Buch

Die Geschichte hat immer Recht - Julian Köck

Die Geschichte hat immer Recht

von Julian Köck

Vorwort Vorliegendes Buch stellt die gekürzte und leicht überarbeitete Fassung meiner Dissertationsschrift dar, die im Herbst 2014 an der Universität Bern angenommen worden ist. Mein Dank gilt meinen Betreuern Stefan Rebenich und Uwe Puschner, die außerordentlich großes Engagement bei der Betreuung gezeigt haben. Bei der oftmals schwierigen Quellen- und Literaturbeschaffung durfte ich auf die Hilfe von Annika Bohrdt, Christine Buch, Oliver Engl, Alexandra Esche, Benjamin Hasselhorn, Barbara Kriehn, Diana Kotte, Julia Köck, Holger Müller, Matthias Steinbach, Susanna Olga Werger und Gesina Zöller zählen. Besonders verpflichtet bin ich Gregor Hufenreuther, der mir Einblick in seine umfangreiche Quellensammlung zum Deutschbund gewährte. Für hilfreiche Gespräche und Anregungen habe ich mich bei Christian Gerlach, Sven Mau, Jan Rodis, Jasmin Welte, Ingo Wiwjorra sowie den Teilnehmern des Althistorischen Kolloquium der Universität Bern zu bedanken. Wichtige Gedanken und Anregungen verdanke ich darüber hinaus meinen Dozenten aus der Mannheimer Zeit: Angela Borgstedt, Rosmarie Günther, Wilhelm Kreutz, Erich Pelzer und Peter Steinbach. Barbara Kriehn und Gunnar Danckert sei für das unermüdliche Kor-rekturlesen des Manuskriptes gedankt. Bei der Studienstiftung des deut-schen Volkes habe ich mich für die Gewährung des Promotionssti-pendiums zu bedanken. Von Seiten des Campus-Verlags möchte ich mich bei Jürgen Hotz und Cornelia Stratthaus für ihre freundliche Unterstützung bedanken. Last, not least gilt meiner Familie und meinen Freunden Dank, die mich geduldig auf dem Weg zur Promotion hin begleitet und unterstützt haben. Ihnen sei diese Arbeit gewidmet.

Julian Köck

Einleitung "In ferner Zeit […], wenn die Menschheit etwas weiter fortgeschritten ist als heute, wird man sicherlich mit grenzenlosem Erstaunen von der Existenz der im folgenden behandelten Verbände und Organisationen und ihren Anschauungen lesen. Man wird es nicht für möglich halten, daß in dem Deutschland von heute Gedanken und Ziele vertreten wurden, wie sie diesen Organisationen eigen sind." So urteilte 1931 Oskar Stillich, der anonyme Verfasser des Deutschvölkischen Katechismus, über die Völkischen. Heute weiß man, dass keine zwei Jahre später die Nationalsozialisten an die Macht kamen. Sie setzten nicht wenige der völkischen Ziele um, ja übertrafen sie noch an Radikalität. Aus dem Zitat spricht deutlich das Empfinden, es bei den völkischen "Anschauungen" mit Anachronismen und Skurrilitäten zu tun zu haben. Gut 85 Jahre später ergibt sich ein ähnliches Bild. Bei der Lektüre völkischer Werke drängt sich dem heutigen Leser die Frage auf: Wie konnten solche "Anschauungen" und Gedanken ernst genommen werden, geschweige denn sich teilweise sogar durchsetzen? Die Antwort darauf kann nur die systematische Untersuchung der Struktur der Völkischen Bewegung und der Ideenwelt ihrer Führer und Anhänger bieten. Der heutige Historiker ist - mit anderen Worten - dazu angehalten, die Arbeit Stillichs, die 1933 ihr vorzeitiges Ende fand, fort-zusetzen. Es ist nicht ohne eine gewisse Ironie, dass auch die Völkischen selbst einen nicht unbeträchtlichen Teil ihrer regen publizistischen Energie auf die Diskussion verwendeten, was unter "völkisch" eigentlich zu verstehen sei. Zwar lässt sich die Herkunft des Wortes leicht klären, der Begriff jedoch nahm ein Eigenleben an, das bis heute andauert: So wird er als nahezu identisch mit national- oder neonationalsozialistisch (oder überhaupt rechtsextrem) verwendet, kann aber auch eine spezielle politisch-weltanschauliche Bewegung des späten 19. und des 20. Jahrhunderts, eine besondere Form des Nationalismus oder eine bestimmte Denkfigur bezeichnen. Diese Vieldeutigkeit geht oft einher mit einem hohen Maß an Beliebigkeit, die ihren Ausdruck darin findet, dass oft gar nicht festzustellen ist, was der einzelne Autor unter "völkisch" versteht. Umso wichtiger ist es, den Begriff klar zu definieren.

Fragestellung und Gegenstand Die vorliegende Arbeit ist Uwe Puschners "Plädoyer für einen ›engen‹ Be-griff" des Völkischen verpflichtet. Als völkisches Gedankengut werden in vorliegender Arbeit die Positionen bezeichnet, die von den circa 100 "Vordenker[n], Führer[n] und Agitatoren" der Völkischen Bewegung vertreten wurden. Die Bewegung lässt sich als eine "Sammelbewegung" charakterisieren, die nach der Gründung des Kaiserreichs, spätestens aber in den 1890er Jahren, als Reaktion auf die tatsächlichen oder nur empfundenen Verwerfungen der Zeit entstanden ist: "Die völkische Bewegung war als Reaktion auf die Modernisierung, auf die rasante Industrialisierung und soziale Mobilisierung entstanden, die u. a. einen Bedeutungsverlust traditionellen Bildungsverständnisses, den Abstieg des handwerklichen Mittelstandes und die Entstehung von Massenparteien mit sich brachte." Die völkischen Publizisten können "überwiegend" zum "altem und neuen Mittelstand" gezählt werden, was ihre Herkunft und ihre Ausbildung anbelangt. Die Bewegung lässt sich mit Stefan Breuer als Trägerin einer "Mittelstandsideologie" charakterisieren, die um die "Hypostasierung des holistisch verstandenen Volks" und die Betonung der Ungleichheit der Menschen zu einem "spezifisch völkischen Rechtsnationalismus" ergänzt wurde. Aufgrund ihres Charakters als "Protest-, Such- und Alternativbewegung" lassen sich in der Bewegung, die ihre Struktur in erster Linie durch Mehrfachmitgliedschaften in Verbänden und Bünden und das rege Zeitschriftenwesen erhielt, ganz unterschiedliche Interessensschwerpunkte ausmachen. Daher fällt es schwer, die Bewegung auf einen ideologischen Nenner zu bringen. Methodisch wird der Erforschung der Bewegung deswegen nur die Verwendung von verschiedenen "ideologie-, institutionen-, personen- und kommunikationsgeschichtliche[n] Methoden" gerecht. Im Unterschied zu den bisher erschienenen Monographien zur Völki-schen Bewegung soll der inhaltliche Schwerpunkt der vorliegenden Unter-suchung auf die völkische Geschichtsideologie gelegt werden. Der Unter-suchung liegt die Hypothese zugrunde, dass die völkische Geschichtsideo-logie die Basis der verschiedenen völkischen Ideologeme und damit den Kern der völkischen Ideologie ausmacht. Die weltanschaulichen und po-litischen Positionen der Völkischen waren nahezu immer historisch be-gründet. Gangolf Hübinger geht deswegen zu Recht davon aus, dass die völkische Ideologie "von der Kraft ihrer Geschichtsbilder" lebte. Das 19. Jahrhundert war überhaupt ein "Jahrhundert der Geschichte": Der Geschichtswissenschaft kam eine Leitfunktion zu und den Historikern wurde eine hohe Erklärungskompetenz in politischen Fragen zugesprochen. Während die Geschichtswissenschaft zu Beginn des 20. Jahrhunderts ihre diesbezügliche Bedeutung zunehmend an die aufstrebenden Naturwissenschaften abgeben musste, integrierten die Völkischen naturwissenschaftliche Überlegungen in ihre Geschichtsbilder, die so, nach Überzeugung der Völkischen, in ihrer Bedeutung noch gestärkt wurden. Im Folgenden soll dargelegt werden, dass die Beschäftigung der Völkischen mit historischen Themen keineswegs einem rein antiquarischen Interesse diente, sondern der Konstituierung und ständigen Bestätigung der völkischen Spielart des Nationalismus, in deren Mittelpunkt das Volk als eine von anderen Völkern kulturell verschiedene Einheit stand. Der richtige, dem Volk angemessene Staat konnte aus völkischer Perspektive nur dann entstehen, wenn das Volk ein Bewusstsein über die ihm eigene Art entwickelte. Die Erkenntnis der eigenen Art suchten die Völkischen in der Geschichte. Daraus resultiert das stark pädagogische Moment der völkischen Geschichtsschreibung, die hier unverkennbar in der Tradition des 19. Jahrhunderts steht. Der Düsseldorfer Gymnasialprofessor Heinrich Wolf forderte, Geschichte zur "Förderung unseres Volkstums" zum wichtigsten Schulfach zu machen, während es für Heinrich Claß ohne Geschichte keine "Liebe zum Vaterland" geben konnte, weswegen Geschichte nicht nur "Rückgrat der Schulerziehung", sondern auch Bestandteil jedes Studiums sein sollte. Für Adolf Reinecke war es die wichtigste anstehende Aufgabe, aus der Geschichte die Natur des deutschen Wesens zu erkennen, um dieses zu verwirklichen und seine Fehler zu beseitigen: "Deshalb muß sich die völkische Bewegung in hervorragender Weise mit unserer Geschichte befassen, muß unsere geschichtliche Entwickelung berücksichtigen und aus den Lehren der Geschichte die erforderlichen Folgerungen ziehen." Darauf ist später näher einzugehen. Auch die diskutierten Rassentheorien, die in Deutschland eine Popularisierung durch die Völkischen erfuhren, bedurften der Geschichtsschreibung. Nur durch die Betrachtung der Ver-gangenheit einer als "Rasse" verstandenen Gruppe ließ sich eine Aussage über deren Kulturwertigkeit treffen und eine scheinbare Rationalisierung des Geschichtsverlaufs konstruieren. Die Bedeutung der Geschichte für die völkische Ideologie lässt sich anhand solcher Überlegungen erkennen. Aber auch die große Anzahl der von führenden Völkischen verfassten Geschichtsdarstellungen unterstreicht diesen Befund. Die Arbeit soll zeigen, dass sich die Völkischen dabei keineswegs auf die Verherrlichung einer germanischen Frühzeit beschränkten, sondern ganz unterschiedliche und hochgradig ausdifferenzierte, oftmals weltgeschichtliche Geschichtsmodelle entwarfen. Trotz dieser Heterogenität der Ansätze lagen die meisten dieser völkischen Geschichtsbilder auf einer politischen Linie und kamen auf unterschiedlichen Wegen zu den gleichen Ergebnissen, was die grundsätzlichen politischen und allgemein weltanschaulichen Positionen angeht. Dadurch konnten Unstimmigkeiten überbrückt und die völkische Ideologie leichter verbreitet werden. Bewunderer der Antike wurden so genauso angesprochen wie die Bewunderer der germanischen Frühzeit und des Mittelalters. Exemplarisch lässt sich dies in der Reihe von Vorbildern erkennen, in die Willibald Hentschel seinen Freund und Begründer des Hammer-Verlags Theodor Fritsch einreihte: Themistokles, Luther, Bismarck, Fritsch, Hitler.

Gliederung der Untersuchung Die Untersuchung der völkischen Geschichtsideologie erlaubt es, einen neuen Blickwinkel auf die Bewegung zu eröffnen und gleichzeitig einen Beitrag zur Dekonstruktion des völkischen Diskurses zu leisten. In vorliegender Arbeit sollen deshalb die verschiedenen Aspekte des Themenkomplexes Völkische Bewegung und Geschichte in vier Schritten untersucht werden. Zuerst wird die Bedeutung der Geschichte und der Rasse für die völkische Ideologie anhand einer breiten Auswahl völkischer Publizisten analysiert (Teil I). Daran schließt die Untersuchung von mehreren völkischen Entwürfen einer Weltgeschichte an, die weitergehende Schlüsse auf das völkische Geschichtsdenken ermöglicht und gleichzeitig die dahinter stehende politische Ideologie offenbart (Teil II). Anschließend ist näher die methodischen Einflüsse und die Themen der völkischen Geschichtsschreibung einzugehen (Teil III). Abschließend wird nach dem wechselseitigen Verhältnis von Völkischen und universitären Fachhistorikern gefragt werden (Teil IV).

Quellenauswahl Die große Heterogenität der Bewegung und der immense Umfang des völkischen Schrifttums stellen für die Erforschung der Bewegung eine Schwierigkeit dar. Legt man allein die Schätzung von Moshe Zimmermann zugrunde, dass es nach 1918 ungefähr 400 völkische Vereinigungen und um die 700 damit zusammenhängende Zeitungen gegeben habe, dann wird deutlich, dass es unumgänglich ist, eine Auswahl an zu berücksichtigenden Quellen zu treffen. Dabei droht die Gefahr, durch die exemplarische Untersuchung von wenigen völkischen Werken mit einer weitreichenden Extrapolation der Ergebnisse ein Bild der Bewegung zu gewinnen, das ihrer Vielschichtigkeit nicht gerecht wird. Aber auch die Berücksichtigung einer großen Zahl der völkischen Publizisten und Kleinstautoren ist problematisch. Eine analytische Betrachtung der Bewegung ist dann kaum mehr möglich. Deswegen sind der hier vorliegenden Auswahl folgende Gedanken zu-grunde gelegt: Es sollen nur die Werke von Völkischen untersucht werden, denen innerhalb der Bewegung eine Führerschaft bzw. große Bedeutung zugemessen wurde. In Hinblick darauf wurden die völkischen Literaturführer und deren Empfehlungen ausgewertet. Darüber hinaus wurden thematisch relevanten Aufsätze aus wichtigen völkischen Zeitschriften (unter anderem Hammer, Heimdall, Alldeutsche Blätter, Deutschbund-Blätter, Deutsche Welt, Der Reichswart, Deutschlands Erneuerung, Der Volkserzieher, Deutschvölkische Hochschulblätter) herangezogen, da davon auszugehen ist, dass diese auch weniger bekannten völkischen Autoren ein breites Publikum innerhalb der Bewegung garantierten. Die Auswahl der Autoren soll damit gleichzeitig die verschiedenen Strömungen innerhalb der Bewegung widerspiegeln. Den Ausführungen in der Arbeit liegt eine grobe Systematik zugrunde, die folgende Strömungen idealtypisch abzubilden versucht:

1. Alldeutsch-bürgerliche Richtung: Alldeutsche wie Heinrich Claß, Hein-rich Wolf, Albrecht Wirth und Ludwig Schemann, die sich stark auf das Bürgertum bezogen und deren Denken häufig nationalliberale bis konservative Einflüsse hatte. 2. Naturwissenschaftlich orientierte Richtung: Autoren wie Ludwig Wolt-mann, Ludwig Wilser und Willibald Hentschel vertraten häufig monistische, sozialdarwinistische und eugenische Ansichten. 3. Humanistisch-bildungsbürgerliche Richtung: Autoren wie Heinrich Wolf, Ludwig Schemann und Max Wundt, die der humanistischen Ausbildung treu blieben und der Antike (und häufig auch der Weimarer Klassik) normative Bedeutung zusprachen. 4. Antisemitisch-egalitäre Richtung: Antisemiten wie Theodor Fritsch, Bernhard Förster und Graf Ernst zu Reventlow, die den Antisemitis-mus in den Mittelpunkt ihrer ideologischen Entwürfe stellten und oft-mals radikale Forderungen zum Umbau der Gesellschaft äußerten und über eine gewisse Nähe zu sozialistischem Gedankengut verfügten. 5. Ariosophische Richtung: Hier sind vor allem Jörg Lanz von Liebenfels, Guido von List und Philipp Stauff als Anhänger von theosophischem und okkultem Gedankengut zu nennen.

Ob es sich bei den Völkischen um ein rein deutsches und österreichisches Phänomen handelt oder ob es in vielen Ländern vergleichbare Strömungen gab, ist umstritten. Der letztgenannten Deutung folgten bereits die Zeitgenossen; Julius Goldstein meinte beispielsweise im Ku-Klux-Klan die amerikanischen Völkischen zu erkennen. Kürzlich hat Moshe Zimmermann im Rahmen eines Vortrags mit dem Titel The paradox mutation - The jewish-völkisch interpretation of history die provokante, aber plausible These aufgestellt, dass gerade in Israel viele völkische Positionen in enger Tradition zu den deutschen Völkischen vertreten werden. Auch auf sich überschneidende Positionen von deutschen Völkischen und schwedischen sowie japanischen Strömungen wurde bereits hingewiesen. Die vorliegende Arbeit beschränkt sich dezidiert auf die deutschen Völkischen; die Frage nach der Internationalität des Völkischen wird in Zukunft für die Forschung indes eine wichtige Aufgabe sein. Eine weitere Eingrenzung ist zeitlicher Natur: In der vorliegenden Arbeit wird im Wesentlichen die Hochzeit der Völkischen Bewegung untersucht werden, die zwischen 1900 und 1925 angesetzt werden kann. Mit dem Aufstieg des Nationalsozialismus in der Mitte der 1920er Jahre war, wie Günter Hartung treffend diagnostiziert hat, eine Marginalisierung der Völkischen verbunden, die es schwer macht, die Übergänge und Brüche zum Nationalsozialismus klar zu benennen. Frank-Lothar Kroll hat 1998 eine Studie über das Geschichtsdenken der Nationalsozialisten vorgelegt, die sich an den individuellen Ge-schichtsvorstellungen Adolf Hitlers, Alfred Rosenbergs, Richard Walther Darrés und Heinrich Himmlers orientiert. Kroll hat gezeigt, dass sich Geschicht als Leitbegriff für eine ideengeschichtliche Untersuchung der nationalsozialistischen Ideologie verwenden lässt. In vorliegender Arbeit gilt es zu zeigen, dass dies tendenziell noch stärker auf die Untersuchung der völkischen Ideologie zutrifft. Während Kroll bemüht ist, den Einfluss des Geschichtsdenkens der vier exemplarisch untersuchten Nationalsozialisten auf ihre politischen Handlungen nachzuweisen, soll es in vorliegender Arbeit mehr um die Ideologie der Völkischen, wie sie sich ideengeschichtlich aus einer Vielzahl von Monographien und der reichhaltigen Zeitschriftenlandschaft herauspräparieren lässt, gehen und weniger um die realiter kaum vorhandenen politischen Wirkungsmöglichkeiten der Völkischen. Geht man davon aus, dass sich die nationalsozialistischen Geschichtsbilder als (teils vereinfachte) Fortschreibungen der völkischen Geschichtskonstruktionen begreifen lassen - und dieser Befund wird durch den Vergleich der Ergebnisse von Kroll und die der vorliegenden Arbeit erhärtet -, dann lässt sich die konkrete nationalsozialistische Politik als teilweise Verwirklichung völkischer Geschichtsutopie begreifen. Von großer grundsätzlicher Bedeutung für die Erforschung der Völkischen Bewegung ist das Verhältnis von Völkischer Bewegung und Alldeutschem Verband. Dieser war nicht einfach ein Teil von jener, sondern kann als Knotenpunkt des ganzen rechten Spektrums gelten. Insofern ist es nicht verwunderlich, dass führende Völkische wie Otto Ammon, Artur Dinter, Paul Förster, Friedrich Raab, Friedrich Lange, Ernst Graf zu Reventlow, Max Robert Gerstenhauer, Paul Langhans, Alfred Roth, Ludwig Schemann, Ludwig Wilser, Max Wundt, Heinrich Wolf, Adolf Bartels, Philipp Stauff, Theodor Fritsch, Kurd von Strantz, Reinhold Wulle oder Albrecht Wirth dem Verband zum Teil in hohen Positionen angehörten. Während der Verband anfänglich noch stark zum "alten Nationalismus" (Stefan Breuer) tendierte, wurde der Einfluss des "völkischen Nationalismus" nach der Jahrhundertwende immer stärker. Diese ideologische Verschiebung des Verbands wurde maßgeblich von Heinrich Claß bewirkt, der seit 1908 den Verband leitete, zuvor führend dem Deutschbund angehörte und ideologisch zur Völkischen Bewegung zu rechnen ist. Allerdings lassen sich auch nach 1908 noch Unterschiede zwischen beiden Bewegungen feststellen. Von völkischer Seite wurde noch Mitte der 1920er Jahre der bezeichnende Vorwurf erhoben, dass der Alldeutsche Verband zu elitär ausgerichtet sei. Stefan Breuer hat vorgeschlagen, für dieses uneindeutige Verhältnis den aus der Physik entliehenen Begriff der Interferenz anzuwenden. Damit soll beschrieben werden, "daß es sich um die zeiträumliche Kopräsenz zweier verschiedener Bewegungen handelt, die durch ihr partielles Zusammen-fallen nicht in ihrer Eigenständigkeit tangiert werden." Dies mag der Fall sein. Doch kann kein Zweifel daran bestehen, dass der Verband eine "wesentliche organisatorische und ideologische Konstante der ›Völkischen Bewegung‹" darstellte, auch wenn es viele Mitglieder, wie Max Weber, im Verband gab, die mit den Völkischen sicher nichts anzufangen wussten. Um diesem Umstand Rechnung zu tragen, werden die Publikationen des Verbands bei der Untersuchung herangezogen. Was in den Alldeutschen Blättern geschrieben wurde, wurde von den führenden Völkischen gelesen und lag prinzipiell auf einer Linie mit ihren Ansichten, zumal dort auch Völkische publizierten und Bekenntnisse zur Bewegung erschienen: Für Hans von Liebig waren "[v]ölkisch gesinnt" und "alldeutsch sein" schlicht Pseudonyme. Eine enge Verbindung zwischen Völkischer Bewegung, Rassentheorieanhängern und Alldeutschen war darüber hinaus über Lud-wig Schemann und sein Wirken für die Rassentheorie Arthur de Gobineaus gegeben, über die in den Alldeutschen Blättern und auch in der Deutschen Geschichte von Heinrich Claß affirmativ berichtet wurde. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde die Gobineau-Vereinigung schließlich in den Alldeutschen Verband inkorporiert, was das alldeutsche Bekenntnis zum Rassismus unterstreicht. Vorsicht ist dagegen beim Ideentransfer in die andere Richtung angebracht: Nicht jeder völkischer Autor wurde von allen Alldeutschen wahrgenommen und auch nicht jede völkische Idee goutiert. Rainer Herings Diktum über den Alldeutschen Verband lässt sich mit einiger Berechtigung auf die Völkische Bewegung übertragen: Mitte der 1920er Jahre wurde sie mehr und mehr "als ein Fossil aus einer längst vergangenen Zeit" empfunden. Der Erfolg des Nationalsozialismus führte indes dazu, dass eine ganze Reihe von völkischen Positionen verwirklicht wurden - die Marginalisierung der Völkischen ging einher mit der (teilweisen) Übernahme ihres Gedankenguts durch andere Strömungen. Aus dieser Perspektive ist die Geschichte der Völkischen eine Erfolgsgeschichte. Dieser Umstand unterstreicht die Wichtigkeit, die Völkischen nicht als Figuren aus dem Kuriositätenkabinett der Geschichte zu präsentieren, sondern gerade ihren Einfluss auf die Mitte der Gesellschaft herauszustellen. Entsprechend soll nur kurz auf die Ariosophen Guido von List und Jörg Lanz von Liebenfels eingegangen werden, die zwar auch in der Bewegung immer wieder angefeindet wurden, sich aber dennoch einer gewissen Rezeption und gewisser Artikulationsmöglichkeiten erfreuen konnten und beispielhaft für okkulte Tendenzen in der Bewegung standen. Anhand des Vergleichs ihrer Thesen mit denen anderer völkischer Richtungen lässt sich der Blick auf die gesamte Bewegung schärfen. Die Grundlagen des 19. Jahrhunderts von Houston Stewart Chamberlain , die unter Pseudonym ("Einhart") veröffentlichte Deutsche Geschichte von Heinrich Claß und die Bände der Reihe Angewandte Geschichte von Heinrich Wolf stellten die wichtigsten völkischen Geschichtswerke dar und gehörten gleichzeitig zu den auflagestärksten völkischen Büchern überhaupt. Auch der berüchtigte Antisemiten-Katechismus bzw. das Handbuch der Judenfrage von Theodor Fritsch beinhaltete einen historischen Überblick. Der Hammer, die Zeitschrift Theodor Fritschs, kann als das Kernorgan der Völkischen Bewegung zählen, stellt eine "Chronik des völkischen Denkens" dar. Dies war schon den Zeitgenossen bewusst, was die Bedeutung der dort erschienenen Liste von "zwölf völkischen Grundwerken" unterstreicht. Darin wurden mit Willibald Hentschels Varuna und der Religionsgeschichte Der falsche Gott von Theodor Fritsch zwei weitere Geschichtsbücher neben den bereits angeführten genannt. Auch die Arbeiten Ludwig Woltmanns, besonders seine Politische Anthropologie sowie Die Germanen und die Renaissance in Italien , sind zu den einflussreichsten völkischen Schriften zu zählen. Die genannten Werke können als der Kanon der völkischen Geschichtsideologie gelten, anhand dem sich die völkischen Geschichtsbilder und Ideologeme untersuchen lassen. Sie fanden nicht nur in den Literaturführern der Bewegung, sondern auch in Werbeannoncen häufig Erwähnung. Um diesen Kernkanon herum lassen sich weitere Monographien zu historischen Themen anordnen, die ebenfalls breit von den Völkischen rezipiert wurden. So sind zum Beispiel eine ganze Reihe von Werken des Arztes und Privatgelehrten Ludwig Wilsers zu nennen, der sich mit anthropologischen, prähistorischen und kulturgeschichtlichen Fragen auseinandergesetzt hat. Auch Albrecht Wirth publizierte eine große Anzahl von meist weltgeschichtlichen Abhandlungen. Von Interesse sind weiterhin die Werke von Heinrich Driesmans, der um die Jahrhundertwende im Eugen Diederichs Verlag über rassegeschichtliche Fragestellungen publizierte, und die von Adolf Bartels. Letzterer kann als renommierter Literaturhistoriker seiner Zeit gelten, im Kontext der vorliegenden Fragestellung spielt seine Kulturgeschichte des deutschen Bauerntums, die in Georg Steinhausens Reihe Monographien zur deutschen Kulturgeschichte erschien, allerdings eine größere Rolle. Mit zeitgeschichtlichen Fragen beschäftigte sich Graf Ernst zu Reventlow in einer Reihe von Werken, die er als Herausgeber des Reichswarts in der Bewegung bekannt machen konnte. Von besonderer Bedeutung für die vorliegende Untersuchung ist das dreibändige Hauptwerk von Ludwig Schemann: Die Rasse in den Geistes-wissenschaften. Zwar ist dieses erst um 1930 erschienen, doch stellt es gewissermaßen die Sammlung und den intellektuellen Höhepunkt der völkischen Rassengeschichtsschreibung dar, weswegen eine intensive Beschäftigung damit notwendig ist. An der Akzeptanz und Bekanntheit Schemanns in der Bewegung besteht darüber hinaus kein Zweifel. Allein durch sein Wirken als Verkünder der Rassenlehre des Franzosen Arthur de Gobineau erlangte er große Bekanntheit unter den Völkischen. Abschließend seien noch die erste Geschichte der Völkischen Bewegung aus der Feder des Vorsitzenden des Deutschbunds Max Robert Gerstenhauer und Die dreizehn Bücher der deutschen Seele von Wilhelm Schäfer genannt. Bei Schäfers "Büchern" handelte es sich um eine Kulturgeschichte der Deutschen, die gleichzeitig thematisch und chronologisch gegliedert war und aufgrund Schäfers Ruhm als Schriftsteller im "Dritten Reich" weite Verbreitung finden sollte. Neben dieser beachtlichen Anzahl von historischen Monographien steht eine Vielzahl von Aufsätzen in den verschiedenen völkischen Zeit-schriften. Schon eine kursorische Betrachtung macht die Mannigfaltigkeit der völkischen Beschäftigung mit der Geschichte in ihren verschiedenen Formen deutlich. In den Alldeutschen Blättern erschienen beispielsweise Artikel zu historischen Persönlichkeiten wie Heinrich IV., Martin Luther oder auch Personen der Zeitgeschichte wie Heinrich von Treitschke, aber auch historische Analysen zu politischen Themen wie der Diktatur und Überlegungen zur Bedeutung von Rasse und Geschichte für die politischen Ziele des Alldeutschen Verbands. In den Deutschbund-Blättern erschienen ebenfalls einige Aufsätze zur deutschen Geschichte sowie die ersten Versuche, die Geschichte der Völkischen Bewegung aufzuzeichnen. Die von Friedrich Lange herausgegebene Deutsche Welt verfügte gar über eine eigene, von Karl Lory betreute Geschichtswissenschaftliche Rundschau, die kritisch über aktuelle Trends der Geschichtswissenschaft berichtete. Daneben erschienen ganz unterschiedliche Aufsätze aus völkischer Feder: Heinrich Wolf referierte beispielsweise in einem geradezu aufklärerisch angehauchten Aufsatz über die Bewegung in der Geschichte , während sich andere Veröffentlichungen mit der Bedeutung des Germanenbluts in der Völkergeschichte oder der mittelalterlichen und zeitgenössischen "Ostmarkenfrage" beschäftigten. In Der Reichswart erschienen neben vielen zeithistorischen Stellungsnahmen auch eine Reihe von religionsgeschichtlichen Artikeln. Im Heimdall wurden hauptsächlich geistes- und rezeptionsgeschichtliche Aufsätze abgedruckt. In den Deutschvölkischen Hochschulblättern lassen sich mit einer Reihe von Veröffentlichungen zur frühen germanischen Geschichte und deren Erforschung sowie von Aufsätzen zur Geschichte des 18. und 19. Jahrhunderts zwei Schwerpunkte erkennen. Die größte Anzahl an historischen Publikationen erschien indes im schon mehrfach erwähnten Hammer. Das thematische Spektrum erstreckte sich dabei von Biographien , über religionsgeschichtliche , kulturgeschichtliche und rassegeschichtliche Aufsätze bis hin zu einer ganzen Reihe von Artikeln zu geschichtstheoretischen und didaktischen Fragestellungen . Weitere thematische Schwerpunkte lassen sich im Bereich der Geschichte des Altertums sowie des Mittelalters und der Frühen Neuzeit erkennen. Eine besondere Bedeutung im völkischen Schrifttum kommt der Poli-tisch-Anthropologischen Revue und Deutschlands Erneuerung zu. Die Revue verfügte über eine klare inhaltliche Zielsetzung. Begründet wurde sie um die Jahrhundertwende durch Ludwig Woltmann und sollte der "Förderung der objektiven Erkenntnis politisch-anthropologischer Wahrheiten" dienen und bot in erster Linie Aufsätzen einen Raum, die darum bemüht waren, naturwissenschaftliche Erkenntnisse auf gesellschaftliche und politische Fragestellungen anzuwenden. Eine große Anzahl von Aufsätzen beschäftigte sich dabei mit vergangenen Zeiten bzw. enthielt methodische Überlegungen zur Geschichtswissenschaft. Nach Woltmanns frühem Tod (1907) wurde die Zeitschrift von Otto Schmidt-Gibichenfels unter Beibehaltung des thematischen Schwerpunkts weitergeführt. Allerdings wurde nun der politische Standpunkt von Herausgeber und den meisten Autoren deutlicher betont und die "Revue" entsprechend zur "Monatsschrift" umbenannt. Deutschlands Erneuerung kommt eine besondere Rolle zu, auf die später einzugehen ist. Hier sei nur darauf verwiesen, dass die von Houston Stewart Chamberlain begründete Zeitschrift Texte von Völkischen und renommierten Wissenschaftlern erhielt. Da sie im J. F. Lehmanns Verlag erschien, konnte sie einen Leserkreis erreichen, der über die Anhänger der Völkischen Bewegung hinausging. Abschließend sei auf die völkischen Literaturführer und Sammelbände eingegangen. Auch hier lässt sich eine große Anzahl von Aufsätzen zu historischen Themen feststellen. In Thomas Westerichs Jugend- und Lebens-Geleitbuch finden sich zwei Aufsätze zur germanischen Frühzeit von Gustaf Kossinna und Theobald Bieder, ein längerer Aufsatz von Heinrich Wolf zur deutschen Geschichte sowie Überlegungen über die Vorbildfunktion historischer Persönlichkeiten von Heinrich Claß. Darüber hinaus erschien an dieser Stelle auch ein rechtsgeschichtlicher Aufsatz von Heinrich Driesmans. Weniger allgemein gehalten war Richard Ungewitters Sammelband Deutschlands Wiedergeburt durch Blut und Eisen, der ganz unter dem Eindruck des verlorenen Ersten Weltkriegs stand. So wurde von Kurd Strantz ein angeblicher Mangel an historischem Bewusstsein seitens der deutschen Regierung beklagt. In einem weiteren Artikel führte er diesen Gedanken näher aus, indem er darauf hinwies, dass der "deutsche Westraum", d. h. Elsaß-Lothringen und Teile Belgiens, historisch deutsch und politisch entsprechend zu behandeln seien. Auch ein Aufsatz über die Geschichte des Münzwesens und die Kulturgeschichte der "Arier" wurden in Ungewitters Band publiziert. Neben diesen gedruckten Quellen wurde für vorliegende Arbeit weiterhin der umfangreiche Nachlass Ludwig Schemanns herangezogen, der sich im Archiv der Universitätsbibliothek Freiburg im Breisgau befindet. Die dort befindlichen Briefe lassen in besonderem Maße Schlüsse darauf zu, wie sich völkische Netzwerke über die Bewegung hinaus erstrecken konnten.

Forschungsstand Bis zur Jahrhundertwende stand die Erforschung der Völkischen Bewegung weitgehend unter dem Imperativ, die Entstehung und die weltanschaulichen Grundlagen des "Dritten Reichs" zu erklären. Dem entsprachen mehrere Artikel in der Deutschen Rundschau, die Ende der 1950er Jahre und Anfang der 1960er Jahre die Erforschung der Völkischen Bewegung einleiteten. Martin Broszat hatte sich bereits in seiner Dissertation von 1953 intensiv mit den Antisemiten im Kaiserreich beschäftigt. In einem Artikel von 1958 konstatierte er, dass alles Ideologische am Nationalsozialismus völkischen Ursprungs sei, die Begriffe "völkisch" und "nationalsozialistisch" mithin nahezu deckungsgleich seien. Reginald Phelps stilisierte Theodor Fritsch in einer biographischen Skizze zum "Ahnherrn des Nationalsozialismus". Diese Betonung der Kontinuitäten zwischen Völkischen und Nationalsozialisten griff George L. Mosse auf, der 1964 die erste Monographie zur Völkischen Bewegung vorlegte. Ihm ging es einerseits um die "völkischen Ursprünge des Nationalsozialismus", wie schon der Untertitel der deutschen Ausgabe verrät, und andererseits darum, die These vom deutschen ›Sonderweg‹ ideengeschichtlich abzustützen. Mosse meinte die Ursprünge des völkischen Denkens in der Romantik zu erkennen. Diese war für ihn der Ausgangspunkt einer genuin deutschen Entwicklung, die im Gegensatz zum "Rationalismus der Aufklärung" und zum "sozialen Radikalismus der Französischen Revolution" gestanden habe. Beides zusammen machte für ihn das gemein-europäische Erbe aus. Die Entstehung der Völkischen Bewegung war für Mosse gleich-bedeutend mit einer Renaissance der romantisch-völkischen Ideen nter dem Eindruck von Industrieller Revolution und Reichsgründung. Auch erschien ihm die Völkische Bewegung als stark von einer "Populärversion des deutschen Idealismus" geprägt. Den völkischen Antisemitismus verstand Mosse aus dieser Perspektive als Abwehrhaltung gegen die gesamte - von den Juden vorgeblich verkörperte - Moderne. Die Umwälzungen der Moderne hätten bei den Völkischen zu "Entfremdung" und "Isolation" geführt, die diese durch die Rückbesinnung auf Gemeinschaft, Ganzheit und den Glauben an "unausweichliche soziale und historische Mächte" zu überwinden gehofft hätten. Besonders betonte Mosse die Irrationalität des völkischen Denkens, wie sie sich im Antisemitismus und der "germanische[n] Religion" zeige. Den Holocaust verstand er geradezu als Produkt dieser Irrationalität und übersah dabei, wie Richard Weikart zu Recht festgestellt hat, die Bedeutung der durchaus rational argumentierenden Eugenik. Als die wichtigsten Vordenker der Völkischen erkannte Mosse Houston Stewart Chamberlain, Paul de Lagarde und Julius Langbehn, die den "systematischen Rahmen für spätere völkische Ideen" lieferten. Ausgehend von der Prämisse eines deutschen Sonderwegs konnte der 30. Januar 1933 nicht als ›Unfall‹ gewertet werden, sondern musste als das Ergebnis des in der Romantik beginnenden deutschen Sonderwegs gelten. Entsprechend verstand Mosse die deutsche Gesellschaft als durch und durch von völkischen Konzepten geprägt. Die offenkundige politische Impotenz der Bewegung im Kaiserreich spielte für seine Argumentation keine Rolle; er musste nur zeigen, dass die Bewegung Ideen und Konzepte im Umlauf hielt bis, "die Zeit reif war", d. h. bis die Nationalsozialisten nach der Macht griffen. Deshalb sei die Völkische Bewegung keine "flüchtige Erscheinung" gewesen, sondern "eine neue Religion, deren Wurzeln, wie die aller Religionen und Glaubensbekenntnisse, nicht nur ins Unbewußte der Menschen, sondern tiefer eindrangen und zu einer völlig neuen Lebensauffassung wurden. Am Ende wurden die Gefühle selbst zur Tradition, konnten fertig übernommen werden und stellten den gewichtigen Beweis für die Heiligkeit der völkischen Sache dar. Hitler versprach lediglich, ein Lebenskonzept zu erfüllen, das große Teile der Nation durchdrungen hatte, noch bevor er die Bühne betrat." In einem geradezu frappierenden Gegensatz dazu erachtete der Großteil der deutschen Historiker den Einfluss der Völkischen auf die Entwicklungen des 20. Jahrhunderts für sehr gering. Kurt Sontheimer schätzte die Völkischen in seiner 1962 publizierten Studie zum Antidemokratischen Denken in der Weimarer Republik als das "Produkt typisch kleinbürgerlicher Ressentiments" ein und sprach ihnen - die auch von anderen deutschen Rechten belächelt worden seien - keinen nennenswerten politischen und kulturellen Einfluss zu. Eine vergleichbare Ansicht lässt sich noch Ende der 1980er Jahre bei Jost Hermand feststellen. In seiner vielbeachteten Arbeit Der alte Traum vom neuen Reich betonte er, dass es sich bei den Völkischen um den intellektuell anspruchslosten Teil der deutschen Rechten gehandelt habe. Wichtiger erschien ihm eine sich von den Völkischen abgrenzende "Fortschrittliche Reaktion" - ein Konzept, das in der Forschung keinen großen Widerhall finden sollte. Allerdings folgte Hermand den Ansichten Mosses insofern, als er die Annahme einer direkten Kontinuität der Vertreter der Romantik, der Völkischen und der Nationalsozialisten beibehielt. Dem Zusammenhang von Konservatismus und anderen rechten Gruppierungen ist Hans-Jürgen Puhle aus einer vergleichbaren Perspektive nachgegangen. Der "völkische Nationalismus" erschien ihm als Folgestufe des "preußischen Konservatismus". Mit der Zeit entstanden eine ganze Reihe von Einzeluntersuchungen zu völkischen Organisationen und biographische Arbeiten zu völkischen Führern und Vordenkern . Allerdings fehlten bis in die 1990er Jahre hinein Synthesen, welche die verschiedenen Einzeluntersuchungen zusammenfassten. Diesem Mangel trug das 1996 von Uwe Puschner in Zusammenarbeit mit anderen Herausgebern edierte Handbuch zur "Völkischen Bewegung" 1871-1918 Rechnung, das die Völkische Bewegung in ihrer heterogenen Breite abzudecken bemüht war. Erstmals lag damit ein umfassendes Kompendium vor, das über Inhalte, Personen und Institutionen der Völkischen informierte und das die Komplexität des Themas deutlich machte. Auch bedeutete die Beschränkung auf die Kaiserzeit insofern eine neue Akzentsetzung, als die Völkischen so als vom Nationalsozialismus unabhängiges Forschungsfeld sichtbar gemacht wurden. Den größten Anteil an diesem Perspektivwechsel hatte der Berliner Historiker Uwe Puschner, der sich in einer ganzen Reihe von Aufsätzen und in seiner 2001 publizierten Habilitationsschrift Die völkische Bewegung im Kaiserreich mit den Völkischen beschäftigt hat. Als wichtigstes Ergebnis seiner Monographie, die sich auf die Untersuchung einer immensen Zahl von völkischen Werken stützt, kann gelten, dass die Völkische Bewegung als eigenständige weltanschauliche Richtung zu erfassen und der bis dahin dominierende Gedanke einer mehr oder minder bruchlosen Kontinuität von Romantik über die Völkische Bewe-gung bis zum Nationalsozialismus zurückzuweisen ist. Gegliedert ist die Studie um drei "Schlüsselbegriffe der völkischen Weltanschauung", die Puschner für das "Koordinatensystem" der Bewegung hält: Sprache, Rasse und Religion. Rein vom Umfang der einzelnen Kapitel her lässt sich erkennen, dass Puschner ›Rasse‹ für die wichtigste Größe in der völkischen Gedankenwelt erachtet. Das Ziel der Bewegung sei es gewesen, ein "ständisch aufgebautes Gemeinwesen reinrassiger und rassegleicher Individuen" zu schaffen. Puschners Werk muss durch seine Materialfülle und seine zahlreichen Analysen zu einzelnen völkischen Verbänden, Führern und Ideologemen als zentraler Ausgangspunkt der neueren Forschung zur Völkischen Bewegung gelten. Vor allem erbrachte Puschner den Nachweis, dass das umfangreiche und inhaltlich heterogene Schrifttum der Völkischen kaum auf einen Punkt zu bringen ist, es mithin auch nicht eine "allgemein verbindliche Ideologie", wohl aber "signifikante Grundüberzeugungen" gab, die von den allermeisten Völkischen geteilt wurden. Nicht zuletzt daraus erklären sich dann auch die teilweise unterschiedlichen Forschungsstandpunkte. Dass es sich bei der Völkischen Bewegung um eine unter verschiede-nen Strömungen der deutschen Rechten handelte, stellte Armin Mohler bereits in den 1950er Jahren fest. Das von ihm entwickelte Konzept der "Konservativen Revolution", das er in einem gleichnamigen, mehrfach neuaufgelegten Buch entwickelt hatte, stellt bis heute einen wichtigen Orientierungspunkt im Wirrwarr der verschiedenen rechten Gruppierungen zur Zeit der Weimarer Republik dar. Für Mohler stellten die Völkischen neben den "Nationalrevolutionären", den "Jungkonservativen", den "Bündischen" sowie der "Landvolkbewegung" eines der Leitbilder der "Konservativen Revolution" dar. Völkische Gruppen waren für Mohler solche, die den Menschen als "wesentlich durch seine Herkunft, sei es nun aus dem noch gestaltlosen Stoff einer Rasse oder aus einem durch die Geschichte bereits gestalteten Volk oder Stamm", vorgeformt verstehen sowie an eine "Landschaftsseele" rückgebunden sehen. Dies sei indes eine "Linie", die sich durch die ganze "Deutsche[] Bewegung" bis in die Gegenwart ziehe. Als Ursprung der Völkischen im engeren Sinn begriff er diverse antisemitische Vereine und Parteien. Damit unterschied bereits Mohler zwischen völkischem Denken einerseits und einer bestimmten "völkischen Bewegung" im Sinne eines zeitlich begrenzten sozialen Handlungszusammenhangs andererseits. Als Kennzeichen der Bewegung begriff er die Frage nach dem "Ursprung", die sich in letzter Konsequenz immer "in der Vorgeschichte verlieren" würde. Einen besonderen Schwerpunkt legte Mohler auf den theosophischen und germanenreligiösen Teil der Völkischen. Bedingt durch seine Vorstellung einer "Deutschen Bewegung", der sich Mohler politisch wohl zuordnete, kam es auch ihm verstärkt auf die Betonung von Kontinuitäten an. Dabei machte er auch auf die nicht geringe Bedeutung aufmerksam, welche die 1848er Revolution für die Völkischen hatte. In seiner Anatomie der Konservativen Revolution beschäftigte sich der Hamburger Soziologe Stefan Breuer ausführlich mit der von Mohler entwickelten Systematik, die er aber als Kategorisierung ex post zurückwies. Daran schlossen Breuers eigene Versuche an, eine Typologie der deutschen Rechten zu entwickeln. War es für Mohler die "Konservative Revolution", die den inhaltlichen Kern der Rechten ausmachte, so stellte Breuer den Ruf nach "Ordnung" in den Mittelpunkt. Das Ziel der verschiedenen rechten Richtungen sei die Errichterung einer Ordnung gewesen, die gleichermaßen als natürlich stilisiert und gegen den Gedanken, dass alle Menschen gleich seien, gerichtet war; es sei um eine "Ordnung der Ungleichheit" gegangen. Breuer unterschied zwischen "Altem" und "Neuem" Nationalismus, "Planetarischen Imperialismus", "Neoaristokratismus" und "Völkischem Nationalismus". Im Kontext dieser Typologie beschäftigte sich Breuer nun auch verstärkt mit der Völkischen Bewegung und publizierte in diesem Zusammenhang eine Reihe von Aufsätze und eine Monographie . Die Völkische Bewegung ordnete er in die Mitte des rechten Spektrums ein, das er über die "Achsen" Exklusion/Inklusion und Progression/Regression erfasste, und erklärte sie als aus der "Hybridisation fundamentalistischer und progressiver Bestrebungen entstanden". Im Mittelpunkt seiner Beschäftigung mit den Völkischen stand deswegen deren Verhältnis zur Moderne. Bereits in seiner Studie zur "Konservativen Revolution" hatte er betont, dass der Konservatismus eine vormoderne Größe sei und es der überwiegenden Zahl der rechten Gruppierungen gerade nicht um eine Rückkehr in vormoderne Zeiten gegangen sei. Die angesprochenen reaktionären und progressiven Züge der völkischen Ideologie versuchte er durch das Konzept der "Zweiten Moderne" zu erklären: Die Völkischen hätten die "erste" Moderne, in diesem Kontext ist damit vor allem die Entwicklung zum Nationalstaat, die bürgerliche Gesellschaft, die wirtschaftliche Befreiung vom Merkantilismus und den Aufstieg der Wissenschaft gemeint, akzeptiert, dann aber empfindlich auf die Veränderungen durch die "zweite" bzw. "reflexive" Moderne und die mit ihr verbundene Auflösung von festen Strukturen und einem verstärkten Individualismus reagiert. Dadurch erklärte sich für Breuer das völkische Bedürfnis nach "Ganzheiten" in Form einer "gemeinsame[n] Abstammung" und einer harmonischen Kultur, hier verstanden als Summe der menschlichen Interaktionen. So seien es vor allem die "Verlierer" dieser "reflexiven" Moderne gewesen, die das Gros der Völkischen ausmachten: der alte Mittelstand, der zunehmend von der Selbstständigkeit in das Angestelltenverhältnis gedrängt wurde, und auch Teile des gebildeten Mittelstandes, die unter der "kognitive[n] Dissonanz [litten], die aus der Spannung zwischen neuhumanistischen Idealen und einer Realität entspringt, die von Kapitalismus, Bürokratie und Szientismus bestimmt ist" . Es reiche nicht, jede "Evokation eines Volksgeistes" oder den "Rückgriff auf Rassenlehre oder die Identifizierung [einer] ›reaktionäre[n] Gesinnung‹" als hinreichende Be-gründung für eine Zuordnung zur Völkischen Bewegung zu nehmen. Abgesehen von einigen unterschiedlichen Bewertungen hat Breuer die Erkenntnis Puschners, dass es sich bei der Völkischen Bewegung um ein zeitlich begrenztes und personell - wenn auch mit Unschärfen - klar fass-bares Phänomen handelte, bestätigt. Zwar gilt Hans Mommsens Feststellung nach wie vor, dass es "nahezu unmöglich" sei, die Rechte in der Weimarer Republik - und, das sei ergänzt, auch zuvor - "systematisch darzustellen", doch haben die genannten Studien zur Völkischen Bewegung dazu beigetragen, ein deutlich klareres Bild zu gewinnen und die Völkischen als eigenes Phänomen mit Abgrenzung zum alten Nationalismus und zum Nationalsozialismus zu erweisen. Trotz der intensiven Beschäftigung mit den Völkischen in der vorgenannten Literatur gibt es immer noch viele Forschungslücken, was nicht selten an der problematischen Quellenlage liegt. Nur von wenigen Völkischen liegen Nachlässe vor und von einigen völkischen Publizisten wie Heinrich Driesmans sind lediglich die Lebensdaten bekannt. Auch wirkt sich hier der Umstand aus, dass Puschners wegweisende Studie auf die Zeit des Kaiserreichs beschränkt ist. Eine vergleichbare Untersuchung zum völkischen Schrifttum der Weimarer Republik stellt ein dringliches Desiderat der Forschung dar. Immerhin ist in den letzten Jahren mit dem Handbuch des Antisemitismus ein Hilfsmittel entstanden, das zusammen mit dem Handbuch zur "Völkischen Bewegung" den Großteil der völkischen Autoren biographisch zumindest rudimentär erschließt. Da die Struktur der Bewegung vornehmlich durch Zeitschriften und andere Publikationen bestimmt war, lässt sich die Geschichte der Völkischen Bewegung nicht ohne die Geschichte ihrer Verlage schreiben. Justus H. Ulbricht hat diesbezüglich Pionierarbeit geleistet, doch machen sich auch hier die fehlenden Verlagsüberlieferungen negativ bemerkbar. Dabei sind diese besonders wichtig, da die (erfolgreichen) völkischen Verleger, das haben Ulbrichts Studien deutlich gemacht, "Kulturunternehmer" im mehr oder weniger großen Stil waren. Am Beispiel Ludwig Schemanns lässt sich die oftmals enge Verbindung von Lebensunterhalt und dem Inhalt der Schriften erkennen; deshalb kann man bei ihm geradezu von einem "Weltanschauungsunternehmer" sprechen. Ähnlich verhält es sich auch bei Theodor Fritsch. Mit der Zeit entstand eine ganze Reihe von Studien zu verschiedenen völkischen Ideologemen, auf die an dieser Stelle nur kurz hingewiesen werden soll. Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die Ansichten Puschners und Breuers durch die neuere Forschung in wesentlicher Hin-sicht Bestätigung fanden. Wichtige Erkenntnisse über die Völkische Bewegung konnten durch eine Reihe von religionsgeschichtlichen Arbeiten gewonnen werden. Diese haben deutlich gezeigt, dass sich die Völkischen in ihrer Ablehnung der katholischen Kirche, die als international und aus protestantischer Perspektive als traditionelle Unterdrückerin deutschen Geistes begriffen wurde, und dem Empfinden, dass die zeitgenössische religiöse Situation in Deutschland nicht befriedigend sei, einig waren. Der Großteil der Völkischen berief sich in dieser Frage auf Paul de Lagarde und forderte ein im völkischen Sinne "gereinigtes" Christentum, dessen Wurzeln nicht allein bei Martin Luther, sondern auch bei frühchristlichen Häretikern wie Mar-cion verortet wurden. Ein kleinerer Teil der Bewegung ging in seiner Kritik noch weiter und verwarf das Christentum zugunsten einer vermeintlichen Wiederbelebung der alt-germanischen Religion. Einige der daraus entstandenen Organisationen gibt es bis heute. Schon bei den Zeitgenossen fand diese "publizistisch agile […] Minderheit" der Völkischen große Aufmerksamkeit. Bis heute werden diese - von Hitler als "spinnerige Jenseitsapostel" bezeichneten - Völkischen gerne als charakteristisch für die Bewegung in toto gesehen. Dies ist insofern problematisch, als es sich bei den Germanengläubigen tatsächlich um eine sehr kleine, von der christlichen Mehrheit der Völkischen meist kritisch beäugte Gruppe handelte. Indem die Zeitgenossen und die ältere Forschung die Bedeutung der Germanengläubigen überbetonte, unterschätzten sie den völkischen Einfluss in den bürgerlichen Teil der Gesellschaft. Dies trifft auch auf die heutige Forschung und die Frage nach der Kontinuitäten der völkischen Gedanken nach 1945 zu. Ein starker - sachlich auch berechtigter - Fokus wird auf die "Schnittflächen von Esoterik, Subkultur und Rechtsextremismus" gelegt, wodurch die mittelstandsideologische Ausrichtung und wirtschaftliche sowie egalitäre Forderungen der Völkischen aus dem Blick zu geraten drohen. Die vorliegende Arbeit soll nicht zuletzt deswegen am Beispiel der völkischen Geschichtsbilder auf die teilweise überraschend starke Übereinstimmung von völkischen und als poli isch unverdächtig wahrgenommenen Gedanken hinweisen. Die große Bedeutung, die die Geschichte für die Völkischen hatte, wurde in der Forschung zwar registriert, doch entstanden kaum Untersuchungen zu diesem Sachverhalt und der Konstruktion der völkischen Geschichtsbilder, zumal der Begriff ›völkische Wissenschaft‹ häufig für nationalsozialistische oder allgemein rechtsextreme Konzeptionen benutzt wird. Mit der völkischen Geschichtsschreibung im engeren Sinn haben sich bisher nur Uwe Puschner und Felix Wiedemann beschäftigt. Puschner hat zu Recht darauf hingewiesen, dass sich die Völkischen mit der Ausnahme von Treitschkes Deutscher Geschichte kaum affirmativ auf die Werke universitärer Historiker bezogen, sondern verstärkt eigene Werke produziert und rezipiert haben. Puschner betonte in seinem Aufsatz die funktionalistische Bedeutung der Geschichte für die Völkischen: Die völkische Geschichtsschreibung lieferte damit die in der völkischen Überzeugung historisch begründbare, angeblich wissenschaftlich belegbare, tatsächlich allerdings der Identitätsstiftung dienende Legitimation für die Verwirklichung der Ziele der Weltanschauung; sie hatte die Blut- und Boden- und Lebensraum-Ideologie zu begründen und den angestrebten Rassestaat und die Weltherrschaftspläne historisch zu rechtfertigen. In vorliegender Arbeit soll gezeigt werden, dass die Bedeutung der völkischen Geschichtsschreibung sogar noch umfassender für die völkische Ideologie war. Während Uwe Puschner sich in seinem Aufsatz mit einer großen An-zahl von völkischen Historikern beschäftigt hat, liegt dem Aufsatz von Felix Wiedemann eine deutlich kleinere Quellenauswahl zugrunde. Während Ludwig Ferdinand Clauss, Stewart Houston Chamberlain, Gustaf Kossinna, Ludwig Wilser, Alfred Rosenberg sowie Erich und Mathilde Ludendorff umfangreich berücksichtigt wurden, wurde auf die Diskussion der Werke Theodor Fritschs, Heinrich Claß', Heinrich Wolfs und Willibald Hentschels beispielsweise verzichtet. Daraus resultiert eine zu simplifizierende Betrachtung der völkischen Geschichtsideologie. So mag es für einen Teil der Völkischen sicherlich zutreffen, dass sie das "mittelalterliche Skandinavien schließlich zum idealisierten Raum einer heilen germanischen Welt" stilisiert haben. Das gilt indes, wie die vorliegende Arbeit zeigen soll, keineswegs für alle Völkischen. Und auch die Annahme, dass die "Grundstruktur" der "völkische[n] Geschichtserzählungen" in "einem recht simplen dreiteiligen Verlaufsschema - bestehend aus Goldener Vergangen[heit], Verfall und hoffnungsvoller Zukunft" bestanden habe, trifft nur für einen Teil der Völkischen zu, wie allein das Werk Chamberlains zeigt, dem es ausdrücklich nicht um eine goldene Vergangenheit ging. Den "historischen Wahn", "überall auf ›Anfänge‹ zurückgehen zu müssen", kritisierte er scharf. Ausdrücklich beizupflichten ist Wiedemann, wenn er die dichotomische Struktur des völkischen Geschichtsdenkens betont, die da-durch "sowohl einen Beitrag zur Identitäts- als auch zur Feindbildkonstruktion" leistete. Vorliegende Arbeit soll Wiedemanns Befund erhärten und zeigen, dass diese Dichotomisierung noch weit vielschichtiger war als bisher angenommen. Der Heidelberger Ägyptologe und Kulturtheoretiker Jan Assmann hat deutlich gemacht, dass mit "Polarisierung" immer auch "Politisierung" verbunden ist. Er betont zu Recht, dass sich die Feindbilder, die als Ergebnis der Polarisierung entstehen, nicht auf konkrete Personen, Gruppen oder wenigstens Ideologien beziehen müssen, sondern sich auch gegen sehr variabel ausdeutbare Konzepte wie "Chaos und Umsturz" richten können. Dieser Hinweis ist im Hinblick auf die Untersuchung der Funktionsweise völkischer Geschichtsideologie sehr wertvoll. Tatsächlich scheint oft die Furcht vor einer Unordnung und dem Einfluss des Fremden, die den organischen Charakter des Volkes potentiell stören mussten, den Kern der völkischen Gedankengebäude ausgemacht zu haben. Die ständige Suche nach konkreten Feinden lässt sich als Rationalisierungsprozess dieser durch den Hang der Völkischen zur Polarisierung herrührenden Furcht begreifen, die sich entsprechend auch nicht auf die Juden und die katholische Kirche beschränkte, sondern teilweise noch weit groteskere Ausmaße annehmen konnte: So warnten Erich und Mathilde Ludendorff vor den "Priesterkasten Asiens, die von Tibet, dem Dach der Welt, aus die Völker versklaven möchten." Theodor Fritschs Buch über die "Entente-Freimaurerei" wirkte dagegen fast gewöhnlich. Jedenfalls erklärt dieser Mechanismus einerseits die häufig sehr vage Beschreibung der völkischen Feindbilder und andererseits den hohen Aufwand, der gerade in den historischen Schriften zur Erkennung und Charakterisierung des Feindes betrieben wurde. Abschließend sei noch auf eine Reihe von Aufsätzen zu den Geschichtsbildern von Heinrich Claß, Theodor Fritsch und Julius Langbehn hingewiesen, die in einem von Werner Bergmann und Ulrich Sieg herausgegebenen Sammelband über Antisemitische Geschichtsbilder enthalten sind. Bergmann und Sieg haben zu Recht betont, dass das "antisemitische Geschichtsverständnis" als wichtiger "Parameter" zur Erforschung des Antisemitismus berücksichtigt werden muss. Dass dies auch für das völkische Geschichtsverständnis und die Erforschung der Völkischen Bewegung und ihre Ideologie zutrifft, sollen die nachfolgenden Seiten belegen und damit einen neuen Blickwinkel auf die Völkische Bewegung eröffnen.

Weitere Infos

Art:
eBook
Sprache:
deutsch
Umfang:
505 Seiten
ISBN:
9783593432533
Erschienen:
Oktober 2015
Verlag:
Campus Verlag GmbH
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