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Leutnant Bones - Edgar Wallace

Leutnant Bones

von Edgar Wallace

Auf einem bewaldeten Hügelrücken, am Zusammenfluß des B’suri und des Großen Flusses, lag eine unregelmäßige Gruppe von Dörfern. Man nannte sie nach dem größten von ihnen M’fumbini-falapa. Sie hatten auch noch einen anderen Namen, den ich aber nicht nennen will, denn es wäre immerhin möglich, daß meine Geschichte in die Hände eines unschuldigen Menschen fallen könnte, der die Bomongo-Sprache versteht. Selbst wenn man es salonfähig übersetzen wollte, würde man es „Ewiger Schmutz“ bezeichnen müssen. Die Ortschaften an sich waren nicht sauber, auch boten sie keinen netten Anblick vom Fluß aus. Die Hütten standen ohne Ordnung und Plan durcheinander, waren alt und nur dürftig ausgebessert. Manche sahen sehr häßlich aus, weil man sie mit Stücken verrosteten Wellblechs geflickt hatte. Denn cala-cala, das heißt vor langer Zeit, errichtete eine optimistische britische Gesellschaft in der Nähe einmal ein Lagerhaus für Palmnüsse. Das Unternehmen rentierte sich aber nicht, und das Lagerhaus stand verlassen da. Mit der Zeit hüllte es der Dschungel vollständig ein. Die Leute von M’fumbini hatten in ihrer diebischen Art Teile davon genommen, und da sie nichts planmäßig oder ordentlich machten, häuften sie Unzier zu Unzier, bis ihr Dorf so häßlich war, daß es die Augen aller Leute beleidigte, die es ansahen. Sanders ermahnte sie, erließ Verordnungen und hielt ein Palaver nach dem anderen ab, aber alles war umsonst. Sie wohnten ziemlich isoliert, denn die Strömung des Flusses war hier sehr stark, so daß die Landung an dem Ufer mit Gefahren verknüpft war, und ihre Nachbarn nur selten zu ihnen kamen. Sie lebten allein mit ihren mageren Kindern und ihren unglaublich häßlichen Weibern und wurden weder von den Isisi noch von den N’gombi als gleichberechtigt anerkannt, mit denen sie doch nach ihrer Aussage stammverwandt waren. Der Einfluß der Umgebung auf den Charakter der Menschen ist so oft beschrieben worden, daß es nicht nötig ist, auch in dieser Geschichte näher darauf einzugehen. Die M’fumbini-Leute waren Lügner und Diebe, hielten Zauberbeschwörungen ab und glaubten an schreckliche ju-jus. Einsame Fischer, die in diesen Wassern Fische speerten, verschwanden gewöhnlich und wurden zweifellos abgeschlachtet, denn die M’fumbini waren Kannibalen. Nur einmal wurden sie dabei abgefaßt. Bezirksamtmann Sanders kam in einer bestimmten Nacht und überraschte die Dorfbewohner bei einer besonders grausigen Festlichkeit. Im nächsten Morgengrauen banden seine Soldaten dem Häuptling Hände und Füße zusammen, legten einen Strick um seinen Hals und hängten ihn an einem sehr hohen Baum auf. Sanders hätte sich aber die Mühe sparen können, denn nach Verlauf eines Jahres hatte der neue Häuptling eine Geheimgesellschaft gegründet, die sich „Die drei Stöcke“ nannte und Gewohnheiten annahm, die nicht in einem gedruckten Buch wiedergegeben werden können. Wenn sie außer Verbindung mit anderen waren, sandten sie Späher und Spione aus, die als Vagabunden umherstreiften und von der Gastfreundschaft freundlicher oder gleichgültiger Stämme lebten, wobei sie die weniger freundlichen und unruhigen Völker mieden. Diese Wanderer erfuhren viele Dinge. Einer von ihnen war N’kema, ein gerissener junger Mann, der nur ein Auge hatte. Wenn er einem der großen, gesunden Stämme angehört hätte, wäre er getötet worden, denn diese dulden keinerlei körperliche Entstellung. Eines Tages kehrte er mit allerhand Nachrichten zurück, und es wurde ein großes Palaver abgehalten. „N’kema ist der Sohn meiner eigenen Schwester“, sagte der Häuptling und stellte ihn der umhersitzenden Versammlung vor. „Er hat viele wunderbare Dinge erfahren, und mein ju-ju hat mir gesagt, daß Wahrheit in seinen Worten liegt. So höre ihn nun an, mein Volk, S’ibi M’laka!“ Und N’kema sprach und berichtete von einem weißen Mann, der in dieses Gebiet kam und mit Hilfe merkwürdiger Instrumente eine wunderbare Flüssigkeit herstellte, die die Leute zu wilder Fröhlichkeit brachte. Er erzählte auch, wie die Menschen Gummi und Elfenbein und allerlei schöne Dinge brachten, um dafür dieses Wasser der Verrücktheit einzutauschen. Aber Sandi, der Fuchs, hatte ihn bald ausfindig gemacht und ihn getötet. Und nun schrien alle nach dem Zauberwasser. „Und dies habe ich erfahren, o Häuptling und o Volk, daß es in fernen Ländern, wo der Strom mit nur einem Ufer (gemeint ist das Meer) fließt, viel brennendes Wasser gibt, und die Feuerschiffe bringen es in großen Gefäßen und schaffen es an die Küste. Nun denke ich, daß es gut wäre, wenn wir unser Elfenbein ausgraben, und ich zu diesen wunderbaren Plätzen gehe und für die Zähne das Wasser einhandle. Dann bringen wir es heimlich hierher, und wir werden reich sein.“ „Das ist ein törichtes Geschwätz“, sagte der Häuptling böse. „Denn was wird Sandi tun? Es ist doch ein Gesetz, daß alle Elfenbeinzähne und aller Gummi und die schönen Dinge, die wir finden, vor Sandi gebracht werden müssen, und daß er sie in ein Buch einschreibt, bevor sie außer Landes gehen. Und ist es nicht ebenso ein Gesetz, daß alle Dinge, die in dieses Land kommen, erst vor Sandi niedergelegt werden müssen, und ist es nicht von Sandi mit großen Worten gesagt worden, daß das Wasser der Verrücktheit nicht in dieses Land kommen soll? O N’kema, ich glaube, du bist ein Narr!“ „O Herr“, sagte der einäugige Mann eifrig, „ich habe sehr schlaue Gedanken in meinem Kopf. In der Nacht, wenn Sandi schläft, will ich mit einem großen Boot, das ganz mit Schätzen gefüllt ist, hinter seinem schönen Hause vorbei an dem Gestade des Flusses, der nur ein Ufer hat, entlangfahren zu den Plätzen, wo ich handeln kann. Ich habe auch einen Mann der Akasava gefunden, der in diesen fernen Ländern gelebt hat, und der mir als Führer dienen wird.“ Das Palaver dauerte bis in den frühen Morgen, und die ganze nächste Nacht hindurch grub der Häuptling in Begleitung seiner Ratgeber die alten Bergeplätze seines Stammes aus, wobei geheimnisvolle Riten ausgeführt wurden. In einer mondlosen Nacht, als das Geschick günstig war, und ein weißer Nebel über der Flußmündung lag, kam N’kema mit seinem beladenen Boot an dem Posten vorbei, der unten an der Flußmündung aufgestellt war, und fuhr an der Küste des Meeres entlang nach Norden. Von seiner Ankunft in dem Hafen eines gewissen unabhängigen Staates, von seinem Feilschen, seinem Handeln und seinem schließlichen Erfolge braucht hier nicht ausführlich berichtet zu werden. Er kam in ein neues Land und in eine neue Welt und hörte vielleicht das erstemal von einem Krieg, der über all sein Verstehen groß war, und er war in dieser Zeit der Weltkatastrophe und dem Kriege näher als seine obersten Gebieter. Der Atem des Weltkrieges wehte nur gelegentlich zu diesen Landstrichen - ein stürmischer Windstoß von kurzer Dauer, der beinahe den Blitz und Donner der Kanonen hierher gebracht hätte, die in Europa Tag und Nacht dröhnten. Dann hörte der Sturm auf, und es trat eine fast schmerzliche Ruhe und Stille ein. Buchstäblich kam der Krieg manchmal nur durch Briefe hierher, manchmal durch Zeitungen und hin und wieder bei großen, ruhmreichen Ereignissen durch ein anderes, vertrauteres Mittel. Der eingeborene Beamte im Telegraphenbureau kam dann atemlos mit einem großen, gelben Formular, das viele Fingerabdrücke zeigte, das aber in der schlecht entzifferten Botschaft der Zentralverwaltung des Gebietes von ergreifenden Heldentaten berichtete. Für eine Stunde, für einen Tag lag dann eine sonderbare Ruhe über der Residenz. Die Wirkung dieser Nachrichten auf die drei Männer, die sie erhielten, war sehr verschieden. Zuerst versammelte die Botschaft vier Menschen an einer großen Landkarte, die auf dem Eßtisch ausgebreitet war. Die vierte Persönlichkeit war Patricia Hamilton, die Schwester des Haußa-Captains, die eine eifrige und begeisterte Strategin war. Nachher trennten sie sich, und jeder versank in die besondere Welt seiner Träume. Patricia war traurig, sie sah nur eine Welt, die von leidenden Frauen bevölkert war. Amtmann Sanders ging in den Wald, der zur Residenz gehörte, und niemand kannte seine Gedanken. Captain Hamilton wurde schweigsam, fast finster. Er war freiwillig in sein Regiment eingetreten und hatte das größte Opfer gebracht. Er blieb in den wilden Gebieten, um den Frieden unter einem Zweimillionenvolk, das noch Neigung zum Kannibalismus besaß, aufrechtzuerhalten. Leutnant Tibbetts, genannt Bones, aber klagte laut über sein Mißgeschick, bis ihn sein Vorgesetzter böse fortschickte. Er marschierte dann im Feuer seiner Begeisterung mit einem Zug wenig erfreuter Soldaten ins Gelände, um neue Schützengrabensysteme zu erfinden. Manchmal vergingen mehrere Tage, bevor die Aufregung abflaute, und die Menschen wieder normal wurden. Sanders war stets der erste, der sein Gleichgewicht wiederfand. Denn wo seine Sympathien auch liegen mochten, und wie sehr er auch bedauerte, daß er sein Leben als politischer Beamter zubringen mußte, immer wartete dringende Arbeit auf ihn. Nur einmal kam der Weltkrieg zu diesen Gegenden in unmittelbare Nähe. Bones trieb sich eines Nachmittags an der Küste umher, als eine dicke, schwarze Rauchwolke über dem Horizont auftauchte. Er stürzte wie verrückt vom Strand fort, stapfte mitten durch die Blumenbeete und war mit einem kühnen Sprung über das Geländer auf der Veranda. Er brachte die drei Menschen in Aufregung, die dort saßen und geduldig auf seine Ankunft zum Tee warteten, die sie sich allerdings etwas würdevoller gedacht hatten. „Wo zum Teufel haben Sie gesteckt, Bones?“ fragte Hamilton. „Ich habe mich heiser geschrien, um Sie zum Tee zu rufen.“ Bones grüßte militärisch. „Die Post kommt auf hoher See!“ sagte er. „Die Post?“ sagte Sanders stirnrunzelnd. „Sie war doch erst am Dienstag hier - vor vierzehn Tagen kommt sie nicht wieder.“ „Die Post kommt auf hoher See!“ wiederholte Bones, „gesichtet von mir um fünf Uhr fünfundzwanzig, Westnordwest nach Westen.“ Es begann ein hastiges Suchen nach Gläsern und Feldstechern, und vier Augenpaare richteten sich gespannt auf die Rauchfahne, von der sich jetzt ein stumpfer Mast löste, und scheinbar ein einzelner, großer, rauchender, schwarzer Schornstein. „Ich weiß nicht, was das ist“, sagte Sanders nach einer Weile, „aber auf keinen Fall ist es ein Postdampfer.“ „Ich denke, ein Zerstörer“, sagte Hamilton, der das näherkommende Schiff intensiv beobachtete. Nun war ein Zerstörer ein Kriegsschiff, das man an der afrikanischen Küste nicht zu sehen bekam. Es gab zwar kleine, zierliche, nette Kanonenboote, und auch manchmal einen blitzblanken Kreuzer, aber nicht mehr und nicht weniger. Weder Unterseeboote noch Zerstörer, weder Schlachtschiffe noch Panzerkreuzer nahmen ihren Weg zu diesen Breitengraden, und die drei Männer empfanden die Neuigkeit mit jenem angenehmen Gefühl, das die Wirklichkeit in der Welt des Scheines hervorruft. „Er kommt direkt hierher“, sagte Bones, „und ich wäre durchaus nicht überrascht, wenn die Regierung nach mir schickte.“ „Was sollte sie denn mit Ihnen anfangen, Bones?“ fragte Hamilton. „Sie wissen ja noch gar nichts“, verwahrte sich Bones, „Sie haben jenen Artikel nicht kennengelernt, den ich im ,Wildford Chronicle’ erscheinen ließ.“ Hamilton grinste. „Haben Sie wieder für die Zeitungen geschrieben?“ fragte er resigniert. „Es war nur eine kleine Sache“, sagte Bones bescheiden, „tatsächlich nur ein Brief an meinen lieben, alten Onkel Henry. Ich habe darin gelegentlich erwähnt, daß ich einen neuen Weg wüßte, um die Berechnungen dieser hübschen, kleinen Torpedos über den Haufen zu werfen. Der verrückte alte Herr sandte den Brief an die Zeitungen.“ Aber an seinem Ton konnte man nicht erkennen, daß er seinen Verwandten für diese Indiskretion tadelte. „Natürlich werden diese Dinge bekannt“, fuhr er ernst fort, „und ich würde gar nicht überrascht sein, wenn die Admiralität diesem Artikel Aufmerksamkeit geschenkt hätte. Meine Idee über Torpedos -“ „Es ist wirklich ein Zerstörer“, sagte Sanders, als das Schiff langsam vor Anker ging und seine vier niedrigen Schornsteine sich scharf vor dem weißen westlichen Himmel abhoben. „Es ist ein großes Schiff - dort kommt eine Dampfpinasse von ihm an Land.“ „Natürlich“, sagte Bones und hustete, „es wird etwas unangenehm sein, Ham, mein lieber, alter Seemann, wenn ich Sie so plötzlich verlassen muß. Aber wenn das Vaterland die besten Männer und die besten Köpfe ruft -“ er zuckte mit den Schultern „was kann man machen? Natürlich, es tut mir furchtbar leid, daß ich nun von hier fort muß, aber ich muß dahin gehen, wo ich am besten dem netten, alten Reich dienen kann. Der Krieg“, so schwatzte er weiter, „stellt alle vorgefaßten Meinungen betreffend Dienstalter, Beförderung und so weiter auf den Kopf. Napoleon war schon mit einundzwanzig Jahren General - oder es können auch vierundzwanzig gewesen sein. Nelson - Admiral mit sechsundzwanzig. Leute, die Leutnants waren, kommandierten ein Jahr später eine Division. Das ist Kriegsglück, mein lieber, alter Freund.“ Er klopfte Hamilton wohlwollend auf die Schulter. „Vergessen Sie nicht, mein lieber, guter, zur Zeit noch Vorgesetzter“, sagte er heiter, „daß Sie in Ihrem alten Bones immer einen Freund bei Hofe haben werden. Genieren Sie sich nicht, Ihre Karte hereinzusenden - kommen Sie direkt in mein Bureau. Und tun Sie nicht zeremoniell mit mir, alter Freund. Denken Sie nicht, daß ich der Admiral Sir Augustus Tibbetts bin, der Torpedoboot-Experte, sondern der einfache Bones. Ich würde Ihnen niemals vergeben, wenn -“ „Ich wünschte nur, Sie würden endlich den Mund halten, Bones“, sagte Hamilton. „Kommen Sie mit zum Strand und begrüßen Sie die Leute.“ Die starke Pinasse durchschnitt schnell die sich überschlagenden Wellen, kam gut durch die Brandung und fuhr an dem weichen Ufer auf Grund. Ein Marineoffizier in weißer Uniform und Tropenhelm sprang heraus, und die Offiziere grüßten einander nach alter Gewohnheit. „Hurra!“ schrie Bones. „Wie steht die Sache?“ Der Offizier, der an Land kam, war ein großer, gut aussehender junger Mann von fünfundzwanzig Jahren. Beim Lächeln zeigte er seine weißen Zähne. Er ging den Strand hinauf und begrüßte die beiden anderen. „Ich bin außerordentlich traurig, daß ich Sie hier in Ihren Arkadien störe, aber ich vermute, daß sie schon gehört haben, daß Krieg im Gange ist.“ Hamilton lächelte, aber Bones hielt das für unter seiner Würde. „Mein lieber, guter Seeoffizier“, sagte er ernst, „was bringen Sie uns für sonderbare Nachrichten?“ Der Fremde mußte lachen. „Ich möchte Ihren Nachrichtenoffizier sehen“, sagte er. „Unseren -?“ fragte Hamilton verwirrt. „Den Nachrichtenoffizier, der den Geheimdienst unter sich hat.“ Der Seemann schaute von dem einen zu dem anderen, und Bones ergriff sofort die Gelegenheit. „Lieber Herr“, sagte er, indem er den Besucher vertraulich unter den Arm faßte. „Wir verstehen uns, Sie wollen mich betreffend des netten, alten Torpedofängers sprechen.“ „Nicht um die Welt“, sagte der Offizier. „Ich möchte -“ „Kommen Sie mit zum Verwaltungsgebäude“, sagte Hamilton lachend, „ich fürchte, wir sind alle Nachrichtenoffiziere.“ „Einer natürlich mehr wie die anderen, mein lieber, alter Seehund“, unterbrach ihn Bones und ließ den Arm des Offiziers noch nicht los. „Einer von uns - aber es ist nicht an mir zu sagen wer - ist besonders geeignet zum Bewahren von Geheimnissen. Was nun aber die Sache mit den Torpedos angeht -“ Hamilton stellte Sanders den Offizier vor. Sein Name war Bagshott. „Es wurde mir mitgeteilt, daß ich an den meisten unserer Hauptplätze an der Küste einen Nachrichtenoffizier vorfinden würde“, entschuldigte er sich und erklärte, daß er die Küste bisher noch nicht berührt hatte, sondern direkt von einer Insel im Atlantischen Ozean herübergekommen und mit den Zuständen in diesen Gewässern nicht vertraut sei. „Also, mein Herr -“ er kam, wie Seeoffiziere das gewöhnlich machen, mit einer plötzlichen Redewendung auf eine ernste Angelegenheit zu sprechen, „in dieser Gegend treibt sich ein U-Boot herum, das in der letzten Zeit einen Angriff auf einen Postdampfer machte. Sein Torpedoschuß ging gerade um Haaresbreite an der Schiffsschraube vorbei. Es ist unglaublich weit von seiner Basis entfernt, aber diese neuen Unterseeboote können erstaunliche Entfernungen zurücklegen. Vor zwei Tagen hat es einen Handelsdampfer versenkt. Wir erhielten noch gerade seinen Hilferuf S.O.S. zur rechten Zeit und kamen an, kurz bevor es unterging.“ „Ich glaube kaum, daß wir Ihnen helfen können“, sagte Sanders. „Aber selbstverständlich stehen wir ganz zu Ihrer Verfügung. Was können wir für Sie tun?“ „Haben Sie schon einmal versucht, die Unterseeboote mit Netzen zu fangen?“ fragte Bones in plötzlicher Erregung. „Großer Gott, was ist das für eine glänzende Idee - blitzartig überkam es mich, mein lieber, alter Ham! Also, Sie machen ein nettes, altes Netz unter ein Unterseeboot und ziehen es einfach in die Höhe. Verstehen Sie, wie ich es meine, mein lieber Seeoffizier?“ Bagshott brachte es nicht einmal zu einem Lächeln. „Ich fürchte, es hat schon jemand vor Ihnen diese Idee gehabt“, sagte er ernst. „Aber man könnte sie doch mit Magneten aus dem Wasser fischen“, fuhr Bones energisch fort und war in keiner Weise durch die Ablehnung eingeschüchtert. „Sie nehmen einfach ein halbes Dutzend starker Magnete -“ „Bones, seien Sie jetzt endlich ruhig! Was können wir tun?“ fragte Sanders. „Sie können mir eine Information über die Tiefe des Stromes geben. Die Schiffskarten, die wir haben, sind nicht recht brauchbar. Die afrikanischen Ströme verschlammen, und die Wassertiefen ändern sich jede Woche.“ „An manchen Stellen hat er ganz nette Tiefen -“ Bones wollte seine Stellung als Nachrichtenoffizier, zu dem er sich selbst ernannt hatte, nicht aufgeben. „Einfach furchtbar tief, mein lieber, alter Seeonkel.“ „All diese Informationen kann ich Ihnen geben“, sagte Sanders. „Was wollen Sie noch weiter wissen?“ „Es wäre mir lieb, wenn Sie einen Offizier oder einen äußerst vertrauenswürdigen Mann -“ „Alles in einer Person, mein Herr und Freund“, murmelte Bones, „wenn Sie den richtigen Soldaten nehmen.“ „Schlag ihm doch einmal auf den Kopf, Pat“, bat ihr Bruder ernstlich. „Fahren Sie fort, mein Herr. Was hat er zu tun, und was sind seine Pflichten?“ „Er soll nachts die Flußmündung bewachen. Das Unterseeboot könnte in die Flußmündung einlaufen und tagsüber unter Wasser bleiben. Ebenso müßte er ein Auge auf alle fremden Fahrzeuge haben, die in diesen Gewässern erscheinen. Es ist nämlich auch ein Versorgungsschiff irgendwo in dieser Gegend. Es wird gerade keine angenehme Aufgabe sein, denn das bedeutet eventuell einen Monat lang Wache halten.“ „Sie brauchen kein Wort mehr zu sagen“, bemerkte Bones feierlich und drückte dem Besucher die Hand. „Es ist schon alles in bester Ordnung - betrachten Sie schon alles als geschehen. Und wenn Sie oder Ihre nette, liebe Mannschaft einmal an dem schweigsamen Posten zur Nachtzeit vorbeikommen, das Paßwort ist ,Wachsamkeit’, und der Offizier, der die Wache befehligt, Leutnant Augustus Tibbetts, R. N.“ Er stand stramm und salutierte. „Sie sind doch nicht etwa von der Königlichen Marine (Royal Navy)?“ fragte der erstaunte Offizier. „R. N., mein lieber Kamerad“, sagte Bones, „ist die Abkürzung für ,River Nelson’ (Nelson des Stromes).“ „Ich will dafür sorgen, daß der Wachtposten aufgestellt wird“, sagte Hamilton, indem er das freiwillige Angebot Bones’ ignorierte. „Es wird unserem Leben eine interessante Abwechslung geben.“ Eine Stunde später fuhr der große Zerstörer wieder ab, und bei Sonnenuntergang war er vollständig hinter dem Horizont verschwunden. Der Dienst begann in derselben Nacht. Hamilton nahm das Dampfboot, ließ es in die Mitte des einen schiffbaren Flußarms fahren und warf dort für die Nacht Anker. Um ein Uhr morgens hörte er ein leises Geräusch und wandte sein Nachtglas nach der Flußmündung, aber er sah nichts. Fünf Minuten später tauchte ein Boot aus der Finsternis auf, und jemand rief ihn mit einem heiseren Flüstern an. „Haben Sie irgend etwas gesehen, lieber, guter Captain?“ „Sind Sie das, Bones? Was, zum Teufel, haben Sie denn hier zu tun?“ „Wachen und warten, mein lieber, alter Offizier. Wachen und warten. Haben Sie nicht irgendwelche Anzeichen von dem netten, alten Seeräuber?“ „Machen Sie, daß Sie ins Bett kommen, alter Esel!“ Eine gedämpfte Stimme antwortete so etwas wie „Zu Befehl!“ und das Boot wurde wieder von der Finsternis verschlungen. Um drei Uhr, als Hamilton vermutete, daß das Unterseeboot versuchen könnte, in die Flußmündung einzulaufen, hörte er einen heftigen Stoß gegen die Wand seines Bootes. Sofort sprang er zur Reling, den Revolver in der Hand. „Gut Freund!“ hörte er die Stimme von Bones. „Ich bin schrecklich traurig, mein lieber Herr und Wachtkamerad, aber es war ein Schlag meines Ruders.“ „Zum Teufel, was treiben Sie sich immer noch hier herum - warum schlafen Sie nicht?“ fragte Hamilton böse. „Passieren Sie, Freund, und alles ist in Ordnung.“ Bones sprach scheinbar zu sich selbst. Dann verschwand er wieder. „Wenn Sie nicht schlafen, Bones, während ich auf Posten bin“, sagte Hamilton ernst, als sie beim Frühstück saßen, „wie wollen Sie dann Ihre Wache halten, wenn sie daran sind?“ „Es ist der ganzen Küste entlang bekannt“, sagte der bescheidene Bones, „daß ich von den netten, lieben Eingeborenen einen besonderen Namen bekommen habe, - ,Das Auge, das sich nimmer schließt’.“ „Ich verstehe immer Auge“, unterbrach ihn Hamilton, indem er nach den Ölsardinen langte, „sind Sie auch sicher, daß es nicht ,Mund’ heißen soll?“ „Auge!“ sagte Bones wild. „Seien Sie gerecht, Ham, seien Sie ein Sportsmann, mein lieber, guter Herr, und berauben Sie den alten Bones nicht seiner letzten Ehre!“ „Das Auge, das sich nimmer schließt“, murmelte Hamilton und schüttelte traurig den Kopf. Bones übernahm seine Pflichten in der nächsten Nacht und schien sehr wachsam zu sein. Auf dem Motorboot war ein kleines Hotchkiß-Geschütz am Bugsprit eingebaut, welches er sofort lud. Mitten in der Nacht vergaß er aber, daß es geladen war, und da er nichts zu tun hatte, spielte er mit dem Abzug, und der Schuß ging los. Hamilton in Pyjama und Moskitoschuhen, Sanders mit einem Paletot bekleidet und Patricia in einem etwas seltsamen Anzug versammelten sich am Strand und hielten ein Palaver mit Bones ab, der aber wohlweislich auf seinem Posten in der Mitte des Stromes aushielt. Die Unterhaltung bei dieser Konferenz wurde sehr laut geführt, und die Haußas, die hastig herbeiliefen und in Reih und Glied an dem Flußufer antraten, vergrößerten den Lärm nur, indem sie die Ereignisse untereinander besprachen. „Furchtbar traurig!“ brüllte Bones. „Reiner Zufall! - Hätte jedem passieren können! Soll nicht wieder Vorkommen!“ „Das Geschoß hätte beinahe das Regierungsgebäude getroffen, Sie - Sie -“ „Nicht in Gegenwart der Kinder!“ warnte Bones. Während dieser Nacht ereignete sich kein weiteres Unheil, und die nächste Nachtwache, die wieder Hamilton traf, verlief ohne Zwischenfall, denn Bones schlief die ganze Zeit über tief und fest. Erst in der vierten Nacht kam er wieder an die Reihe, obwohl Sanders freiwillig die Wache übernehmen wollte, um ihn abzulösen. „Also, nun hören Sie zu, Bones“, sagte Hamilton, „und nehmen Sie Haltung an, wenn ich mit Ihnen spreche, Sie verfluchter saumseliger Teufel von einem Leutnant!“ „Immer zu wenig Gentleman!“ murmelte Bones. „Schlafen Sie nicht - laden Sie vor allen Dingen das Geschütz nicht - spielen Sie nicht den Verrückten - lassen Sie sich keinen Schreck einjagen - machen Sie keinen Lärm - und singen Sie nicht - das ist alles!“ „Sind Sie auch sicher, daß Sie nichts vergessen haben?“ fragte Bones mit ironischer Besorgnis. „Sie haben nichts über Grammophone gesagt.“ Bones ging an Bord. Hamilton lauschte in die immer tiefer werdende Dunkelheit und hörte die unmusikalische Stimme seines Untergebenen, der versuchte, den Soldatenchor sehr laut zu singen. Bones wollte das Geräusch übertönen, das durch das Offnen des Verschlusses hervorgerufen wurde, als er das Geschütz heimlich und leise lud. Leutnant Tibbetts war außergewöhnlich wachsam in dieser Nacht, und als die erste Begeisterung verraucht war, die junge Leute in abenteuerlichen Augenblicken überkommt, wurde sein Kopf außerordentlich klar. Er legte sich neben das Geschütz auf den Boden, stützte das Kinn auf die gefalteten Arme und starrte auf das Meer hinaus. Er war überhaupt nicht schläfrig, obgleich der Maschinist und der Steuermann, die zusammen mit vier Haußas die Besatzung bildeten, laut schnarchen. Die einzigen Laute, die er außerdem vernahm, waren das Plätschern des Flußwassers an der Bootswand und das Geräusch der langsam sich überschlagenden Wellen an dem fernen Ufer. Vampire flogen über ihn hinweg und kreisten über dem Schiff. Schnelle Nachtvögel stießen herunter und tauchten links und rechts von ihm. Im Wasser gab es heftige, geräuschvolle Bewegungen, und Gestalten erschienen in dem funkelnden Sternlicht, aber Bones ließ sich nicht von seiner Aufgabe ablenken. Um zwei Uhr siebzehn - der Augenblick ist genau in den offiziellen Akten festgehalten - fühlte er sein Herz heftig schlagen. Ein Fahrzeug versuchte in die Flußmündung einzufahren. Er schaute angestrengt durch das Fernglas. Es war ein langes Boot - er beobachtete es genau - in der Mitte war ein niedriger Aufbau - das Periskop konnte er allerdings nicht sehen. Seine Blicke saugten sich an der Erscheinung fest. Er zielte und feuerte den Schuß ab. Dem scharfen Knall des Geschützes folgte ein Echo von einem Ufer zum anderen, aber Bones hörte nichts, er hatte nur Augen. Er sah, wie die Erhöhung zusammenbrach, ein gellender Schrei ertönte, aber er vernahm ihn nicht, denn er lud das Geschütz wieder. N’kema hatte keine Zeit, den Verlust des großen Branntweinfasses zu beklagen, das er mit soviel Mühe und Arbeit von Monrovia hierhergebracht hatte. Er griff ein Ruder aus der Hand eines getroffenen Bootsmannes, und mit einem Stoß seiner Schulter warf er den Toten über Bord. Die schnelle Strömung trug das Boot in die See, und N’kema ruderte mit Hilfe aller, die noch am Leben waren, so schnell er konnte. Ein anderes Geschoß sauste über seinen Kopf hinweg, und er hörte den Knall der Explosion draußen auf der See. „Schneller, schneller!“ rief der einäugige N’kema heiser, „o mein ju-ju beti, rette N’kema, o ko-ko!“ Plötzlich hörte er auf zu rudern und war völlig bestürzt, denn rechts vor ihm tauchten die dunklen Umrißlinien eines Schiffes auf. Es war ein fremdartiges Fahrzeug - eine lange Linie mit einem großen Aufbau in der Mitte. Es war aber zu spät, das Boot anzuhalten, es sauste gegen die Seitenwand des geheimnisvollen Schiffes. Es gab ein Krachen wie von zerbrochenen Töpferwaren. Drei Mündungsfeuer zuckten von dem unteren Deck des Schiffes auf, und N’kema rollte, von einem Geschoß mitten ins Herz getroffen, vom Boot ins Wasser. Bones kam am anderen Morgen zum Frühstück, ein Bild beleidigten Stolzes. Hamiltons Zorn war verflogen, aber seine Zweifel nicht. Er selbst bemühte sich sogar, Erklärungen zu geben. „Nein, mein Herr und früher verehrter Freund, ich habe nicht geträumt, und es war auch kein Krokodil oder Herr und Frau Nilpferd, die eine Vergnügungsreise machten - es war ein U-Boot, und ich habe es in Fetzen zerschossen! Haben Sie nicht den sonderbaren Geruch wahrgenommen?“ „Ich habe einen eigentümlichen Geruch bemerkt“, stimmte Sanders bei, „aber es duftete mehr nach Branntwein -“ „Nun, meine Theorie ist -“ Bones’ Theorie konnte aber nicht mehr ausgeführt werden, denn in diesem Augenblick kam Abibu eilig mit einem Telegramm herbei. Sanders las es laut vor. „Vom ersten Seeoffizier an Amtmann Sanders:

U-Boot diesen Morgen dreißig Meilen westlich der Flußmündung in schwerbeschädigtem Zustand aufgegriffen. Kapitän berichtet, saß er von Ihrer Station beschossen wurde. Havarie entstand aber durch Zusammenstoß mit Kanu.“ Bones verbeugte sich ringsum und strahlte auf die erstaunte Tafelrunde herab. „Was habe ich Ihnen gesagt?“ fragte er triumphierend. „Aber beschädigt durch Zusammenstoß mit Kanu“, wiederholte der verblüffte Hamilton. Bones zuckte die Schultern. „Daß die Deutschen es anders darstellen, ist doch Kriegslist“, sagte Bones überlegen.

Weitere Infos

Art:
eBook
Sprache:
deutsch
Umfang:
258 Seiten
ISBN:
9783954480784
Erschienen:
September 2012
Verlag:
Redimus
Übersetzer:
Ravi Ravendro
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