Rezension

Zwischen den Zeilen ist die Wahrheit

The Remains of the Day - Kazuo Ishiguro

The Remains of the Day
von Kazuo Ishiguro

Bewertet mit 5 Sternen

Großbritannien, 1956: Stevens, der alternde Butler des Herrenhauses Darlington Hall bekommt von seinem neuen Arbeitgeber, einem Amerikaner, ein paar Tage frei. Dies ist eine ungewohnte Situation für ihn, hat er doch immer perfekte Professionalität und Loyalität angestrebt. Er fährt nach Cornwall um die ehemalige Haushälterin Miss Kenton zu besuchen. Während der mehrtägigen Reise erwarten Stevens die Erinnerungen an sein bisheriges Leben im Dienste Lord Darlingtons und die Konfrontation mit dem Sinn dieses Lebens, während er gleichzeitig einer aus dem alten Klassensystem ausbrechenden Bevölkerung begegnet.

 

Mein erstes Buch von Kazuo Ishiguro konnte mich absolut überzeugen. Butler Stevens ist genauso prinzipientreu, steif und konservativ, wie man sich Butler in englischen Herrenhäusern nicht erst seit „Downton Abbey“ vorstellt. Durch die Ich-Perspektive der Erzählung lernt man aber nach und nach, Schicht für Schicht quasi, den Menschen hinter der Fassade kennen, seine Fehleinschätzungen, sein Bedauern, seine Geschichte.

 

Auch wenn Stevens sich die Wahrheit nicht selbst eingestehen möchte, so hat Kazuo Ishiguro geschickt die Wahrheit zwischen den Zeilen versteckt. Selbst ich, die an Interpretationen von Literatur in der Schule regelmäßig nichts kapiert habe, konnte für mich vieles herauslesen.

Schmunzeln musste ich immer wieder über einige Kuriositäten, die er als Butler ausführen musste, zum Beispiel den Sohn eines Freundes „aufklären“. Doch nicht nur am Ende, wenn man sich als Leser selbst fragen muss, ob man im Alter zufrieden auf sein Leben zurückblicken kann, hat „The Remains of the Day“ einen nachdenklichen und ernsten Unterton.

Das Buch lebt von seinem Erzähler und dessen Reflexion, es ist stark charakterbetont. Die Handlung der Gegenwart umfasst die Reise, Beschreibungen der Orte, in denen er übernachtet und der Landschaft. Von den Menschen, denen er begegnet, halten ihn viele für einen Gentleman und behandeln ihn sehr ehrfürchtig, andere möchten mit der „Herrschaft“ nichts mehr zu tun haben und die Möglichkeiten, die ihnen die Gesellschaft nach dem Zweiten Weltkrieg bietet, ergreifen. Der Autor hat somit auch die Aufteilung der Gesellschaft in Klassen und die Umbrüche der neueren Vergangenheit gekonnt mit einbezogen.

Für mich war „The Remains of the Day“ eine große Überraschung im positiven Sinne. Vor allem die subtile Art, wie man als Leser die Wahrheit und den Kern der Erzählung erfährt, konnte mich begeistern.