Rezension

Zwölf Stunden voller Melancholie...

Nichts als die Nacht
von John Williams

Bewertet mit 4 Sternen

Arthur Maxley ist vierundzwanzig Jahre alt, gibt vor zu studieren, führt aber das Leben eines Müßiggängers, finanziert vom regelmäßigen Scheck seines Vaters. Doch genießt er das Nichtstun nicht etwa, sondern leidet am Leben selbst. Seit einem traumatischen Erlebnis, das sich in seiner Kindheit zutrug, meidet Arthur den Kontakt zu seinem Vater, pflegt kaum Freundschaften und versucht vor allem eines: zu vergessen. Oft greift er dafür zum Alkohol, hoffend auf die Dunkelheit, die ihm die Erinnerung nimmt.

"In seinem Kopf wummerte es dumpf, der Mund fühlte sich wie Watte an vom schalen Nachgeschmack des Alkohols, den er am Abend zuvor getrunken hatte, hier, allein in seiner Wohnung (...) Angewidert blickte er sich um. Eine Schublade stand weit offen, benutzte Taschentücher, getragene Schlipse und Socken hingen schlaff über den Rand. Mitten auf dem Boden war ein Aschenbecher umgekippt und hatte Asche und Zigarettenstummel über den Teppich verstreut. Hier sieht es aus wie in meiner Seele, dachte er. Unordentlich und schmutzig." (S. 15 f.)

Der Debütroman von John Williams, der v.a. durch seine Romane 'Stoner' und 'Butchers Crossing' bekannt wurde, erzählt von zwölf Stunden im Leben des Arthur Maxley. Dabei geschieht nicht wirklich viel (der Versuch eines Spaziergangs, ein Mittagessen mit einem Freund, ein Treffen mit seinem lange nicht gesehenen Vater, der Besuch eines Nachtclubs), doch der Fokus liegt hier auch weniger auf dem äußeren Geschehen. Den Leser erwartet hier eine Nabelschau, ein Blick auf das Innenleben Arthurs, zwölf Stunden voller Unruhe, Angst und Raserei, durchzogen von surreal anmutenden Träumen, Visionen und Erinnerungen. Arthur hat das Trauma, das sich in seiner Kindheit zutrug, nie wirklich verwunden, sondern wird bis heute in seinen Gedanken und Gefühlen davon beherrscht. Große Einsamkeit dominiert sein Leben.

"Und während er so an diesem Hochsommerabend durch überfüllte Straßen ging, überfiel ihn jene seltsame Einsamkeit, die man nur in der monströsen Unpersönlichkeit einer Menschenmenge empfinden kann, dieses unvergleichliche Gefühl puren Alleinseins (...) Die aberhundert fremden Leiber, die ihn unwissentlich streifen, die aberhundert fremden Blicke, die auf sein Geischt fallen, ohne es zu sehen oder zu erkennen, die Stimmen, die um ihn herum und über ihn hinweg reden, nie aber mit ihm - darin liegt wahre Einsamkeit." (S. 84)

Der Leser begleitet Arthur dabei, wie er durch die zwölf Stunden eines Tages taumelt, gedanklich um die Schwere des Lebens kreisend, getrieben von einer ungeahnten Kraft, auf der Suche nach - ja, was? Melancholisch ist der Ton der Erzählung, verstörend oft der Inhalt - und für mich vor allem das Ende. Als Arthur den Leser schließlich verlässt, hatte ich nicht den Eindruck, dass er künftig mehr mit sich im Reinen würde leben können oder dass sich durch die Ereignisse dieser zwölf Stunden etwas zum Positiven hat verändern können. Und so ließ mich der Roman nicht nur verwirrt, sondern auch eher bedrückt zurück.

"Dann aber glaubte er plötzlich, dass ihm nie ein Vorwurf für das gemacht werden konnte, was immer ihm auch im Laufe seines Lebens widerfuhr. Denn er handelte nicht aus eigenem Antrieb, hatte es nie getan. Irgendeine unsagbare Kraft drängte ihn von einem Ort zum anderen, und dies auf Wegen, die er vielleicht gar nicht nehmen wollte, durch Türen, von denen er nicht wusste, wohin sie führten, und es auch nicht wissen wollte. Alles war dunkel, namenlos, und er ging durch diese Dunkelheit." (S. 90)

Das Nachwort verrät, dass John Williams erst zweiundzwanzig Jahre alt war, als er dieses Buch schrieb - nach einem Abschuss im Zweiten Weltkrieg bei einem Erkundungsflug über Burma überlebte er wie durch ein Wunder und versuchte durch Schreiben, sich von seinen Verletzungen und seinem Schock zu erholen. Auch wenn mich die Düsternis der Erzählung erschreckt hat, ist das spätere Talent des Autors auch in seinem Debüt deutlich zu erkennen. Die Sätze erscheinen sorgfältig gefeilt, die Erzählung überbordend von Adjektiven, Bildern und Metaphern, die alle der Darstellung der großen Verzweiflung des Arthur Maxley dienen. Insofern ein Werk von nicht zu leugnender erzählerischer Kraft.

Ein beeindruckendes, wenn auch verstörendes Debüt, das von der sensiblen Wahrnehmung seines Autors zeugt. Ich bin jetzt jedenfalls neugierig geworden auf die späteren Werke von John Williams...

© Parden