Rezension

Zwiespältiger Eindruck

Exit West - Mohsin Hamid

Exit West
von Mohsin Hamid

Bewertet mit 4 Sternen

In diesem Buch steckt riesig viel drin: Es ist die Geschichte zweier Menschen miteinander und ihrer jeweiligen Entwicklung, es ist ein Buch u. a. über die Gründe zur Migration, zum Verlassen der Heimat, eines über das Verhalten der Gastländer, über Abschottung und Offenheit gegenüber anderen, über die (angedeutete) Perspektive einer Aufhebung der Abgrenzung zwischen Menschen unterschiedlicher Herkunft. Es hat, um mit dem israelischen Schriftsteller Aharon Appelfeld zu sprechen, eine »Melodie« – und vielleicht liegt hier der Grund, warum ich gelegentlich innerlich zappelig wurde bei der Lektüre, später wieder gerne weiterlas, wieder zappelig wurde: »exit west« ist fast durchgehend in einem Ton, einer Sprachmelodie geschrieben, alles wird in der Melodie des Privaten, in dem Ton, der die Geschichte zweier Menschen erzählt, beschrieben.

An einer Stelle, schon gegen Ende des Buchs, heißt es: »Bei jeder räumlichen Veränderung fangen Paare an, sofern sie einander noch zugetan sind, den anderen mit anderen Augen zu sehen, denn unsere Persönlichkeiten haben keine unveränderlichen Farben wie zum Beispiel Weiß oder Blau, sondern sind vielmehr wie beleuchtete Leinwände, und die Schattierungen, die wir reflektieren, hängen zum großen Teil von dem ab, was um uns herum ist. So war es auch mit Nadia und Saeed, die sich an diesem neuen Ort in den Augen des anderen verändert hatten.« (S. 182 f.)

Moshin Hamid erzählt in »exit west« die Geschichte von Nadia und Saeed, die sich in einem muslimisch geprägten Land – ein bestimmter Staat wird nicht genannt – ineinander verlieben. Eindrucksvoll wird an Beispielen geschildert, was ein Bürgerkrieg mit der Bedrohung durch Extremisten für die Menschen bedeutet. Die beiden verlassen gemeinsam das Land, leben danach zusammen an verschiedenen Orten. Ihre Beziehung ist das durchgehende Thema des Buchs – eingelassen und verbunden mit den Geschehnissen um sie. Die beiden reagieren unterschiedlich – z. B. mehr offen oder sich auf die eigenen Wurzeln zurückziehend – auf das, womit sie konfrontiert werden, und damit verändern sie sich und sie verändern sich, wie das Zitat von eben es beschrieb, in den Augen des anderen, ihre Beziehung verändert sich.

Den Vorgang der Emigration beschreibt das Buch rein metaphorisch – die Menschen betreten ein Haus, gehen durch eine Tür und kommen in einem anderen Land an: nichts von den Gefahren und Belastungen der Flucht, nichts von u. a. Passformalitäten und Registrierungen bei der Aufnahme in andere Länder. Die Metapher der Tür wird auch eingesetzt, etwa um zu zeigen, wie Menschen unterschiedlicher kultureller Herkunft unabhängig vom Hintergrund der Migration die Grenzen zwischen sich überwinden können. Die Tür-Metapher hat also etwas Verbindendes, aber auch etwas Entrealisierendes, Einebnendes, dem Geschehen der Emigration wird seine Realität genommen.

Moshin Hamid erzählt vom Leben der Immigranten im Aufnahmeland und von dessen Verhalten, von den Problemen der Immigranten – dabei schildert er ein Ausmaß der Migration, das die Realität unserer Gegenwart bei weitem überschreitet; entsprechend fiktiv ist auch die Reaktion des Aufnahmelandes, in gewissem übersteigert im Vergleich zur Realität um 2017/18. Aber wie in unserer Gegenwart gibt es Menschen, welche die Migranten bekämpfen, und solche, die ihnen helfen.

Mit der Zeit – mit dem Fortgang der Geschichte und der Migration – werden die Unterschiede zwischen den Menschen verschiedener Herkunft weniger wichtig; dort, wo Nadia und Saeed schließlich leben, ist »einheimisch zu sein … ein relativer Umstand« (S. 192), Menschen, die immigriert sind, werden irgendwann einheimisch, die Grenzen verschwimmen. Und dies – eine humane Botschaft dieses Buchs – ist etwas völlig Normales, was keine Angst machen muss.

Ich will hier nicht weiter auf Einzelheiten eingehen – schließlich soll für potentielle Leserinnen und Leser nicht zu viel vorweggenommen werden. Ich möchte die Auseinandersetzung mit diesem Buch empfehlen – auch wenn ich nicht weiß, ob ich »exit west« nun insgesamt für gelungen halten soll oder nicht.

Kommentare

wandagreen kommentierte am 29. März 2018 um 07:50

"dem Geschehen der Emigration wird seine Realität genommen" - einerseits, aber andererseits doch gar nicht: da uns die Bilder alle momentan so plastisch vor Augen stehen, darf der Autor sie bei uns voraussetzen.

Und - ich finde, das ist gerade die Kunst, der Autor benutzt "nur" ein Bild - mehr muss er aber auch gar nicht sagen, und hat sich 200 Seiten Roman gespart. Unwirklich und realitätsfern wird die Flucht für mich dadurch gar nicht.

Und nur ein Ton: das stimmt absolut. Aber das Büchlein hat so wenig Seiten und ist ganz auf Adagio (??) angelegt, es braucht nicht immer die ganze Sinfonie.

Insgesamt hat es uns dann beiden gefallen.

 

 

Steve Kaminski kommentierte am 29. März 2018 um 08:56

Ja, aber Adagio bei Flucht, Vertreibung und Bedrohung? Und ja: Insgesamt hat es uns beiden gefallen.