Der Straßen-Ghostwriter

von Harry Haller

In dunkelsten Stunden, völlig erdrückt von Kontenschließung, Gerichtsvollziehern und Gesetzeslage, dachte Harry schon mehr als nur einmal darüber nach, wie ausgerechnet er es überhaupt geschafft hatte, ruiniert durch schuldenfreies Kapital zu sein. Es war aber auch der Überlebensinstinkt, der in Harry aufblühte, wenn man wie er von Gesetz, Gott und der Welt verlassen wurde, da Fortuna ihm den Rücken existenziell bedrohlich zukehrte. Ein Mensch, der nach amtsdeutscher Definition seinen Hauptlebensmittelpunkt in Obdachlosenunterkünften als Schwerbehinderter verbrachte. In Anbetracht aller unglücklichen Umstände war also Harrys Leben ein Abenteuer in einer unfreiwilligen Endlosschleife. Kein Abenteuer im Sinne Indiana Jones oder eines finanziell sorgenfreien Thomas Crown als Kunstdieb, sondern eines talentierten Hochstaplers in Form eines Ghostwriters mit undurchsichtigen Nischenprodukten. Ghost, wie er sich auch nannte, stand im Ruf, ein geschickter Stratege und Schreiberling zu sein. Aber auch hier zählten das und sein eisernes Prinzip, als Hochstapler nichts und niemanden auszunutzen. Warum also immer nur nach gesellschaftlichen Idealnormen vegetieren und zugunsten der schweigenden Mehrheit mitschwimmen? In seinem Lügenkonstrukt musste er ohnehin niemandem Rechenschaft ablegen. Niemand würde Harry in den nächsten sechs Wochen vermissen und finden, falls er beispielsweise in einem norwegischen Fjord ersaufen würde! Aber jeder Freund in seiner Gesellschaft konnte für den Rest seines urbanen Abenteuers mitten in Deutschland in der Gegenwart wegweisend sein.