Buch

Das Evangelium der Grabtuchräuber - Heinz-Joachim Simon

Das Evangelium der Grabtuchräuber

von Heinz-Joachim Simon

Aus Kapitel 1:

[…] Als ich am nächsten Morgen den Frühstücksraum betrat, der neben der Bar im obersten Stock lag und einem kostenlos offerierte, was diese Stadt einzigartig machte, nämlich der Anblick einer großartigen Vergangenheit, winkte Schlesinger mir zu. Ich setzte mich zu ihm, und der Ober brachte mir Orangensaft, den meine trockene Kehle auch verdammt nötig hatte. "Nun, werden Sie den Auftrag annehmen?", bedrängte er mich sogleich. Auch an diesem Morgen sah er aus, als müsse er gleich am Empfang des Staatspräsidenten teilnehmen. Seriös bis auf die Knochen. "Schon möglich", erwiderte ich vage, stand auf und ging ans Buffet und häufte mir drei Spiegeleier und Lachs auf den Teller. Kaum saß ich, als er seine nächste Frage abschoss. "Wie werden Sie es angehen?", nervte er. "Mir erst einmal ein Bild von Ihrer Tochter machen. Wie lebt sie? Wer sind ihre Freunde? Wie wird sie von denen beurteilt? Was studiert sie eigentlich?" "Sagte ich Ihnen doch: Archäologie." Ein Studium, das die Garantie enthielt, nur mit Vitamin B einen Job zu bekommen - eine Art Freizeitbeschäftigung. "Beste Freundin oder fester Freund?" "Eine Irene von Bergheim. Eine Zeitlang war sie mit Dietmar von Grünfeld zusammen. Ein guter Junge. Meine Frau hätte sich gefreut, wenn daraus etwas Ernstes entstanden wäre. Die Grünfelds gehören zum Hochadel, haben riesige Ländereien in Bayern und Österreich." "Hat das gute Kind auch normale Freunde?" "Was meinen Sie mit normal?", fragte er erstaunt und zog die Augenbraue bis zum akkuraten Seitenscheitel hoch. "Ohne das ‚von‘ in der Mitte und ohne Raubritterahnen." "Lassen Sie das nicht meine Frau hören", sagte er pikiert. "Als eine ehemalige Hohenstein ist sie stolz auf ihre Ahnen, insbesondere auf den Haushofmeister des Kaisers. Es gab unter ihren Altvorderen einen General, der bei Jena und Auerstedt gegen Napoleon dabei war." "Auf eine solche Ahnengalerie wäre ich nicht gerade stolz. Immerhin hat ihn Napoleon mächtig verdroschen. Aber mit Ihrer Frau werde ich noch sprechen müssen." "Warum? Was soll dabei herauskommen? Ich beantworte Ihnen gern alle Fragen", sagte er nun sichtlich beunruhigt. "Mütter wissen meist mehr über ihre Töchter." "Sybille ist eher ein Vaterkind. Meine Frau hat schon lange keinen Zugang mehr zu ihr. Aber wenn Sie unbedingt mit ihr sprechen müssen, dann sollten Sie despektierliche Kommentare über die Aristokratie unterlassen. Sie hält Sie sonst für einen Roten, und das ist für sie schlimmer, als wenn Sie in der Bunten mit heruntergelassenen Hosen abgebildet wären. Sie würde Ihnen sofort den Auftrag entziehen, und ich kann alles wieder glattbügeln." Ich musste mir ein Lachen verkneifen. Der Kerl hatte Schiss vor seiner Frau. Manche Männer sind so blöd und holen sich den Ärger ins Bett. "Was ist Ihre Tochter für ein Mensch?" "Was meinen Sie?" "Ist sie lustig, eher extrovertiert als introvertiert? Wofür interessiert sie sich außer für Archäologie und Party machen?" "Vor zwei Jahren hätte ich gesagt: eher introvertiert. Doch in letzter Zeit kann sie ganz schön auf den Putz hauen. Wenn ich es mir recht überlege, habe ich seit zwei Jahren keine Ahnung, was sie so treibt." Es war immer dasselbe. Eltern wissen meist nicht, was ihre Kinder umtreibt. Mein Kind, das unbekannte Wesen. […]

Weitere Infos

Art:
eBook
Genre:
Krimis Thriller
Sprache:
deutsch
Umfang:
285 Seiten
ISBN:
9783862821945
Erschienen:
März 2013
Verlag:
Acabus Verlag
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