Rezension

Zwischen Dichtung und Denkmal.

Menschenwerk
von Han Kang

Bewertet mit 3 Sternen

Das neue Buch der Autorin Han Kang ist schwierig zu beurteilen. Kann man, wenn jemand versucht, ein blutiges Massaker zu verarbeiten, sagen, dass das Buch einem dennoch nicht gefallen hat? Die Rezension ist eine Gratwanderung.

Über Korea und seine Geschichte wissen wir in der Regel relativ wenig. Der Gwangju-Aufstand von 1980, „in Südkorea 18. Mai Gwangju Demokratiebewegung genannt,“ ist auch auf Wikipedia nur ein kleiner Bericht und war mir gänzlich unbekannt. Er dauerte zehn Tage lang und war so grausam, dass die Koreaner noch jahrelang danach nur im Flüsterton davon sprachen und die wenigen Überlebenden mit dem Leben nicht mehr zurechtkamen, Traumata, Suizide, soziale Entfremdung. Darüber schreibt Han Kang.

Die Dichterin stammt selbst aus dem betreffenden Distrikt und lebte mit ihren Eltern bis zu ihrem achten Lebensjahr in Chungheung-Dong, in einem Haus, das ihre Familie an die Mutter von Dong-Ho verkaufte, der der Hauptprotagonist des Romans ist. Durch den persönlichen Bezug der Autorin wird der Roman, der mit Distanz und einer gewissen Kühle geschrieben ist, trotzdem zu einem erschütternden Zeitzeugnis menschlicher Grausamkeit.

Literarisch hat die Autorin den Leser durch die gewählte Form auf Distanz gehalten. Natürlich bleibt einem bei detaillierten Beschreibungen von Folterungen der Atem weg. Man will es nicht glauben. Andererseits, auch davon redet die Autorin im Epilog, ist dieses historische Ereignis kein Ausrutscher der Menschheit, sondern "Menschenwerk" und geschieht bis zum heutigen Tage in dieser oder jener Form. Jedoch ähnelt Han Kangs Roman in seiner kunstvollen,  nicht immer logischen Herangehensweise mehr an eine Dichtung als an einen "normalen" Roman. Dadurch entsteht ein Verfremdungseffekt, der die Sicht des Lesers auf das Geschehen verstellt. Denn das Geschehen wird nicht beleuchtet oder ins Zeitgeschehen eingebettet. Was war los zu der Zeit in Korea? Nichtkoreaner werden leider nicht den Bezug zum Land haben wie die Landsleute Han Kangs. So ist zumindest mir, Korea kein bisschen näher gerückt.

Es gibt philosophisch-dichterische Einschübe, mit denen ich besser zurechtkomme, einmal spricht die Seele des verstorbenen Protagonisten über das Totsein. Aber das sind nur Anklänge, die nicht zu Ende geführt werden. Wie auch?

Als Roman hat mich der Text nicht gepackt, doch als Andenken an die sinnlos getöteten Menschen, die friedlich gegen eine Militärjunta demonstrierten, ist der Text wertvoll.

Fazit: Zwischen Dichtung und Denkmal. Der Textzugang ist schwierig, weil zu literarisch verfremdet, der Inhalt nicht zu ertragen.

Kategorie: Anspruchsvolle Literatur
Aufbauverlag, 2017

Kommentare

Steve Kaminski kommentierte am 20. Oktober 2017 um 23:34

Vermutlich kann man einem solchen Text auch kaum gerecht werden - aber Du versuchst es!