Rezension

Zwei Frauen - zwei Leben

Festtagsgäste - Anke Schläger

Festtagsgäste
von Anke Schläger

Bewertet mit 5 Sternen

„...Ihr Blick verfing sich in den Kopfweiden zwischen den Feldern. Die kahlen Äste erinnerten sie an knorrige Hände, die nach ihr griffen und sie festhielten...“

 

Lisanne hat gerade ihr Wandbild im Hofladen fertiggestellt, das als ein Geschenk für ihren Mann Friedhelm gedacht ist, als der, ziemlich besoffen, den Laden betritt. Es ist der 22. Dezember. Friedhelm teilt ihr mit, dass er sich von ihr trennen will, sie aber auf dem Hof bleiben darf. Für Lisanne bricht eine Welt zusammen. Sie packt ihre Sachen und reist mit Jan, ihrem kleinen Sohn, zur Mutter in die Niederlande. Kurze Zeit später brennt der Hofladen. Die Polizei sucht verzweifelt nach Marie, Lisannes Tochter. An einem Supermarkt sieht Marlene, eine Nachbarin, Lisannes Auto. Sie will mit ihr sprechen, doch Lisanne fährt weg. Die Nachbarin folgt ihr.

Die Autorin hat eine spannende, abwechslungsreiche und etwas andere Weihnachtsgeschichte geschrieben.

Der Schriftstil lässt sich angenehm lesen. Die aktuellen Ereignisse bilden eigentlich nur die Rahmenhandlung, in der sich mehrere Lebensgeschichten verstecken. Zum einen erfahre ich, wie es zu Lisannes Heirat kam und was dem voraus ging. Lisanne ist eine Frau, die sich in ihrem Leben eingerichtet und untergeordnet hat. Auch Marlene hat ihr Päckchen zu tragen. Allerdings hat sie einen Mann an ihrer Seite, der sie unterstützt. Doch nach einer niederschmetternden Diagnose funktioniert Marlene nur noch. Rituale bestimmen ihr Leben. Nur langsam widmet sie sich wieder der heißgeliebten Musik. Beiden Frauen fällt es schwer, Vertrauen zueinander zu finden. Lisanne kennt den Schmerz von Verrat, und Marlene den von unbedachten Äußerungen. Auch die ältere Generation kommt zu Wort. Lisannes und Marlenes Schwiegermütter blicken auf ihre Vergangenheit zurück. Beide haben danach eine unterschiedliche Entwicklung genommen, die auch in ihrem Wesen Spuren hinterlassen hat. Und dann gibt es noch Anette, Friedhelms einstige Freundin, die er jetzt heiraten will. Sie hat lange auf eigenen Beinen gestanden und ist finanziell unabhängig. Das bedeutet für Friedhelm eine völlig neue Herausforderung. Allerdings hat er seine besondere Art, mit Konflikten umzugehen. Dann ist der Alkohol sein bester Freund.

Ein sehr schöner Ruhepunkt im dramatischen Geschehen ist die Weihnachtsfeier bei Marlene und ihrem Mann. Aus verschiedenen Gründen haben sie vorläufig Lisanne und ihre Kindern bei sich aufgenommen.

Obiges Zitat stammt von Lisanne gleich zu Beginn des Buches.. Es zeigt zum einen den bildhaften Sprachstil, den die Autorin für entsprechende Szenen wählt, zum anderen die zerrissenen psychische Verfassung der jungen Frau.

Die Emotionen der Protagonisten werden häufig weniger durch Worte, mehr durch Handlungen veranschaulicht. Viele der Dialoge sind hilfreich, um Probleme aufzuarbeiten. Es ist schön zu lesen, wie Vertrauen wächst und Gräben überwunden werden. Gleichzeitig eskaliert die Gewalt.

Das Buch hat mir ausgezeichnet gefallen. Mich würde sehr interessieren, wie die weitere Entwicklung der Protagonisten verläuft.