Rezension

Zuviele unterschiedliche Erzählstränge

Das Schweigen der Kinder - Sophie Hannah

Das Schweigen der Kinder
von Sophie Hannah

Bewertet mit 3 Sternen

Leider verfolgte "Das Schweigen der Kinder" keine strikte Linie, sondern liess aus unterschiedlichen Perspektiven wiedergegebene Erzählstränge parallel laufen, so dass ich als Leser kaum wusste, wer nun die eigentlichen Hauptfiguren waren, was das Hauptthema der Geschichte war und ja: Worum ging es eigentlich?! Leider war "Das Schweigen der Kinder" somit kein zum Miträtseln einladender Psychothriller, wie ich sie bislang von Sophie Hannah gewohnt war, sondern eine sehr verworrene, kriminalistisch angehauchte Erzählung.

Felicity "Fliss" Benson arbeitet als Filmjournalistin für die Produktionsfirma "Binary Star" und ist heimlich in einen der Firmengründer und somit zugleich ihren Vorgesetzten Laurie, einen ruppigen und exzentrischen Eigenbrötler: Laurie ist ausserdem einer der Hauptverantwortlichen der Organisation JIPAC, welche sich für Eltern(teile) und auch Betreuungspersonen einsetzt, die wegen Kindstötung(en) verurteilt worden sind, hinter denen sich auch Fälle von plötzlichem Kindstod, also eine nicht fremdverschuldete Ursache verbergen könnte. Grösstes Zugpferd der Organisation ist wohl Helen Yardley, die aufgrund des Mordes an ihren älteren zwei Kindern verurteilt worden war, nicht zuletzt da die Hauptsachverständige Dr. Judith Duffy vor Gericht aussagte, es sei "so unwahrscheinlich, dass es ans Unmögliche grenzte, dass beide Kinder am plötzlichen Kindstod gestorben wären". Im später angestrengten Revisionsverfahren wurden Zweifel an Duffys Kompetenz und Glaubwürdigkeit offengelegt und Helen Yardley daraufhin freigesprochen.
Laurie arbeitet mit nahezu fanatischer Besessenheit an einem mehrstündigen Film, in dem er vornehmlich Dr. Duffy diskreditieren möchte: Er will beweisen, dass sie, in ähnlich gelagerten Fällen, wiederholt vor Gericht ausgesagt hat, ein Opfer könne nicht dem plötzlichen Kindstod erlegen sein, obschon dieses nie auszuschliessen war. 
Fliss, die mit diesem Film bislang nichts zu schaffen hatte, ist entsprechend überrascht, als Laurie ihr seinen sofortigen Rückzug aus der Produktionsfirma offenbart und ihr erklärt, ab sofort sei dieser Film ihr Ding. 
Eher halbherzig beginnt Fliss, sich mit der Thematik auseinanderzusetzen, als Helen Yardley ermordet wird und der Täter ihrer Leiche eine Karte mit einem kryptischen Zahlenmuster beilegt: Eine solche Karte hatte auch Fliss zugesendet bekommen, ihr aber keine besondere Bedeutung beigemessen. 
Zudem: Je mehr sie sich mit Inhalten des Laurie-Films auseinandersetzt, desto mehr beginnt sie sich zu fragen, wieso Laurie eigentlich so sicher ist, dass die von ihm vorgestellten Frauen tatsächlich allesamt unschuldig sind, denn eigentlich ist der plötzliche Kindstod in so ziemlich allen Fällen neben der Ermordung nur eine weitere mögliche Todesursache?!
Auch die Polizei beginnt schnell zu ermitteln, ob hier nicht jemand auf einem Rachefeldzug sein sollte ...

"Das Schweigen der Kinder" ist sehr kreuz und quer erzählt: Es beginnt mit einem Interview, bei dem die beteiligten Parteien nur durch ihre Initialen dargestellt sind und da denkt man natürlich schon: "Was, wie jetzt? Wovon reden die da und wer redet da überhaupt?" Die Antworten auf diese Fragen erschliessen sich erst im weiteren Verlauf der Geschichte und zu dem Zeitpunkt, als das Interview für die Geschichte interessant gewesen wäre, hatte ich bereits vergessen, was dort eigentlich besprochen worden war.
Weiterhin wird "Das Schweigen der Kinder" zu weiten Teilen aus der Ich-Perspektive von Fliss erzählt, die anfangs irgendwas von einem "dunklen Fleck auf ihrer weissen Weste" faselt, was man aber sehr lange nicht mit der Handlung in Verbindung bringen kann; logisch; man weiss schliesslich nicht, wovon sie da redet. Ich konnte nicht einmal erahnen, was eventuell gemeint gewesen sein könnte.
Fliss blieb mir im Allgemeinen sehr fremd: Ihr Leben schien sich ausschliesslich um die Arbeit zu drehen und in Bezug auf Laurie sprach sie einerseits von Liebe, schilderte andererseits abers tändig, wie unerträglich der doch sei. Im Gedächtnis blieb mir auch, dass sie sich in einer Szene zu Beginn des Romans über ihre schäbige, unaufgeräumte, absolut nicht geputzte Wohnung ausliess, während schliesslich aber gar ihre Putzfrau, auf die sie keinesfalls verzichten wollte, erwähnt wurde!?  
Ausserdem wurde von aussen auch die Polizeiarbeit dargestellt, sich dabei nicht nur auf die Umstände rund um den Yardley-Mord beschränkt, sondern auch die privaten Scharmützel der Polizisten: Da ist der, der irgendeine Art von Psychokrieg gegen seinen Boss zu spielen versucht, dann das Paar, welches irgendwelche dubiosen Probleme miteinander hat, wobei sie aber auch irgendwie in die Ungnade ihrer Kollegen gefallen war und jetzt nicht länger im Polizeidienst tätig ist (oder doch?, also ich hab's nicht wirklich herauslesen können)... Es wurde so viel aus diesem Kollegium heraus erzählt, dass ich sehr schnell den Eindruck hatte, hier handele es sich um einen mittleren Band aus einer Polizeiromanreihe; tatsächlich kennt man zumindest einige Polizisten beispielsweise bereits aus Hannahs "Still, still" und ich finde es ärgerlich, dass solche Querverbindungen nicht aufgezeigt werden, sondern diese Romane gemeinhin als komplett eigenständige Bücher geführt werden. Da kann man wahrscheinlich nur nach dem Erscheinungstermin gehen, um herauszufinden, in welcher Reihenfolge man die Romane lesen soll und welche überhaupt dieses Polizeiteam beinhalten. 
"Still, still" hatte mir damals ganz gut gefallen, dort nahm ich auch eindeutig einen "psychotischen Einschlag" wahr, wohingegen ich "Das Schweigen der Kinder" definitiv nicht als Psychothriller bezeichnen würde: Meiner Meinung nach ist dies ein recht durchschnittlicher Krimi und mich ärgerte auch, dass hier die Zahlenkombi zunächst als ganz kniffliges Rätsel dargestellt wurde, als einen Code, den man beim Lesen besser im Hinterkopf behalten sollte, weil es einem als aufmerksamer Leser gelingen könne, ihn zu entschlüsseln und als genialen Kniff innert der Handlung auszumachen: Pustekuchen! Letztlich war dies für Ratefüche unlösbar, wobei die tatsächliche Lösung eigentlich so simpel war, dass es nur lachhaft wirkte, dass zuvor gemutmasst wurde, dies sei ein zu schwieriges Rätsel für Tagesmütter und Friseurinnen; abgesehen davon, dass es reichlich irrelevant für die Geschichte war, denn der Fall wäre auch so lösbar gewesen.  

Was nicht so einfach lösbar war, war die Frage, welche verurteilte Kindsmörderin tatsächlich schuldig und welche unschuldig war, da man in keinem Fall ausschliessen konnte, dass das jeweilige Opfer nicht doch am plötzlichen Kindstod verstorben war, ebenso wie man nicht ausschliessen konnte, dass es getötet worden war. 
Dies wurde durch entsprechende medizinische Aussagen bereits von Anfang an deutlich, dass es mich (wie auch Fliss) eher irritierte, dass Laurie prinzipiell auf dieser "ALLE völlig unschuldig (erst recht, wenn Dr. Duffy beteiligt war)!"-Schiene fuhr und nie auch nur in Betracht zog, dass tatsächlich die eine oder anderer seiner Schützlinge eine Kindsmörderin sein könnte. 
Mir machte es das alles auch nur umso schwerer, mich für eine klare Position den Figuren gegenüber zu entscheiden, weil ein "Oh, die wirkt aber richtig nett!"-Eindruck gleich von diesem "Vielleicht hat sie ein Kind getötet!"-Geschmack begleitet wurde. Mit Fliss hatte ich mich, solange ihr Geheimnis unklar blieb, auch lieber nicht so wirklich anfreunden wollen. 
So blieb ich dem gesamten Roman während der gesamten Lesezeit doch sehr distanziert gegenüber. 

Vor Allem aber hat mir ein roter Faden, eine klare Fokussierung gefehlt; schade, denn diesen Hintergrund, also den nicht völlig zu klärenden Todesursachen und den damit verbundenen ggf. falschen Verurteilungen, fand ich eigentlich total interessant, aber die Umsetzung wirkte auf mich auch in diesem Falle einmal mehr wie "zuviel gewollt".