlung klang einfach interessant! Aber so habe ich glaube ich keine Lust darauf... Danke für deine richtig gute Rezi!

Sursulapitschi kommentierte am 12. Oktober 2017 um 18:02

Danke! Aber es finden auch ganz viele großartig.Ich weiß nicht, ob ich der Maßstab bin. :-)

(Ok, es finden auch viele nur halb so gut wie erwartet. :-) )

katzenminze kommentierte am 12. Oktober 2017 um 22:58

Bei mir war es andersherum: Ich habe besonders auf Booktube nur Gutes gehört aber der Klappentext konnte mich nicht so packen. Also lasse ich es lieber! :) Danke für die hilfreiche Rezi.

Besonders der Satz hat es mir angetan! ;D
"...die frisch verwitwete Cora mit dem verheirateten Pastor, dessen elfengleiche Ehefrau zum Glück schon hustet"