Buch

Das wilde Kind von Hameln - Bettina Szrama

Das wilde Kind von Hameln

von Bettina Szrama

Ein höchst seltsamer Fund

Jürgen Meyer schlug auf die Ochsen ein. Die massigen Tiere stemmten sich in das Joch. Aber sie liefen bei aller Mühe keinen Schritt schneller. "Ich hätte die Pferde nehmen sollen", murrte der Bauer und Gildemeister der Brauerei und warf einen sorgenvollen Blick zum Himmel hinauf, an dem sich die ersten dunklen Wolken zusammenzogen. "Die Ochsen sind zu langsam. Wir haben die Fuhre zu voll gepackt, Johannes!", rief er zurück. "Ich glaube, wir schaffen es nicht mehr, das Heu trocken einzufahren." "Ich habe Euch geraten den größeren Wagen zu nehmen, Meister", antwortete ihm der Knecht. "Dumme Viecher!", murrte der Braumeister ärgerlich und schickte sich an vom Wagen zu klettern, als er plötzlich zur Säule erstarrte. "Hast du das auch gehört, Johannes?" "Was, Meister?", kam es hinter dem Wagen hervor. "Das Geräusch. Es klang wie ein Rascheln im Unterholz, nur lauter." Er durchbohrte mit den Augen den Waldesrand zu seiner Rechten. "Hier schleicht etwas durch das Unterholz. Wahrscheinlich Wölfe." Mit gerunzelter Stirn sah Meyer auf den Hund, der das Fuhrwerk gerade noch spielerisch umsprungen hatte. "Der Hund hat es auch gehört!", rief er zurück und behielt das Tier im Auge. Die Nase gegen den Wind gestreckt begann die Dogge leise zu knurren. "Ruhig, mein Guter", beruhigte ihn Meyer. "Johannes, komm nach vorn und bring die Gewehre mit!" Johannes kletterte zu ihm auf den Wagen. "Es umkreist uns", flüsterte Meyer. "Eben war es noch neben den Ochsen, nun ist es vor uns. Hörst du das Kratzen?" "Die Wölfe werden immer dreister. Nicht nur, dass sie bei Nacht in die Stadt kommen und unsere Heimstätten heimsuchen, jetzt verfolgen sie uns auch schon am Tag", pflichtete ihm der Knecht leise bei. "Es kann sich höchstens um ein Wolfspärchen oder eine säugende Wölfin auf Futtersuche handeln. Wir haben Juli. Da treten sie nicht in Rudeln auf", versuchte Meyer die eigene Angst zu bekämpfen. Plötzlich wies der Arm des Knechtes nach vorn. "Da, Meister! Auf dem Acker! Der Teufel!" "Aberglaube!", schimpfte Meyer. "Es ist ein Wolf, schieß schon!" Er hatte den Satz noch nicht zu Ende gesprochen, da senkte er mit der Hand den Gewehrlauf. "Warte! Ich glaube, ich habe mich geirrt. Das sieht nicht aus wie ein Wolf. Komm, lass uns nachsehen!" Die Gewehre in der Hand kletterten die Männer vom Wagen. Nur wenige Meter vor ihnen glaubte der Bauer in dem aufkommenden Regen eine Gestalt zu erkennen, die auf sie zugelaufen kam. "Wenn es nun doch der Teufel ist?", grunzte der Knecht. "Warte hier, wenn du Angst hast. Aber wenn ich den Arm hebe, schießt du!", flüsterte Meyer. Einen Augenblick später sah der Knecht, wie der Bauer in gebückter Haltung auf das unbekannte Wesen zulief, sich dann hoch aufrichtete und wie vom Blitz getroffen stehen blieb. "Es ist doch der Teufel", stellte Johannes ängstlich fest, kam aber dennoch neugierig näher. "Nein, nicht der Beelzebub", kam es ungläubig aus Meyers Mund. "Eher ein Waldschrat?" Dem Knecht blieb vor Staunen der Mund offen stehen. Mitten auf dem abgeernteten Feld, aber noch soweit am Waldesrand, dass er das dichte Gehölz als Fluchtweg nutzen konnte, stand ein nackter Knabe von seltsamer Hautfarbe. Seine Haut sah aus wie gegerbtes Leder oder Baumrinde. Er war nicht groß, eher von kleinem Wuchs und Meyer schätzte, dass sein Scheitel ihm höchstens bis zum Gürtel reichte. Sein Gesicht sahen sie nicht. Es war von einer wilden schwarzen Mähne überwuchert. Wäre da nicht dieses schmutziggraue Hemd gewesen, das ihm um den Hals hing - die Männer hätten tatsächlich geglaubt, vor dem Leibhaftigen zu stehen. "Wer bist du? Woher kommst du?", sprach er ihn mutig an und wartete einen Moment, in der Hoffnung, dass der Knabe ihm antworten würde. Doch der stand unverändert, mit leicht nach vorn gebeugtem Oberkörper vor ihnen und zeigte keinerlei Reaktion.

Rezensionen zu diesem Buch

Verstand & Vorurteil

1724 wird auf einem abgeernteten Feld am Waldesrand in der Nähe von Hameln im Fürstentum Lüneburg-Braunschweig ein etwa 12 jähriger Junge aufgegriffen. Er ist, von einem zerfetzter Hemd um den Hals abgesehen, unbekleidet, ist dreckig, übersät mit Ungeziefer. Die langen, dunklen Haaren fallen ihm über sein Gesicht und verdecken seine Cupido gleiche Oberlippe. Er reicht seinem dem Bauer, der ihn ergreift, nur bis zum Gürtel. Statt aufrecht zu gehen, läuftt er bevorzugt auf allen Vieren. Seine...

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Weitere Infos

Art:
eBook
Genre:
Historische Romane
Sprache:
deutsch
Umfang:
312 Seiten
ISBN:
9783862823628
Erschienen:
September 2015
Verlag:
Acabus Verlag
8
Eigene Bewertung: Keine
Durchschnitt: 4 (1 Bewertung)

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